Kultur

documenta: Der Antisemitismus hat sich versteckt

„Ich kann beim besten Willen kein Hakenkreuz entdecken“, nannte der Maler Martin Kippenberger 1984 eines seiner Bilder, das durcheinandergewürfelte Balken zeigt. Er spielte damit auf eine Debatte um Maler wie Jörg Immendorf an, die durch ihre „deutschen“ Motive (Helme, Adler etc.) in Verdacht geraten waren, an NS-Verharmlosung anzustreifen.

Auf der Kunstschau documenta fifteen, die bis 25. September, dauert, sind ebenso keine Hakenkreuze auszumachen. Aber die Kritik an der Veranstaltung reißt nicht ab. Am Montag forderte der Direktor der Bildungsstätte Anne Frank, Meron Mendel, die Verantwortlichen der Weltkunstausstellung in Kassel auf, einen Beitrag des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi wegen antisemitischer Motive zu entfernen. Auf einem großflächigen Banner am Friedrichsplatz ist unter anderem ein Soldat mit Schweinsgesicht zu sehen. Er trägt ein Halstuch mit einem Davidstern und einen Helm mit der Aufschrift „Mossad“, der Bezeichnung des israelischen Auslandsgeheimdienstes.  „Diese Bilder lassen überhaupt keinen Interpretationsspielraum zu. Das ist klare antisemitische Hetze", sagte Mendel am Montag der dpa.

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Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte bereits in seiner Eröffnungsrede am Samstag das Fehlen israelischer Kunstschaffender in der Schau angesprochen.

"Es fällt auf, wenn auf dieser bedeutenden Ausstellung zeitgenössischer Kunst wohl keine jüdischen Künstlerinnen oder Künstler aus Israel vertreten sind", erklärte er und gab zu, dass er erwogen habe, der Eröffnung diesmal fernzubleiben. Dass er es sich anders überlegte, habe damit zu tun, dass der die Kunstschau als Ort des Diskurses stärken wolle:  "Sie hat unser Vertrauen verdient, der Zukunftsort einer wirklichen Weltgemeinschaft der Kunst zu sein – ohne Boykott und ohne Vorverurteilung."

Boykott oder einfach nur Selektivität?

Die Beteuerung ruangrupas, es würden  auf der documenta keine antisemitischen Äußerungen gemacht, schien bis zuletzt wohl haltbar –  allerdings fällt in der Schau eine Häufung pro-palästinensischer Positionen ohne Gegengewicht auf.

Der Raum im Kulturzentrum „WH22“, der im Vorfeld von Vandalen mit als Morddrohung gedeuteten Codes beschmiert worden war, ist wieder getüncht; das vorab als israelfeindlich gebrandmarkte Kollektiv „The Question of Funding“ („Die Frage der Finanzierung“) gibt dort der Gruppe Eltiqua, die im Gazastreifen eine Galerie und Kunstaktionen betreibt, eine Präsentationsfläche.

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Palästinensische Gruppe

Zu sehen sind Gemälde, Zeichnungen und die Fotomontagen-Serie „Guernica Gaza“, für die Mohammed Al Hawajri bekannte Kunstwerke mit Aufnahmen kriegerischer Auseinandersetzungen in der Region kombinierte – in einem Bild schwebt etwa das Liebespaar aus Marc Chagalls Bild „Über die Stadt“ oberhalb einer Ansicht israelischer Sperranlagen.

Begleitet werden die Bilder von Dokumenten über die Finanzierung der Gruppe – aus ihr geht hervor, dass Eltiqa u. a. vom saudischen Ex-Ölminister Ahmed Zaki Yamani, aber auch der UNESCO und dem Goethe-Institut gefördert worden war.

In den sozialen Medien regte sich sogleich Unmut - vor allem aufgrund des Titels: War die spanische Stadt Guernica doch 1937 von deutschen Bombern attackiert wurden. Der Titel setze daher Israel mit dem NS-Regime gleich, hieß es. Am Samstag riefen BDS-Gegner zu Protesten auf dem Friedrichsplatz auf - doch auch pro-palästinensische Aktivisten waren mit Spruchbändern zugegen.

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Insgesamt wäre natürlich zu diskutieren, welche blinden Flecken und Voreingenommenheiten der „globale Süden“, als dessen Bühne sich die documenta diesmal begreift, ins Kunstfeld einbringt – das Team ruangrupa exkludiert in seinem Programm nämlich nicht nur Künstlerinnen und Künstler aus Israel, sondern auch vieles andere – darunter praktisch die gesamte westliche Kunstwelt.

Ausgewogen ist anders

Dass es Vernetzungen zwischen palästinensischen Aktivisten und anderen Widerstandsgruppen gibt, wird an anderen Stellen der Schau sichtbar – etwa bei der Bibliothek der „Black Archives“ aus Amsterdam mit Büchern über Bezüge zwischen Palästina und Black-Power-Bewegung. Prominent vertreten ist auch das Kollektiv „Subversive Film“, das palästinensischen Propagandafilme zeigt, die über ein „Solidaritätsnetzwerk“ nach Japan gelangt waren. Sie sind sowohl im Filmprogramm als auch in einem Saal im Hübner-Areal, einem prominenten Austragungsort der documenta in einem zwischengenutzen Industriebau, zu sehen.

Auf die sprichwörtliche Goldwaage gelegt, wird diese wohl eindeutig in die pro-palästinensische Richtung kippen.

Doch die Kunst hätte auch die Möglichkeit, Dinge mit Augenzwinkern zu nehmen: In Kassel macht es der Künstler Hamja Hassan vor, indem er falsche Reklamen für Hühnerimbissstuben – die in manchen Kreisen verdächtigt wurden, islamistische Treffpunkte zu sein – in der Stadt platziert. Wer versteckte Netzwerke sucht, wird sie also auch anderswo finden.

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