Heast es nit, wie die Zeit vergeht
Von Anja Kröll
Letztens ist die Zeit an meinem Fenster vorbeispaziert. In Gestalt einer alten Frau.
Ich habe Ihnen schon einmal von ihr erzählt, als sie etwas verloren in meinem Garten stand im vergangenen Sommer. Bei ihrer täglichen Spazierrunden ist sie dabei falsch abgebogen. Die Runde sieht wie folgt aus: Mit zwei Skistöckchen wandert sie von ihrem Haus bis zu einem kleinen Bankerl ums Eck. Meist gegen 11 Uhr kommt sie dabei an meinem Fenster vorbei, wenn ich im Homeoffice sitze.
Dabei weiß ich nicht einmal, wie alt sie genau ist. So Mitte achtzig vielleicht. Sie wohnt in meiner Nachbarschaft und sieht leider ganz schlecht.
Was dazu führt, dass sie alle im Bergdorf, oder vielmehr in meiner Straße ganz laut begrüßen, wenn wir sie sehen. Damit sie uns zumindest gut hört. Sie sagt dann meist: „Ich seh zwar schlecht, aber hören tu ich noch gut, was schreist denn so?“
Den ganzen Winter habe ich die alte Frau nicht gesehen. Weil der Winter im Bergdorf viel Eis brachte. Und Eis für Spazierrunden mit Mitte 80 nicht die beste Voraussetzung ist. Übrigens auch nicht mit Anfang 40. Fragen Sie meinen Unterarm, wie ihm das Bremsen auf der Eisplatte gefallen hat.
Doch vergangene Woche war die alte Frau plötzlich zurück. Mit ihren zwei Skistöcken. Noch eine Spur langsamer, als im Jahr zuvor und auch vielleicht eine Spur kleiner, gebückter von den Jahren. Aber unbeirrt auf ihrer Runde.
Und ich habe einen Moment lang innegehalten. Nicht hektisch getippt und telefoniert, sondern ihr einfach von meinem Fenster aus zugesehen. Und dabei Hubert von Goisern im Ohr gehabt: „Heast as nit, wie die Zeit vergeht (...) und gestern is heit wordn und heit is bald murgen.“