"Starmania"-Auftakt: "Ich hätt' mir bisschen mehr Dreck gewünscht"
Von Peter Temel
*Disclaimer: Das TV-Tagebuch ist eine streng subjektive Zusammenfassung des TV-Abends.*
„Gänsehaut. Aber es fühlt sich gut an. Es fühlt sich an wie nach Hause kommen“ - mit diesen Worten beginnt Arabella Kiesbauer die fünfte Staffel von „Starmania“. Nach Hause kommen - das ist ein Gefühl, dass derzeit viele ersehnen, obwohl sie mehr Zeit zu Hause verbringen als sonst. Kiesbauer spricht die besondere Situation an, die kein großes Live-Publikum im Studio zulässt. Wie eine ferne Vergangenheit nehmen sich im Kontrast dazu die Massenszenen aus den ersten vier „Starmania“-Shows aus, die eingangs eingespielt werden.
Wobei, stopp. Es ist ja tatsächlich eine ferne Vergangenheit: Neunzehn Jahre ist es her, dass die erfolgreiche Castingshow des ORF vom Stapel lief.
Jetzt also „Starmania 21“, nach zwölf Jahren Pause.
"Hier wird gesungen"
Eröffnen darf Julia Wastian aus Brückl in Kärnten mit „This Is Me“ von Keala Settle. Die Power-Darbietung soll wohl gleich als Ansage zu verstehen sein, dass es hier ohne Kompromisse auf die Zwölf geht. „Hier wird gesungen“, sagte Kiesbauer davor, "danach wird entschieden, wer weiterkommt und wer nicht, bis am Ende einer oder eine übrig bleibt."
Das klingt relativ einfach. Ist es aber nicht.
Hinter Wastian leuchtet zum Beispiel ein violetter Stern auf der riesigen LED-Wand auf, die Sängerin freut sich total. Sie hat gerade ein „Star-Ticket“ bekommen.
Wie, was, „Star-Ticket“? Kiesbauer erklärt jetzt, dass das den sofortigen Aufstieg bedeutet.
Die drei Juroren, Rapperin Nina „Fiva“ Sonnenberg, Sängerin Ina Regen und Singer-Songwriter Tim Bendzko, können es ebenso wenig fassen wie Julia Wastian. Es ist nicht das einzige Mal an diesem Abend, dass keiner für das Ergebnis verantwortlich sein will.
Undurchsichtige Wertung
Dazu muss man wissen: Sie tippen jeweils geheime Zahlen in ein Tablet, ohne die Entscheidung der anderen zu kennen. Addiert ergibt das dann - ohne genaue Aufschlüsselung - die Wertung „Grün“ (noch im Rennen), „Rot“ (sofortiges Ausscheiden) oder eben das „Star-Ticket“.
Wissen wir jetzt alles? Nein, noch immer nicht. Aber dazu später. Wenn wir ein neues Smartphone in Betrieb nehmen, kommen gewisse Bedienungsinfos ja auch erst nach und nach und anlassbezogen.
Das Smartphone kann man übrigens bis zur achten Sendung getrost weglegen, bis dahin entscheidet ausschließlich die Dreier-Jury.
Die Juroren geben erst nach ihrer Wertung eine Begründung dafür ab. Nina Sonnenberg fühlt sich im positiven Sinne „gegen die Wand gesungen“, Ina Regen „geplättet“, Tim Benzko meint, die „Riesenlast“, beginnen zu müssen, habe man der 18-Jährigen überhaupt nicht angemerkt.
Harakiri tanzen
Der nächste Kandidat wird vorgestellt: Sebastian Mucha (24) kommt aus St. Aegyd am Neuwalde in Niederösterreich und ist ist Polizist. Von ihm kommt aber wenig Staatsgewalt, sondern eine Ballade: „Someone You Loved“ von Lewis Capaldi.
Dabei habe er, was die Musik betrifft, zunächst „auf dem Schlagzeug herumgehämmert“. Als seine Eltern ihn darauf hinwiesen, dass das nicht die beste Idee sei, habe er sich gesagt: „Singst halt, ist angenehmer.“
Die Kandidatenvorstellungen und die Off-Kommentare von Philipp Hansa (Ö3) lassen Song-Contest-Stimmung aufkommen. Auch, weil Hansa fast die selbe Stimmfärbung wie Andi Knoll besitzt.
„Des schaffst scho, kumm“, sagt die Andi-Knoll-Stimme.
Mucha, der wie am Mikrofonständer festgetackert scheint, bekommt die erste Grün-Wertung.
