Politik/Ausland

Afghanistan: Taliban bereiten sich auf Regierungsbildung vor

Mit dem bevorstehenden Ende der US-Evakuierungen bereiten sich die radikal-islamischen Taliban auf den Aufbau einer Regierung in Afghanistan vor. In den nächsten Tagen wollten sie das vollständige Kabinett bekannt geben, sagte ein Taliban-Sprecher am Samstag. Vertreter von wichtigen Behörden wie dem Gesundheits- und Bildungsministerium sowie der Zentralbank seien bereits ernannt worden. Stammesführer und regionale Herrscher forderten indes eine Beteiligung an der Regierung.

Eine Gruppe afghanischer Führer, darunter zwei regionale Machthaber, wolle sich deswegen in den nächsten Wochen mit Vertretern der Islamisten treffen, sagte Chalid Nur, Sohn von Atta Mohammad Nur, dem einst mächtigen Gouverneur der nordafghanischen Provinz Balkh. Nach seinen Angaben besteht die Gruppe aus dem usbekischen Führer Abdul Rashid Dostum und anderen, die gegen die alleinige Machtübernahme durch die Taliban seien.

"Wir ziehen es vor, gemeinsam zu verhandeln, weil das Problem Afghanistans nicht von einem von uns allein gelöst werden kann", sagte Chalid Nur Reuters von einem ungenannten Ort aus. Atta Nur und Dostum, Veteranen im vier Jahrzehnte währenden Konflikt in Afghanistan, flohen aus dem Land, als Masar-i-Sharif an die Taliban fiel.

Es sei wichtig, dass insbesondere die traditionellen Führer in die Regierungsbildung einbezogen würden, sagte Chalid Nur. Der 27-Jährige warnte vor einem Scheitern der Verhandlungen mit den Taliban. Denn dann würde sich die Gruppe auf den bewaffneten Widerstand gegen die Taliban vorbereiten. "Eine Kapitulation kommt für uns nicht in Frage."

Widerstand gegen die Taliban

Der Sohn eines der wichtigsten Anführers im Krieg gegen die sowjetische Besetzung in den 80er Jahren, Ahmad Massoud, hatte vor zwei Wochen Widerstand gegen die Taliban angekündigt. Massoud herrscht über das Panjir-Tal, eine Hochburg der Tadschiken nordöstlich von Kabul. Auch er hofft auf eine Regierungsbeteiligung.

Es ist unklar, wie groß die Unterstützung in der Bevölkerung für Anführer wie Atta Nur, der als korrupt gilt, und Dostum, dem Folter und Brutalität vorgeworfen werden, ist. Die Vorstöße sind jedoch ein Zeichen dafür, dass die traditionellen Machthaber des Landes nach dem Sieg der Taliban wieder aktiv werden. Viele Experten sind der Meinung, dass es für jede Organisation schwierig sein wird, Afghanistan auf Dauer zu regieren, ohne dass ein Konsens zwischen den verschiedenen Ethnien des Landes besteht.

Die Taliban seien gegenwärtig wegen ihres Sieges "sehr, sehr arrogant", sagte Nur. "Wir gehen jedoch davon aus, dass sie das Risiko kennen, so zu regieren, wie sie es zuvor getan haben", sagte er mit Blick auf die Ausgrenzung ethnischer Minderheiten während der Taliban-Herrschaft in den 1990er Jahren. "Die Geschichte hat gezeigt, dass niemand in Afghanistan mit Gewalt regieren kann, das ist unmöglich."