Berlin, Düsseldorf und Co: Das gibt es in den zehn deutschen EM-Städten zu sehen
Von Diana Dauer Lea Moser Stefan Hofer Andreas Puschautz Wolfgang Kralicek Caroline Ferstl Mirad Odobašić Angelika Groß
Ein Spiel dauert neunzig Minuten – und ob am Ende die Deutschen gewinnen, wissen wir am 14. Juli. Wichtiger ist uns, was die zehn Austragungsorte der Fußball-Europameisterschaft 2024 außer gigantischen Stadien sonst zu bieten haben. Denn Österreichs Nationalteam ist bekanntlich dabei und Gastgeberland Deutschland ist nah. Alles mit dem Zug erreichbar, in viele deutsche Städte fährt sogar der ÖBB-Nightjet direkt (Hamburg, Berlin, Köln, Frankfurt, Düsseldorf, München, Stuttgart). Was also tun mit der Nach-Spielzeit vor Ort? Wir haben Kolleginnen und Kollegen befragt und siehe da, einige haben in „ihren“ Städte teils Monate gearbeitet und gelebt: Angelika Groß verbrachte ihre Hamburger Zeit offensichtlich in einem einzigen Plattenladen; Diana Dauer hat in Berlin gearbeitet und auch auf Brücken getanzt. Was die beiden Ruhrpott-Städte Dortmund und Gelsenkirchen trennt und eint, beschreiben Martin Jahrfeld (selbst stolzer Westfale) und Mirad Odobasic. Auch Düsseldorf darf man keinesfalls unterschätzen, erläutert Andreas Puschautz: Die Mode- und Kunststadt am Rhein bietet architektonische Highlights. Österreich kickt übrigens in Düsseldorf und Berlin – anfangs (sagen die Optimisten). In Berlin steigt dann auch das EURO-Finale.
Berlin
Man hört viel über Berlin. Und das meiste ist wohl wahr. Es gibt – zumindest im deutschsprachigen Raum – keinen bipolareren Ort. Sie ist die größte deutschsprachige Stadt und hat dennoch Dorf-Charakter. Sie ist glamourös und dreckig, historisch und progressiv, seriös und verspielt. Der Winter qualvoll, aber im Sommer lebt Berlin mediterranen Flair. Das Leben, Essen und Tanzen passiert auf der Straße, etwa auf der Admiralbrücke in Kreuzberg (im Bild). Sobald es warm wird, wird die Brücke zum Mekka der Kultur, zu der nicht nur Anwohner pilgern. Hier wird getanzt und genossen – aber nur bis 22 Uhr. Danach steht aber Berlin noch zu beiden Uferseiten offen. (Diana Dauer)
- Nicht versäumen: das überwältigende Kulturangebot
- Überschätzt: Berliner Döner
- Mitbringsel: Berlin Bär und Ampelmännchen
Leipzig
Bibliophile kommen an Leipzig nicht vorbei. Wenn die Buchmesse ihre Tore öffnet, ist hier alles Literatur. Am Messegelände, in den Buchhandlungen, den Theatern, Bars, Museen, Kaffeehäusern und Clubs. Das Schöne daran: Egal wie oft das gedruckte Buch noch totgesagt wird, in Leipzig merkt man eindrücklich, wie daneben diese Unheilsverkündung ist. An Teenies, die stundenlang für Autogramme anstehen, und an Philosophen, die Hallen füllen wie Popstars. Für Sightseeing bleibt kaum Zeit. Ein Muss ist aber die Stadtführung an die Orte der Friedlichen Revolution 1989. (Lea Moser)
- Nicht versäumen: Connewitz – junges, linkes Stadtviertel
- Überschätzt: die Mädlerpassage
- Mitbringsel: Hochprozentiges aus Auerbachs Keller und einen Koffer voller Bücher
Dortmund
Was Fußball bedeutet, bedarf im Ruhrgebiet keiner Erklärung. Im ehemaligen Kohlerevier des Landes ist dieser Sport kein Freizeitspaß, sondern Religion. Mögen anderswo Kirchen und Kathedralen Besucher anlocken, die Kultstätten im sogenannten Pott heißen „Westfalenstadion“ oder „Arena auf Schalke“ – Schauplätze für Leidens- und Erlösungsdramen epischen Ausmaßes. Auch wenn die Leistungen der innig verfeindeten Hausherren Dortmund und Schalke zuletzt hinter den stets hohen Erwartungen zurückblieben; Westfalens einzigartige Bier- und Braukultur bietet verlässliche Antidepressiva gegen Fan-Sorgen aller Art.
