Kolumnen

Rabinowich geht essen: Der Frühling dauert ganz kurz ewig

Wenn der Sommer langsam in den Startlöchern scharrt, verändert sich die Speisekarte des anständig gehobenen Restaurants, das mit regionalen Speisen verwöhnt. „Der Spargel wächst“ war mal. Jene Veronika, die so enthusiastisch darüber informiert wurde, müsste eigentlich in einem Antwortlied bald des Spargels Ende einläuten. Auf der Kippe zwischen Anfang und Ende Juni verebben Spargelfreuden irgendwann gnadenlos.

Leider auch im geliebten Gasthaus Wild, wo zwar Kochkünstler zugange sind, aber keine Magier mit Einfluss auf das Raumzeitkontinuum. Verweile doch, du bist so schön, haucht man dem Spargel zu. Vergeblich. Und schon ist man gezwungen, auf der letzten Spargelwelle zu surfen. Etwas Verwegenes und Nostalgisches gleichermaßen.

Der Spargel hat etwas Erotisierendes und Entwässerndes gleichermaßen, er ist Symbol für die Wiederauferstehung der Natur nach dem langen Winterschlaf und wenn man es mit der Sauce nicht übertreibt, kann man sogar Diätallüren mit ihm stillen. Muss man aber nicht!

Staubzuckerlüge

Außerdem ist Spargel verführerisch fatal. Eine verhängnisvolle Affäre. Man kann einfach nie genug Spargel haben. Zuerst als Beilage zum marinierten Matjes an Wasabi – was zwar absurd klingt, aber in seiner Absurdität überzeugend gut schmeckt. Um diese Seltsamkeit noch auf die Spitze zu treiben, begleitet ein Marillennektar mit Mineralwasser den Hering auf seinem letzten Weg.

Danach das stämmige, knackig-frische und schonend gegarte edle Erzeugnis des Marchfeldes in Kombination mit butterglänzenden Babykartöffelchen an sämiger, intensiver Sauce Hollandaise. Das macht zwar auch keinen Frühling mehr, aber dafür den perfekten Tag.

Und wenn man diesen Tag im Gastgarten des Gasthaus Wild verbringt, unter einem weinroten runden Sonnenschirm umringt von Oleandern in Töpfen: Dann wähnt man sich im Schlaraffenland und der Frühling dauert ganz kurz ewig. Und jedenfalls der Genussaugenblick. Nach dem Spargel und noch vor dem zweiten Espresso macchiato folgt die Süße des Lebens. In Verkörperung eines saftigen Apfelbirnenstrudels mit Bröseln und einem nachgiebigen Leib in zartem Strudelteig.

Wer sich jetzt belügen will, lässt den Staubzucker aus, ich will aber wagemutig aufs Ganze gehen und verspeise ihn samt Zucker, der Garnitur aus zartrosa Erdbeeren und zweierlei Fruchtspiegel, der psychedelische Muster bildet. Den dramatisch aufgetürmten Schlagobersgupf lassen wir hingegen so tapfer wie asketisch aus, denn der anwesende Hund will auch etwas vom Gelage haben.

Der Gastgarten täuscht eine Idylle mitten in der Stadt vor und der Kaffee Italien. Der rote Sonnenschirm bekommt bei näherer und gesättigter Betrachtung etwas Asiatisches, was wiederum den vorangehenden Wasabieinsatz rechtfertigt.

Der Spargel und der Strudel hingegen feiern die traditionellen bodenständigen Werte. Eine Balance, die ihresgleichen sucht.

Gasthaus Wild
Radetzkyplatz 1, 1030 Wien
01/920 94 77, gasthaus-wild.at
täglich 10–24 Uhr (Küche 11.30–23 Uhr), sonn- und feiertags 11.30–22 Uhr