Sonnenberg meint, der Kandidat brauche gar keine „großen Popgesten“. Bendzko fragt sich aber doch, „was du machst, wenn du hier einmal Harakiri tanzen musst.“
Arabella: „Was ist denn Harakiri?“
Bendzko: „Weiß ich auch nicht.“
Sirtaki auf Japanisch? Oder so ähnlich.
Kein Karaoke erwünscht
Anja Fischthaler, eine 18-jährige Verkäuferin aus Vöcklabruck (OÖ), bezeichnet sich selbst als „eher ruhige Person“, hat aber einen ziemlich lauten Song ausgewählt: „What’s Up“ von den 4 Non Blondes. Für sie bedeute das Lied, „dass man einfach an sei Herzerl glaubt“.
Die Jury glaubt in ihrem Fall aber nicht an eine längere "Starmania"-Karriere und vergibt das erste „Rot“.
Ina Regen übernimmt die Aufgabe, die Entscheidung zu erklären. Sie wolle ihr „mehr Zeit geben“. „Starmania“ sei „kein Karaoke-Contest“, eine eigene Künstlerpersönlichkeit sei gefragt.
Sonnenberg urteilt, die Kandidatin habe aus einem „so krassen Ansagen-Song was Balladigeres gemacht“. Aber: „Glaub weiter an dich, und dann sehen wir dich eh bald wieder.“
Arabella will die soeben Ausgeschiedene trösten und erinnert an ihr Talent für Mundartsongs, sagt dann aber: „Vielleicht sehen wir dich bei der 99. Staffel wieder.“
Ob das der geeignete Trost ist? Ansonsten erfüllt Kiesbauer ihre selbst gewählte Rolle als "Mama Starmania" in bewährter Weise.
"Ein bisschen mehr Dreck"
Teodor Munjas hat schon als kleiner Junge von „Starmania“ geträumt. Jetzt ist der 28-jährige Wiener Kundenberater in einer Werbeagentur und singt bei „Starmania 21“ „Grenade“ von Bruno Mars.
Das Grün-Voting ergebt sich laut Regen aus der Stimmfarbe, „gegen Ende hätt ich mir tatsächlich ein bisschen mehr Granate gewünscht“.
Bei Lisa Wessely - sie kommt aus Horitschon im Burgenland und singt „Satellite“ von Lena - hätte sich Benzko „am Ende ein bisschen mehr Dreck gewünscht.“
Arabella: „Böser, böser Tim.“
Bendzko will das mit dem Dreck nicht dreckig gemeint haben. Es gehe um den Dreck in der Stimme.
„Ich hatte andere Gedanken. Böse, böse Arabella“, sagt Kiesbauer.
Sonnenberg möchte, dass die 16-Jährige aus ihrem „Tanzbereich“, oder der „Komfortzone“ herauskommt, „der Kükenbonus ist jetzt weg“.
Wiglwogl
Noah Küng, 20 Jahre alt, Student aus Lustenau (Vorarlberg) rappt „eigentlich nur unter der Dusche“, und singt daher eine Ballade: „Leave a Light On“ von Tom Walker.
Regen gibt nach dem „Grün“-Voting zu: „ich war ein bisschen im Wiglwogl.“
Bendzko muss über den österreichischen Ausdruck lachen. Arabella meint, der Berliner „wird bei uns noch viele Ausdrücke lernen“.
Trotz Wiglwogs bescheinigt Regen dem Vorarlberger „Popstar-Appeal, so wie du dastehst“.
Ein Haucherl Metal
Popstar-Appeal kann man auch bei der selbstbewussten Stephanie Madrian beobachten: Die 22-jährige Klagenfurterin studiert Romanistik und wagt sich an den Adele-Song „Rolling in the Deep“ heran. Mit Recht, sie bekommt grünes Licht.
Bendzko wünscht sich nur „etwas mehr Loslassen“, Regen ist es „ein bisschen zu glatt“, es könnte „ein Haucherl echter“ sein.
Nicht nur ein Haucherl echter ist Felix Larcher: Der 21-jährige Verkäufer aus Ansfelden in Oberösterreich sagt: „I schau ned aus wie der typische ‚Starmania‘-Kandidat, Hätt mir net gedacht, dass i genommen werd, aber i gfreu mi.“
Er lässt mit seiner Version des Bilderbuch-Hits „Maschin“ aufhorchen, vor allem am Ende mit einem zünftigen Metal-Growl. Das lässt sich am ehesten mit einem langgezogenen Grunzen vergleichen. „Grün“ leuchtet auf.