Wer im Sog von Leidenschaft und Dortmunder Pils auf den Geschmack kommt, darf noch mehr entdecken: Das moderne Fußballmuseum am Hauptbahnhof etwa oder die zum
Industriemuseum (zeche-zollern.lwl.org/de/) umgerüstete Zeche Hohenzollern, die einer Zeit entstammt, als die Balltreter noch Bergleute waren. (Martin Jahrfeld)
- Nicht versäumen: Ruhrgebietshumor
- Überschätzt: Schalke 04
- Mitbringsel: Dortmunder Bier
Hamburg
Mit Hamburg warm werden scheint im ersten Moment vielleicht etwas schwierig, wird man doch meist mit Regen, Sturm und kalten Temperaturen empfangen. Schietwetter eben. Dafür bietet die Stadt an der Elbe aber Plätze, die einen das Wetter zumindest für einen Augenblick vergessen lassen. Oft entdeckt man sie zufällig – weil man zum Beispiel beim Vorbeigehen von guter Musik angezogen wird. In „Michelle Records“ legt Besitzer Christof Jessen selbst ausgewählte Schallplatten auf – von Funk aus Texas (Khruangbin) bis hin zu UK-Rap (Little Simz). Jessen steht beratend zur Seite und überzeugt mit fast schon nerdigem Musikwissen. Aber keine Sorge, zugetextet wird man in Hamburg nicht so schnell. Die Hamburger brauchen ein bisschen zum Auftauen. Haben sie einen aber einmal in ihr norddeutsches Herz geschlossen, offenbart sich ihr wahres Wesen: treu und gutmütig. Außer du bist Fan des falschen Fußballvereins. (Angelika Groß)
- Nicht versäumen: Reeperbahn Festival
- Überschätzt: Fischbrötchen
- Mitbringsel: Speicherstadt Kaffee
Gelsenkirchen
„– Wo bist du her?“
„– Gelsenkirchen.“
„– Ah, Schalke!“
Solche Kennenlern-Small-Talks ist ein Gelsenkirchener gewohnt. Denn kaum eine Stadt verbindet man mit ihrem Fußballklub wie diese im Herzen des Ruhrgebiets mit Schalke. Kein Wunder, gibt es doch auf der Welt kaum solche Flecken, an denen man sich so sehr mit dem Klub identifiziert, mit ihm jubelt – und vor allem leidet. Liegt es daran, dass Gelsenkirchen einem abseits vom Fußball wenig zu bieten hat? Böse Zungen, wenige Kilometer östlich beheimatet, die „Unaussprechlichen“ – so nennen wahre Schalker ihre Erzrivalen aus Dortmund – mögen das zwar behaupten. Insgeheim wissen aber auch sie, dass man hier im auf Kohle gebauten „Ruhrpott“ mehr gemein hat, als einem lieb ist – in erster Linie aber die ansteckende Leidenschaft zum Fußball. So steigt und fällt hier die Stimmung mit Höhen und Tiefen des geliebten Vereins. Denn nicht umsonst lautet der Leitspruch des Vereins: „Schalke, wir leben dich.“ (Mirad Odobasic)
- Nicht versäumen: Besuch der Veltins-Arena
- Überschätzt: der Rhein-Elbe-Kanal
- Mitbringsel: alles aus dem S04-Shop
Frankfurt
Frankfurt ist nicht Wien, schon klar. Aber jedenfalls besser als sein Ruf, und weit mehr als Bahnhofsviertel und Bankentürme. Prater-Fans spazieren im Grüneburgpark über den Campus der Goethe-Uni, in eine pseudo-philosophische Diskussion über Horkheimer, Adorno und Habermas vertieft. Im jüdischen Museum stöbert man in der Familiengeschichte der Rothschilds – die über Generationen hinweg auch die österreichische Hauptstadt geprägt haben. Die Sehnsucht nach den Wiener Kunsthäusern stillt man im Städel Museum, wo man nach den anatomischen Fehlern Goethes sucht. Und statt mit heimischen Fußballvereinen feiert man die Nacht gemeinsam mit der Eintracht am Römer (die Autorin tat dies nach dem Sieg in der Europa League). „Und was wäre Frankfurt ohne Sachsenhausen“, fragt eine Liedzeile berechtigterweise: Mit ein bisschen Fantasie und einem Bembel Ebbelwoi/Ebbelwei/Äppelwoi (einer Kanne saurem Apfelmost) fühlt man sich in Frankfurts Apfelweinlokalen wie daheim beim Heurigen. Und auch wenn der Main nicht der Donaukanal ist, die Aussicht – die Frankfurter Skyline – kann sich doch sehen lassen. Und was Frankfurt wirklich besser kann als Wien: die Spätis, die bis weit nach Mitternacht Bier verticken. (Caroline Ferstl)
