Ruiniert eigenes Mädchen- und Buben-Spielzeug unsere Kinder?
Von Axel Halbhuber
So bunt die Spielzeugwelt ist, das Bild unterscheidet sich kaum, von Playmobil über Lego bis Barbie: Die Mädchenfiguren beschäftigen sich meistens mit ihren Haustieren (oft kleinen Haserln), ihrer Schönheit und allgemeinen Haushaltstätigkeiten , während Bubenfiguren die Welt retten, sie zumindest entdecken oder auf einer Seite eines Bankraubes stehen.
Als Polizist haben sie dann Waffen in der Hand (was Scharfschützengewehre mit Laseroptik zu gutem Spielzeug macht, ist ein eigenes Thema), als Räuber sind sie coole Draufgänger (und fliehen bei einem aktuellen Lego-Produkt per Floß auf einem Fluss, warum auch immer). Ihre Spielszenarien umfassen Landkarte, Eisbohrer und Pilotenhelm, die der Mädchen beinhalten Blumenvase, Kuchengabel und Kinderwagen. Dazwischen immer wieder die betonte Korrektheit, wenn eine Spielzeugfrau dann per Brille, Blazer und Aktentasche still die Botschaft brüllt: Ich bin voll die erfolgreiche Businesswoman.
Die Einteilung in Geschlechterrollen ist – wenn man auf Spielzeug schaut– schon mit dem Volksschulalter fixiert. Viele Eltern betonen, dass sich die Kinder dieses Spielzeug selber aussuchen. Das stimmt. Aber suchen sie sich auch die so vermittelten Werte und Zuteilungen ihres Geschlechtes aus?
Nein, belegen alle seriösen Studien zum Thema. Es folge keiner genetischen Programmierung, dass sich Mädchen in die innerhäusliche Kümmer-Rolle begeben und Buben in die des Forschers außerhalb des Zuhause.
Die Neurobiologin Lise Eliot von der Chicago Medical School verglich unzählige solcher Studien und fasst das so zusammen: „Wissenschafter haben nur sehr wenige verlässliche Unterschiede zwischen den Gehirnen von Männern und Frauen gefunden, und noch viel weniger zwischen denen von Jungs und Mädchen.“
Die Rollenzuschreibung scheint also vermittelt zu sein und das geschieht in den ersten Jahren eben stark über das Spielzeug. Darin könnte der, oder zumindest ein Grundstein für alle Folgeprobleme der schleppenden Gleichstellung zwischen den Geschlechtern liegen.
Einspruch! rufen da einige. Traditionalisten, eine aktuell ja wachsende Gruppe, sehen in dieser Rollenfixierung kein Problem. Außerdem, so ein häufiger Einwand, war Spielzeug zu allen Zeiten und in allen Kulturen immer geschlechtsspezifisch geprägt. Weil es immer den Zustand der (Erwachsenen) Welt reproduziert. Das Problem dabei ist, dass es diesen Zustand damit auch immer mehr einzementiert.
Damit werde der Entwicklungsspielraum der Kinder eingeschränkt, betonen Experten wie die Neurobiologin Eliot. Insofern sei das Spielzeug mit schuld, wenn sich Mädchen später sowohl mit Mathematik als auch mit ihrem Körper unwohl fühlen, weil ihre Spielsachen sich stark um Äußerlichkeit drehen. Und dass Buben durch die Superhelden-Mentalität die Fähigkeit genommen wird, Schwäche auszudrücken, könnte ein Grund für die wesentlich höhere Selbstmordrate unter Männern sein. Ganz egal ist es offenbar doch nicht.
Bestes Beispiel ist die Puppe. Einerseits weil sie als eines der ältesten und wichtigsten Spielzeuge überhaupt gilt, andererseits weil sie eine zentrale Rolle bei der Persönlichkeitsbildung spielt, sagt Kinder- und Jugendpsychologin Monika Fraisl: „Stofftiere erfüllen für Buben gelegentlich die gleichen Funktionen wie Puppen für Mädchen. Trotzdem ist zu berücksichtigen, dass das Puppenspiel für Buben gleichfalls das realitätsnähere Üben einer Rolle darstellt. Sozial-emotionale Kompetenzen können trainiert, erfahren und gestärkt werden, wie auch bei Mädchen.“
Zum Beispiel beim Aufbrechen vorherrschender Muster, Stichwort Väterbeteiligung. Puppen bieten eine Möglichkeit zur Selbstdarstellung, was wiederum „die Erfahrung sinnlicher, kommunikativer und sozialer Erlebnisse ermöglicht und das Kind die Realität bewältigen und eine Ich-Identität entwickeln lässt“, erklärt Fraisl.
Wie sehr Puppen die Gesellschaft widerspiegeln, sieht man an der Barbie. Im Jahr 1959 ging in den USA die erste Barbie im Badeanzug mit roten Lippen, blonden Haaren und Modelmaß über den Ladentisch. Hersteller Mattel erntet bis heute oft Kritik für das vermittelte Frauenbild, daran änderten neue Barbie-Berufe (von Stewardess über Managerin bis Präsidentin) eben so wenig wie natürliche und differenzierte Körperformen oder eine Barbie mit Kopftuch oder gelebter Homosexualität.
Kinder loten im Spiel mit diesen Puppen Generations- und Geschlechterrollen aus, glaubt Fraisl: „Man kann davon ausgehen, dass ein erweitertes Rollenrepertoire durch das Spiel mit Barbies eröffnet und erprobt wird.“ Im Unterschied zur Babypuppe habe sie die Rolle eines weiblichen Vorbildes oder einer Freundin.
Bemerkenswert ist, dass die Geschlechtertrennung bei Spielzeug zuletzt merkbar zugenommen hat, aller Political Correctness zum Trotz. Experten sprechen sogar vom „Re-Gendering“, einem neuen Vergeschlechtlichen von an sich geschlechtsneutralen Dingen. Bestes Beispiel: Seit 1974 gab es Überraschungseier unisex. 45 Jahre später wird nach Geschlechtern getrennt gespielt und genascht, jedes siebente Ei ist rosa verpackt.
Die Erklärung für dieses Paradoxon liefert die Wirtschaft. Durch die Teilung der Produkte in Geschlechter und gezieltes Gender-Marketing steigerten einige Hersteller den Umsatz beträchtlich. Einerseits wird so Spielzeug zwischen Mädchen und Buben nicht mehr weitergegeben, andererseits wurden damit neue Zielgruppen erschlossen.
Womit wir wieder bei Lego sind. Vor zehn Jahren stellte sich der Spielzeugriese die Frage, warum er fast nur bei Buben gut ankomme. Man forschte und erlangte zwei Erkenntnisse: Mädchen mögen andere Szenarien, nicht draußen, sondern drinnen. Nicht gegen Bösewichte, sondern Freundinnenfiguren miteinander, Raum für eigene Geschichten im Spiel. Und: Sie bevorzugen menschenähnliche Figuren. Nicht die klassischen gelben Rundköpfe, sondern Hautfarben, Frisuren und Gesichtszüge. Was daraus wurde? Die „Lego Friends“. Mit den Vasen und den Hasen. Mit ein bisschen Alibi-Abenteuer (Snowboard). Vor allem aber mit dem Vater, der auf dem Packungsbild aus dem Haus geht, während Mama vom Balkon winkt.