Polaschek sagte zehn Mal, er werde sich "das anschauen"
Von Peter Temel
*Disclaimer: Das TV-Tagebuch ist eine streng subjektive Zusammenfassung des TV-Abends.*
Schauen Sie sich das an. Armin Wolf hatte am Mittwochabend Martin Polaschek in der „ZiB 2“ zu Gast. Anlass: Für diesen gehe nun „sein erstes Schuljahr als Bildungsminister“ zu Ende.
Zieht man dieses Interview heran, hat man tatsächlich den Eindruck, Polaschek müsse noch einiges (zumindest über politische Kommunikation) lernen.
Wolf spricht zu Beginn den Lehrermangel an, dieser könne doch nicht überraschend sein.
Polaschek Martin spricht von „selbstverständlich“ genauen Berechnungen, aber es habe sich gezeigt, „dass gerade durch die Pandemie hier einiges in Bewegung gekommen ist“, dass vermehrt Lehrerin und Lehrer früher in Pension gegangen seien. „Und wir müssen jetzt einfach schauen, wie wir auf diese neue Herausforderung reagieren.“
Durch ein neues Quereinsteigerprogramm will Polaschek 300 bis 500 Lehrerinnen und Lehrer im Jahr zusätzlich ansprechen.
Wolf bezeichnet das als „ohnehin optimistisch“. Vor wenigen Monaten habe das Ministerium noch mit 150 gerechnet. „Es ist bei 120.000 Lehrkräften in Österreich praktisch nichts.“
Polaschek: "Ja, aber es geht ja nicht darum, wie viel es auf die Gesamtzahl gerechnet wird, sondern wie viel wir im Jahr brauchen.“
Wolf: „Ja, mehrere tausend“.
Polaschek gibt zu: „Aber wir brauchen im Grunde genommen 3000“. In einigen Unterrichtsfächern gebe es „eben größeren Bedarf“.
Eben. Aber was ist die Lösung?
Wolf nennt die MINT-Fächer Mathematik, Physik, Chemie, aber auch „bestimmte Bundesländer“ mit Mehrbedarf. Warum man nicht, ähnlich wie in der Privatwirtschaft, auf finanzielle Anreize setze?
Polaschek greift in seiner Antwort nur den Bundesländer-Aspekt heraus und doziert:
„Es gab in früheren Zeiten der Monarchie regional verschiedene Bezahlungen. Das würde allerdings auch dazu führen, dass wir möglicherweise nur Wanderbewegungen von einem Bundesland zum anderen haben. Das heißt, es würde dann zu einer Loch-Auf-Loch-Zu-Thematik kommen. Weil ja deshalb nicht mehr Personen zur Verfügung stehen.“
Auf die Nachfrage, warum man nicht in den MINT-Fächern mehr bezahle, meint Polaschek: „Das passiert ohnehin schon. Es gibt für bestimmte Fächer bestimmte Zulagen.“
Kleinigkeiten
Dass das Lehramtsstudium für alle auf mindestens vier Jahre verlängert wurde und ein verpflichtendes Masterstudium mit zwei Jahren zusätzlich draufgesetzt wurde, verteidigt Polaschek als „politische Entscheidung, die vor fast zehn Jahren gefällt worden ist“. Es habe eine intensive Diskussion um Qualität gegeben und einen großen Wunsch danach, „dass mehr bildungswissenschaftliche Grundlagen unterrichtet werden“.
Wolf: „Also es bleibt dabei?“
„Wir werden uns das jetzt sehr genau anschauen“, meint Polaschek. Das seien „im Grunde genommen Kleinigkeiten“.
Einem dem TV-Tagebuchschreiber bekannten Lehrer-Quereinsteiger, der seit mehreren Jahren in einem MINT-Fach unterrichtet und noch immer eine starke Doppelbelastung mit der nachzuholenden Lehramtsprüfung hat, wird das nicht als „Kleinigkeit“ vorkommen.