- Nicht versäumen: eine Fahrt im Ebbelwei-Express
- Überschätzt: der Spitzname „Mainhattan“ – bitte nicht
- Mitbringsel: Eintracht-Merch
München
München verbindet das Lebensgefühl von Salzburg mit dem Kulturangebot einer Weltstadt. Mein Lieblingsgrätzel ist der Stadtteil Maxvorstadt mit seinen tollen Museen, darunter die Pinakotheken und die Glyptothek. Der kleine feine Secondhandladen Best Records ist auch da. Und in den Gassen des Univiertels gibt es an jeder Ecke ein Lokal, etwa den „Alten Simpl“, wo statt Kabarett heute nur noch Bier und Schweinsbraten serviert wird. An guat’n! (Wolfgang Kralicek)
- Nicht versäumen: Biergarten, Glyptothek
- Überschätzt: Hofbräuhaus, Allianz-Arena
- Mitbringsel: Weißwürste, 1860-Fanschal
Stuttgart
Das Zuhause von Porsche und Mercedes bietet noch um einiges mehr, als der erste Blick vermuten lässt. Von Maultaschen und Spätzle über Weinfelder und Wälder bis hin zu Technoclubs. Oft übersehen, steckt doch viel Abwechslung und Kultur in Stuttgart. Hinter einer unscheinbaren Fassade liegt eine lebendige Stadt. Die Liebe zum Fußball spürt man nach einem Spiel des VfB sofort. In den meisten Bars liegen dann Lieder aus der Fankurve in der Luft, die Lust zum Mitjubeln machen. Wenn man einen Tag romantisch ausklingen lassen möchte, bietet sich der Rand des Kessels (in dem die Stadt liegt) hervorragend an. Der Ausblick lässt einen die Wanderung immer wieder auf sich nehmen. (Valentin Steidl)
- Nicht versäumen: das Porsche-Museum
- Überschätzt: der Geiz der Schwaben
- Mitbringsel: Maultaschen und VfB-Merch
Köln
Klar – Köln ist bekannt für seinen Kölner Dom: Mehr als 600 Jahre hat es gedauert, das fast 160 Meter hohe Kirchenhaus zu bauen. Es ist immer einen Besuch wert. Doch auch die Altstadt mit ihren Gässchen sollte man sich nicht entgehen lassen. Warum nicht über den Heumarkt schlendern, am Rheingarten entlangflanieren und möglicherweise in der Salzgasse ein Bier in der historischen Brauerei der Gebrüder Sünner im Walfisch zischen? Leute, lasst euch treiben und genießt dieses besondere Viertel der 2.000 Jahre alten Stadt ... (Christiane Flechtner)
- Nicht versäumen: das Schokomuseum von Hans Imhoff – Werkstatt und Riesen-Schokobrunnen
- Überschätzt: viele der bekannten Brauhäuser: zu voll, zu laut, zu groß – ungemütlich
- Mitbringsel: Original Eau de Cologne – kurz 4711 – im Geschäft an der Glockenstraße 4 kaufen
Düsseldorf
Dass es nicht so leicht war, in der Redaktion jemanden zu finden, der etwas Positives über Düsseldorf zu sagen hat, mag viele nicht überraschen – ist aber ungerecht. Denn nur einen kurzen Spaziergang von der Altstadt entfernt liegt mit dem Medienhafen ein Mekka für Architekturfans. Es gibt wohl nicht viele Orte, an denen man die Bauten von gleich vier Pritzker-Preisträgern – sozusagen den Nobelpreisen für Architektinnen und Architekten – praktisch nebeneinander bewundern kann. Fumihiko Makis „Solitaire“, David Chipperfields „Kaistraße Studios“, Renzo Pianos „Float“ und Frank Gehrys „Neuer Zollhof“ drängen sich innerhalb weniger Gehminuten zusammen, wobei Letzterer mit seinen gewellten Fassaden ganz klar der Star ist. (Andreas Puschautz)
- Nicht versäumen: den Blick vom Rheinturm
- Überschätzt: Karneval (immer und überall)
- Mitbringsel: Altbier und Löwensenf