Bachmannpreis 2022, Tag 2: Hipster-Bäcker und ein aufgeklebter Schnurrbart
Von Nina Oberbucher
Er begann mit einer Kröte und endete mit einem Stunt – der zweite Tag des Bachmannpreises, des alljährlichen Wettlesens in Klagenfurt, bei dem Jurorinnen und Juroren ausführlich diskutieren und Autorinnen und Autoren auch Texte vortragen dürfen.
Den Auftakt machte Ana Marwan mit der „Wechselkröte“ über eine einsame Frau, die in einem Haus am Land lebt (zwischen „Idylle und Horror“, wie Juror Klaus Kastberger anmerkte) und sich der Frage des Kinderkriegens widmet, um zum Schluss zu kommen: „Alles absaugen.“ Die Jury ortete Bezüge von „Apocalypse Now“ bis Marlen Haushofers „Die Wand“, Jurorin Mara Delius lobte den Text als „großartiges Eremitinnenporträt“.
Kritischer wurde der zweite Beitrag beurteilt, „Vae victis“ von Behzahd Karim Khani – eine „gute Genreerzählung und Knastgeschichte“, die jedoch ihre „Begrenzung“ habe, so Jurychefin Insa Wilke. Uneinigkeit herrschte darüber, ob die beschriebene „Hipster-Boulangerie“ zum Gefängnis passt, Kastberger war in dem Text „zu viel Testosteron drinnen“.
Ewig zuhören könne er hingegen dem in Bagdad geborenen Autor Usama Al Shahmani, der den Lesevormittag mit seinem „Porträt des Verschwindens“ beschloss. Ein „grandioser Text über Heimat“ und die Frage, wie man diese in die fremde Welt im Exil mitnehme. Harte Worte kamen von Philipp Tingler: „Dieser Text ist so konventionell, als hätte ein Algorithmus ihn geschrieben.“
Die Frage, ob für Literatur, die sich in anderen Traditionen bewegt, deutsche Wertungskriterien anwendbar seien, weckte die Jury aus der Mittagsmüdigkeit, die Diskussion wurde jedoch von der beginnenden Pause beendet.
Hitzig ging es am Nachmittag weiter: Barbara Zeman unternahm in „Sand“ eine Reise nach Venedig bzw. Chioggia. „Erschlagen“ fühlte sich Vea Kaiser von den Zeichen und Symbolen. Mara Delius empfand den Stil als „aus der Mode gekommen“, Tingler pflichtete ihr bei. Brigitte Schwens-Harrant musste sich hingegen über ihre Jury-Kollegen „sehr ärgern“: Der Vorwurf des „Betulichen“ komme immer, „wenn ein Text lyrisch wirkt“. Moderator Christian Ankowitsch lernte, dass „ein lyrischer, stiller Text für Krawall sorgen kann“.
Der ungewöhnlichste Auftritt kam zum Schluss: Die Deutsche Mara Genschel las „Das Fenster zum Hof“ – mit aufgeklebtem Schnurrbart und amerikanischem Akzent. Das Publikum lachte mehrmals laut. Für Michael Wiederstein nicht nur eine Performance oder ein Text, sondern „ein Stunt“. Bezüge auf den Bewerb wertete Delius als „dröge“, während Kastberger die Sinnhaftigkeit der Jurykritik infrage stellte. Die Diskussionsfreude schien jedenfalls aufgebraucht, sogar bei Philipp Tingler: „Ich habe jetzt keine Lust mehr.“