Polaschek fährt fort; „Wir werden auf jeden Fall jetzt in intensive Gespräche mit den Universitäten und pädagogischen Hochschulen treten. Das, was wir jetzt gerade tun, ist: Wir warten noch die Evaluierung ab. Es ist nämlich so, dass vor ungefähr zwei Jahren eine umfangreiche Evaluierung der Lehramts-Studien eingeleitet worden ist. Diese Ergebnisse sollen in den nächsten Wochen auf dem Tisch liegen. Und auf die warten wir noch, und dann werden wir uns sehr genau anschauen, wo wir allenfalls Anpassungsbedarf haben.“
Das Lehrer-Bild
Wolf weist noch einmal auf die Problemlage hin: „Bis 2030 wird es an den Pflichtschulen um fünf Prozent mehr Kinder geben, aber durch Pensionierungen um 25 Prozent weniger Lehrkräfte und an den höheren Schulen geht sogar ein Drittel der Lehrkräfte in Pension bis 2030.“ Es brauche auch „mehr unterstützendes Personal in der Verwaltung, SchulpsychologInnen und SozialarbeiterInnen, damit sich die Lehrer und Lehrerinnen wieder mehr aufs Unterrichten konzentrieren können. Da passiert viel zu wenig.“
Polaschek bekräftigt: „Da wird sehr viel in der nächsten Zeit passieren. Wir arbeiten sehr intensiv auf mehreren Ebenen. Das eine ist einmal, dass wir auf jeden Fall ein wirklich modernes Lehrerinnen- und Lehrer-Bild brauchen.“
Wolf ist das zu wolkig. Er sagt: „Entschuldigung, da braucht man ein Bild dafür? Also das weiß man doch, was ein Lehrer oder eine Lehrerin tut.“
Polaschek spricht von Klischees und „negativen Meldungen über die Schule“, die verbreitet würden. Es passiere aber „großartige Arbeit in den Schulen. Die Schülerinnen und Schüler sind extrem engagiert. Wir haben ein tolles Schulsystem, das verbessert gehört, keine Frage.“
Zuviel Nachhilfe? Mal anschauen ...
Wolf macht das nächste Loch auf: Die Arbeiterkammer habe festgestellt, dass 16 Prozent der Volksschüler Nachhilfe nehmen. Vor fünf Jahren waren es demnach nur fünf Prozent. Offenbar gibt es einen Zusammenhang mit der Wiedereinführung der Ziffernnoten. Ob das „eine gute Idee“ (von der türkis-blauen Regierung Anm.) gewesen sei?
„Man müsste sich anschauen, ob davor, als es noch Ziffernnoten gab, bevor man mit diesem System aufgehört hat, die Zahlen in der Nachhilfe ebenfalls hoch waren. Und nur durch die Rücknahme der Noten dann auch die Nachhilfe zurückgegangen ist. Diese Zahlen werden wir uns genau anschauen.“ Aber er wolle „noch einmal auf die vorige Frage zurückkommen“.
Wolf will bei der Frage bleiben: „Erschüttert Sie das nicht, dass ein Sechstel der Volksschüler Nachhilfe nimmt?“
Polaschek: „Man muss sich anschauen, warum wirklich diese Nachhilfe gebraucht wird. Geht es darum, dass die Kinder wirklich Bedarf haben? Bedeutet das, dass wir auch aufgrund der Corona-Situation hier einen Bedarf haben?“. Es seien bereits verschiedenste Unterstützungsmaßnahmen eingeführt worden. „Aber wir werden natürlich jetzt genau die Situation analysieren. Weil natürlich diese Zahlen einem zu denken geben“, die Nachhilfesituation brenne unter den Nägeln.
Corona-Regelungen eine Woche vor Schulbeginn
Die Corona-Maßnahmen für das nächste Schuljahr würden den Schuldirektionen erst am 29. August kommuniziert, führt Wolf aus. „Das ist eine Woche vor Schulbeginn. Halten Sie das für eine seriöse Planung?“
Die verschiedenen Strategien für verschiedene Szenarien würden gerade erarbeitet, erklärt Polaschek. „Aber es geht ja darum, dann zu schauen, wie entwickelt sich die Pandemie? Wie entwickeln sich Infektionszahlen und es macht wenig Sinn weiter vorne entsprechend schon Maßnahmen zu treffen, wenn man nicht weiß, wie sich die Zahlen entwickeln. Und die Schule hat dann eine Woche Zeit zu wissen, mit welchen Szenarien man beginnt.“
Im Grunde werde es nur darum gehen: “Wird es notwendig sein Masken zu tragen, wird es notwendig sein Abstand zu halten und so weiter.“
Was Tests betreffe, laufe gerade ein Auswahlverfahren, aus dem fünf Anbieter bestimmt werden sollen.
„Jetzt muss ich Sie unterbrechen, Herr Minister“
Dann will Wolf wissen, warum es die von der Gewerkschaft geforderten CO2-Messgeräte auch im kommenden Schuljahr nicht geben werde.