Jurorin Sonnenberg verspricht in Anlehnung an den Text: „Ich steig in dein Auto ein. Ich find dich saucool.“
Regen hört „sehr viele Klangfarben, sogar Stevie Wonder“ heraus.
Hat der auch einmal gegrowlt?
Ob der allgemeinen Begeisterung über Larcher kommt die Frage auf: „Warum kein Star-Ticket?“
Arabella: „Dann hättet ihr ihm doch eines gegeben!“
Das Zustandekommen der Entscheidungen ist noch etwas schwer ergründlich.
Einspringerin scheidet aus
Magdalena Huber ist eingesprungen, aufgrund eines Coronafalls in der Kandidatenriege. Trotzdem ist die 24-jährige Wienerin die einzige, die mit Fieber auf die Bühne darf, sagt Kiesbauer. Dem Song "Fever" von Peggy Lee wohlgemerkt.
Das Fieberthermometer der Jury zeigt "Rot". Regen übernimmt erneut die Aufgabe, die Entscheidung zu erklären.
Kiesbauer zeigt sich „völlig konsterniert“ über das Ausscheiden der Jazz- und Popgesangsstudentin. „Ich kann mir das nur so vorstellen, dass die Starmania-Bühne nicht die richtige für dich ist.“
Noch ein "Star-Ticket"
Es folgt Vanessa Dulhofer. Die 16-jährige Schülerin kommt aus Traiskirchen in Niederösterreich und singt „Wie schön du bist“ von Sarah Connor. Sie will damit ausdrücken, dass sie sich so wohl fühlt, wie sie ist und stolz darauf ist. Kurze Haare und eine Haube sind ihr Markenzeichen. Ab nun auch eine glaskare Stimme mit viel glaubwürdiger Emotion. Das wird mit dem zweiten „Star-Ticket“ gewürdigt.
Die Juroren, die schon während der Gesangsdarbietung an den Lippen der Sängerin hingen, sprudeln vor Lob nur so über. „Ich find dich einfach toll. Wenn ich mal groß bin, werd ich so wie du“, sagt Sonnenberg. Regen sagt: „Während ich Lieder darüber schreibe, dass ich nicht so sein kann, wie ich bin, hast du das längst erledigt.“ Bendzko spricht von durchgehender Gänsehaut, und vom Gefühl, „dass jedes Wort, dass du gesungen hast, so gemeint war“.
Dann kommt ein bisschen Schunkelstimmung auf. Der 29-jährige französisch-kanadische Sänger Antoine Humbert singt „Les Champs-Élysées“ von Joe Dassin, leicht modernisiert. Der Tauchmeister, von Kiesbauer kurz zum Meeresbiologen upgegraded, sagt: „Ich mag, was ist wild.“
Zwar leuchtet die grüne Farbe auf, aber keiner in der Jury kann es sich so richtig erklären. Sonnenberg sagt es am deutlichsten: „Bei einer Karaoke-Party hätte ich dir zehn Bier ausgegeben“, aber hier auf die Bühne habe es nicht gepasst.
„I hab schon immer eine brutal hohe Stimme gehabt“, sagt Markus Manzl, ein 17-jähriger Schüler aus St. Johann im Pongau. Er singt „Stay With Me“ von Sam Smith. Auch er darf sich über Grün freuen und rückt damit dem Semifinale (die Shows 5 und 6) näher.
Bendzko hat gefallen, dass der Song „nicht auf einem Level durchgeballert“ wurde. „Wenn ich so singen könnte, würde ich’s vielleicht auch mal zu was bringen“, sagt er mit nicht ganz ernst gemeinter Bescheidenheit.
Regen hätte sich „etwas mehr Gefühl“ gewünscht.
„Noch mehr Gefühl? Ich hätt beinahe geweint“, meint Bendzko.
Regen greift wieder ins Österreichische Wörterbuch: „ein Haucherl zu inszeniert“ sei es gewesen.
Umarmte Weiblichkeit
Mehr als ein Haucherl legt Diego Federico (24) drauf. Er ist Südtiroler, Musicaldarsteller, Lehrer und Choreograf und singt „Stupid Love“ von Lady Gaga so, wie Musicaldarsteller und Choreografen es halt tun.
