Leben/Gesellschaft

Wertestudie: Die große Mehrheit der Österreicher glaubt an Gott

Diese Zahl hat Regina Polak dann doch überrascht: Drei Viertel der Österreicher glauben an Gott – ein stabil hoher Wert. Überraschend ist dies deshalb, weil der Anteil derjenigen, die regelmäßig einen Gottesdienst besuchen oder beten, seit den 90er Jahren konstant sinkt. Woher die Theologin das weiß? Gemeinsam mit der Soziologin Lena Seewann hat sie in einer Wertestudie (s. unten) erhoben, wie es die Österreicher mit der Religion halten.

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Allerdings: Um ihren Glauben zu leben, orientieren sich immer weniger Menschen an der Kirche. Denn der Glaube an Gott gilt als eine individuelle Angelegenheit. Für manche ist es der persönliche Gott, der ihr Leben bestimmt und mit dem sie im Gebet kommunizieren. Für andere ist Gott eine geistige Macht, die sie spüren. Theologin beschreibt die unterschiedlichen Gottesvorstellungen so: „Fragt man die Menschen nach der Religion, ist jeder ein Sonderfall.“

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Dass sich die Religiosität verändert, hat viele Gründe. „Unsere Gesellschaft wird durch Zuwanderung vielfältiger: Neben Katholiken gibt es Orthodoxe, Protestanten oder Muslime. Auch die Zahl der Konfessionslosen steigt – manche glauben an Gott, manche sind Atheisten. Sie alle sorgen dafür, dass Pluralität und verschiedene Formen der Religiosität zusehends normal werden.“ Freilich „verdunste“ der Glaube auch: „Wenn die Menschen nicht mehr in die Kirche gehen, verlieren sie auch die Übung und den Bezug zum Glauben.“ Wobei nicht jeder, der früher sonntags in den Gottesdienst ging, auch gläubig war: „Der Kirchgang war Teil der Tradition und der österreichischen Kultur. Genauso wie der Gang ins Wirtshaus danach.“

Interessant sei, dass in den vergangenen Jahren die Zahl der Menschen, die sich in ihrem Selbstverständnis als katholisch sehen, wieder zunehme. Die große Austrittswelle ist vorbei. „Die Menschen wenden sich der Kirche zu, weil sie identitätsstiftend ist. Mit dem Bekenntnis zur Kirche will man auch seine kulturelle Zugehörigkeit ausdrücken.“ Dass dazu gehören kann, sich von anderen, insbesondere von Muslimen, abzugrenzen, ist für die Theologin keine erfreuliche Entwicklung.

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Schwer zu vermitteln

Denn es gehe im Christentum um etwas ganz anderes: „Es ist ja keine Lehre, sondern eine Lebensform, die das gesamte Denken und Handeln bestimmt.“ Die Herausforderung für die Kirche heute sei, dies den Menschen zu vermitteln. In einer modernen, individualisierten Gesellschaft ist das schwierig: „Es geht darum, in einer Welt, die naturwissenschaftlich-rationale Werte hochhält, die innere Logik von Religion verständlich zu machen. Man versucht ja auch nicht, ein Gedicht mathematisch zu erklären.“

Und dann gibt es da noch eine Herausforderung: Die Lebenswelten der Menschen sind vielfältiger geworden. „Das Evangelium da hineinzutragen, ist eine nicht immer einfache Aufgabe“, weiß die Pastoraltheologin aus eigener Erfahrung. Die Suche nach Sinn ist jedenfalls unverändert groß. Der deutsche Soziologe Hartmut Rosa spricht gar davon, dass es ein Phänomen unserer Zeit sei, dass viele Menschen so rastlos sind, weil sie bei dieser Suchen nie ans Ziel kommen.

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Was nützt mir das?

Christian , Koordinator der Wertestudie, verwundert die Analyse wenig. „Wir sehen in allen Lebensbereichen einen Trend zur Individualisierung, in deren Folge die Ansprüche an die Familie, den Beruf und die Religion steigen. Jeder fragt sich, was ihm selber nützt und wo er sich verwirklichen kann.“ Das sei anstrengend, weil sich jeder klar werden muss, wie er sein Leben gestalten will: „Selbst entscheiden zu müssen, ist der Preis der Freiheit.“

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Doch wenn jeder nur noch nach seinem persönlichen Glück strebt, verändert das auch die Gesellschaft. „Wo bleibt in Zukunft noch Platz für das Gemeinsame?“, fragt sich nicht nur Friesl: „Das spüren Parteien genauso wie Religionsgemeinschaften.“ Engagement zeigen die Menschen nur da, wo es ihnen um etwas Konkretes geht, etwa in Bürgerinitiativen, bei der Flüchtlingshilfe oder der Caritas. Das zeigt auch die Studie: „Fast jeder zweite Katholik arbeitet heute ehrenamtlich für eine kirchliche Organisation, 1990 war es nicht einmal jeder fünfte“, weiß die Soziologin Lena Seewann.

Die Europäische Wertestudie ist ein Projekt des Forschungsverbunds „Interdisziplinäre Werteforschung“ der Universität Wien (Koordination: Christian Friesl). Die Studie wurde mit finanzieller Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung von einem Team unter   Leitung der Politikwissenschaftlerin Sylvia Kritzinger durchgeführt. Eine Buchpublikation ist im Frühjahr 2019 geplant.