Polaschek: „Wir werden uns das noch einmal genau anschauen. Nachdem dieses Ersuchen wieder gekommen ist …“
„Jetzt muss ich Sie unterbrechen, Herr Minister“, wirft Wolf ein, „weil Sie haben jetzt auf praktisch jede Frage, die ich gestellt habe, gesagt, wir werden uns das anschauen. Ist das nicht alles ein bisschen spät? Also gibt es dann irgendwann auch Ergebnisse?“
Polaschek findet zunächst zumindest eine neue Formulierung: „Wir arbeiten daran“, sagt er.
Es habe „sehr gute Argumente“ gegeben, sie nicht überall einzuführen, „weil diese Messgeräte auch nicht 100 Prozent genau sind. Nachdem es jetzt gekommen ist, werden wir es noch einmal anschauen.“
Aber warum ein bewährtes System ändern? Der Bildungsminister bleibt hartnäckig beim Anschauen.
Keine Zeitung gelesen
Jetzt will sich Wolf noch anschauen, was Polaschek in seiner Funktion als Wissenschaftsminister zur Auflösung des Corona-Panels sagt. Dieses Wissenschaftergremium habe in der Pandemie „vielgelobte und sehr interessante Studien“ erstellt. Ob es „auf die paar 100.000 Euro“ ankäme?
Polaschek sieht sich nicht zuständig. „Dieses Panel wird nicht vom Wissenschaftsministerium finanziert", sagt er.
„Aber Sie könnten es finanzieren“, kontert Wolf.
„Es ist bislang noch niemand mit dieser Thematik an mich herangetreten“ meint Polaschek. „Mir ist nicht bekannt, dass hier eine Finanzierungslücke in diesem Bereich besteht. Wir können uns das gerne anschauen in dem Fall.“
Jetzt halten wir bei der zehnten Wiederholung von „etwas anschauen“. Haben wir es hier möglicherweise mit einem kuriosen Rekordversuch zu tun?
Offenbar hat Polaschek nicht in die Zeitungen geschaut. Denn das mit dem Corona-Panel, „das stand tatsächlich in den letzten Tagen in jeder Zeitung des Landes“, sagt Wolf.
Und jetzt passiert etwas Ungewöhnliches. Polaschek. im Dezember als Quereinsteiger aus der Wissenschaft in die Politik eingestiegen, gibt zu, die Thematik übersehen zu haben. „Ich war jetzt zwei Tage in den Schulen unterwegs. Ich war bei einem Treffen im Ausland mit meiner deutschen Ministerkollegin. Es tut mir leid, aber dieses eine Thema ist nicht an mich herangetragen worden.“
Wolf bleibt unbeeindruckt: Er hätte „ohnehin gehofft, dass Ihre Beamten die Zeitungen lesen. Dass Sie auch anderes zu tun haben, ist mir klar.“
Keine Eigenbenotung
Die Frage nach der Schulnote, die sich Polaschek selber fürs erste halbe Jahr geben würde, kann freilich nicht ausbleiben.
Polaschek findet, „man soll sich nicht selber benoten, weil man wahrscheinlich nie objektiv ist. Aber ich darf daran erinnern, was wir alles zu bewältigen hatten. Wir haben eine Pandemie.“
Diese Antwort lässt darauf schließen, dass es subjektiv wohl keine allzu gute Note wäre. Aber Polaschek wiederholt: „Sich selber zu benoten, funktioniert eigentlich nicht.“
Überraschendes Ende
Abschließend wird der ehemalige Grazer Unirektor gefragt, was Ihn in der Politik am meisten überrascht habe.
Und jetzt wird es wirklich überraschend. Polaschek: „Am meisten hat mich überrascht, dass man im Großen und Ganzen keine Minute mehr Privatleben hat. Man steht ständig unter Beobachtung. Und dass man eigentlich in Interviewsituationen selten die Möglichkeit hat in Ruhe auf Fragen zu antworten, weil es immer nur um eine punktuelle Antwort geht, bei der man irgendwie dann möglicherweise nicht in ein so gutes Licht gerät, wie man es eigentlich verdient hätte.“
Das bezieht Wolf natürlich auf das aktuelle Interview: „Aber das Fernsehinterviews irgendwie nicht stundenlang dauern, das wussten sie vorher auch schon …“
Polaschek: „Ja, das weiß ich natürlich, aber ich hätte mir gedacht, dass wir ein bisschen mehr auch auf die Punkte kommen, die mir wichtig sind.“
Jetzt hätte man auf gut Wienerisch sagen können, Polaschek könnte die „wichtigen Punkte“ ja in ein Sackerl reden.
Oder man könnte auch in Polaschek-Manier antworten: „Ich werde mir das anschauen.“
Aber Wolf reagierte natürlich wie Wolf: „Sie erlauben, dass ich die Fragen stelle. Aber vielen Dank für den Besuch.“