„Was sind denn das für witzige Hosenträger?“, fragt Kiesbauer. Sie spricht seinen Bondage-Gurt an. „Manche mögen’s leidenschaftlich in die eine Richtung, manche in die andere“, sagt er. Und: „Ein Mann sollte auch seine Weiblichkeit umarmen können.“
Umarmen ist derzeit nicht so hoch im Kurs. Sonnenberg wirkt skeptisch. „Du hast dir wirklich eine Choreo ausgedacht, das hat mich unterhalten, das gehört zum Star-Sein dazu, beim Rest bin ich super gespannt.“
Bendzko: „Ich bin auch ein bisschen zwiegespalten …“
„… im Wiglwogl. Hast' es?“, korrigiert Regen.
Was Bendzko sagen wollte: neben der überbordenden Show habe „der Gesang gelitten, manche hohen Töne haben weh getan“. Aber offenbar nicht genug, Federicos Chance lebt.
Victoria Naglmair, eine 17-jährige Schülerin aus Schrems (NÖ) wagt sich an „Piece of My Heart“ von Janis Joplin heran. Das hat übrigens auch Christina Stürmer - damals noch „Christl“ - bei „Starmania“ getan. „Das gesamte Waldviertel ist voll dabei“, sagen Freundinnen im Vorstellungsvideo.
In diesem Fall war das Waldviertel leider beim Ausscheiden dabei.
Ina Regen hat im Vergleich zum realen Vorbild Janis Joplin, „Leidenschaft und Verzweiflung" gefehlt.
Es habe trotzdem „megaviel Spaß gemacht“, bedankt sich die Waldviertlerin.
Singen wie beim Frisör
Uwe Painer ist der älteste Teilnehmer in der „Starmania“-Geschichte. Der 40-jährige kommt aus Stögersdorf in der Steiermark und steht beruflich als Techniker an der Druckmaschine. Dennoch singt er „Keine Maschine“, ein Song von Tim Bendzko. Jener Tim Bendzko, der ausgerechnet in der Jury sitzt. „Es ist nicht anders gegangen“, sagt Rainer. „Ich verbinde so viel mit dem Song.“ Vor allem viele Frisörbesuche, denn auch dort singe er den Song „sehr gern“.
Aber Ina Regen muss schon wieder „schlechte Nachrichten überbringen“, ihr entgleitet ein „Fuck“. Der Song habe ihr „zu wenig erzählt, es ist mir nicht entgegengekommen.“
Bendzko, der nach dem Auftritt des Steirers noch aufgesprungen ist und geklatscht hat, versichert: „Es kann nicht an mir gelegen sein.“ Wiewohl er zu bedenken gibt: „Ich kenne wenige Songs besser als meine eigenen."
Sonnenberg verspricht derweil schon die nächste Party: „Ich komm zu deinem Konzert im Barber Shop.“
Als letzte kommt Julia Novohradsky dran: Die 19-jährige Wienerin studiert Inklusive Pädagogik und Anglistik und singt „Addicted To You“ von Avicii.
Strahlend nimmt sie die Nachricht entgegen, dass auch sie noch im Rennen bleibt.
Ergebnisröhrchen
Arabella muss sich nach den 16 Auftritten selbst über den Modus wundern: „Was ist da los? Zehn Weiter-Tickets habt ihr vergeben. Aber es dürfen nur acht weiter.“
Andersrum gefragt: Sollten wirklich einmal genau acht Leute "Grün" oder "Star-Ticket" bekommen, fällt dann auch das Zittern um die berühmten Ergebnisröhrchen weg?
Da die drei Juroren nur sechs Teilnehmer direkt mit "Rot" nach Hause geschickt haben, aber noch zwei Aussteiger ermittelt werden müssen, ist in diesem Fall ein weiterer Entscheidungsprozess der Jury notwendig. Und so kann sich Kiesbauer am Ende über ihre "geliebten Ergebnisröhrchen" freuen, aus denen sie die Namen der glücklichen Kandidatinnen und Kandidaten zieht. Auch das obligatorische "Wo soll ich anfangen?" lässt sie nicht aus. Ein bisschen Nostalgie darf sein. Wenngleich die Corona-geplagte Bevölkerung schon sehr viel Erfahrung mit "Ergebnisröhrchen" gesammelt hat.
Das Ergebnis in den Röhrchen: Diego Federico, Antoine Humbert, Teodor Munjas und Lisa Wessely scheiden trotz Grün-Wertung aus.
Nächste Woche geht es weiter - mit 16 neuen Kandidaten, die um einen Semifinalplatz kämpfen.
Ausreichend Zeit, um sich das Regelwerk einzuprägen.