Leben/Gesellschaft

Jugendstudie: Nichts ist heute wichtiger als die Familie

Man könnte diesen Trend wenig schmeichelhaft als das „neue Biedermeier“ bezeichnen: Die Familie ist der wichtigste Lebensbereich junger Menschen, wie die aktuelle Wertestudie des Instituts für Jugendkulturforschung zeigt. Auch Bekannte und Freunde stehen hoch im Kurs.

Bernard Heinzlmaier, der die Studie (Grafik) geleitet hat, will das Ergebnis nicht so abwertend kommentieren: „Menschen suchen nach Halt. Und den finden sie immer weniger im Job oder in der Schule, weil es dort vor allem um Konkurrenz und Ausscheidungswettbewerb geht.“ Deshalb besinnen sie sich auf die Familie – eine Institution, in der sie Wertschätzung und eine Beziehung zwischen Menschen erleben, die eben nicht kommerzialisiert ist.

Geändertes Familienleben

Das gelte nicht nur, aber ganz besonders bei den 16- bis 29-Jährigen: Hier ist bei 76 Prozent die Familie der wichtigste Lebensbereich, bei den älteren Erwachsenen sind es 66 Prozent. Das hat sicher auch damit zu tun, dass sich das Familienleben gewandelt hat: „Es wird heute als angenehm empfunden,“ interpretiert Heinzlmaier die Ergebnisse: "Wollten frühere Generationen so schnell wie möglich ausziehen, so wird Familie heute als der Ort gesehen, wo immer jemand da ist, wenn man ihn braucht.“

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Es gibt auch noch einen anderen Grund, warum man sich in die kleinste soziale Einheit zurückzieht: die Angst vor Wohlstandsverlust. Das Versprechen: „Meine Kinder sollen es einmal besser haben“, gelte heute nicht mehr: „Abstiegsängste gehen immer mit Entsolidarisierungstendenzen einher“, erläutert der Jugendforscher. „Die Menschen werden egozentrischer und selbstsüchtiger, weil sie das Gefühl haben, täglich kämpfen zu müssen, um nicht nach unten abzurutschen. Deshalb bringen sie auch wenig Mitgefühl für andere auf.“

Das habe auch viel mit der derzeitigen Gesellschaft zu tun, in der alle Lebensbereiche von der Ökonomie bestimmt sind, wo alles nur noch darauf hin bewertet wird, ob es sich wirtschaftlich rechnet oder nicht. Der Forscher formuliert das so: „Die Zahl dominiert die Kultur.“

"Politiker haben keine Ahnung"

Der Politik fehle das Verständnis dafür – das glauben immerhin 80 Prozent der Befragten. Sie sind der Meinung, dass „die meisten Politiker keine Ahnung davon haben, wie es den Menschen geht.“ Das ist wohl ein Grund, warum die Politik bei den Jungen keinen hohen Stellenwert hat: „Sie hat keine großen Erzählungen mehr“, analysiert Bernhard Heinzlmaier. Das sei früher noch anders gewesen.

„Man hat sich positiv auf Entwürfe wie Liberalismus, Sozialismus oder auch Konservativismus bezogen.“ Die Folge: Die Politiker, die diese Utopien verkörperten, genossen ein hohes Ansehen: „Wenn Sie in den 70er Jahren junge Menschen gefragt haben, wer ihr großes Vorbild sei, da fiel schon einmal der Name Bruno Kreisky.“ Heute wählen junge Erwachsene hingegen das „kleinere Übel“, was so viel bedeutet wie: „Ich bekenne mich zu nichts, verhindere aber das Schlimmste – das ist der große Trend.“

Nur ein persönlicher Gott

Einen großen Vertrauensverlust haben auch die religiösen Institutionen erlebt, zumindest bei der einheimischen Bevölkerung. „Das hat sehr viel mit der Individualisierung zu tun. Man macht sich heute seinen eigenen persönlichen Gott, auch weil man der Institution Kirche nicht mehr vertraut.“ Anders ist das bei Migranten, die aus sehr traditionellen Kulturen stammen, in denen es wenig Individualisierung gibt. Hier hat die Religion einen beachtlichen Stellenwert.

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Welche Medien genutzt werden

Nur jeder vierte Befragte gab bei der Umfrage an, dass er Facebook häufig nutzt. Eindeutiger Sieger bei den 16- bis 29-Jährigen ist Instagram mit 75 Prozent und Snapchat mit 62 Prozent. Doch hier geht es nicht nur um ein Ranking von Plattformen, sondern um ein gravierendes Umdenken, erklärt das Institut für Jugendkulturforschung: „Es triumphiert ein neues Bildmedium über ein altes Textmedium, das geschriebene Wort verliert gegenüber dem Bild.“ Bedenklich finden die Wissenschafter, dass der Austausch von Argumenten, der auf Facebook zentral ist, bei den Fotodiensten kaum stattfindet. Der Austausch werde durch die Bilder verstärkt emotional statt rational.
Ähnliche Zahlen erhob die Initiative Safer Internet für etwas Jüngere, allerdings liegt Facebook hier bei 44 Prozent. Sie nennt als Internetmedien auch WhatsApp mit 83 Prozent und YouTube mit 78 Prozent.

 

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