Kolumnen

Johannas Fest: Sprengstoff Tischmanieren

Theresa ist knapp vor dem Explodieren: Ihr Partner, ein Akademiker in Führungsposition, hat schon wieder das Messer abgeschleckt. Das treibt sie zur Weißglut, nicht nur dann, wenn auch andere mit dem Paar eine Mahlzeit teilen.

Annas Mutter Klara muss sich sehr beherrschen, um ihren Aggressionen nicht freien Lauf zu lassen. Sieht man der 17-jährigen Tochter beim Essen zu, würde man meinen, sie hätte einige Semester über dem großen Teich gelebt: In amerikanischer Manier zerlegt der Spross aus bester Familie alles, was am Teller ist, in mundgerechte Bissen, ehe sie dann das Messer beiseitelegt und sich nur mehr mit der Gabel Nahrung zuführt.

Auch Martina ist jeweils vor Wut am Platzen, wenn ihr Mann Carlo seine Körndl mit den Zähnen so gründlich und geräuschvoll zermalmt, wie eine Schnitzer-Getreidemühle. Sabrina wiederum spricht mit vollem Mund, ihren Partner Harald stört das aber weniger, weil er zur gleichen Unsitte neigt.

Wenn sich nach Jahren der Bitten an den Tischmanieren der Partnerin oder des Partners nichts ändert, gibt es nur drei Möglichkeiten: die Trennung – also zumindest vom gemeinsamen Tisch; die Erweiterung der persönlichen Frustrationstoleranz-Grenze oder die Resignation.

Was Freunde oder Lebenspartner dulden, kann im Geschäftsleben zum Karrierekiller werden.

Etikette

Tischsitten sind ein Kulturgut. Wer sie nicht im familiären Rahmen oder in einem elitären Internat vermittelt bekam, sollte das Etikette-Defizit dringend bearbeiten. Spätestens beim Business-Lunch oder bei der Feier eines Geschäftsabschlusses im Haubenlokal kann das Manko „Tischsitten“ nämlich zur Aufstiegsbremse werden.

Die Liste der Fauxpas bei Tisch ist unerschöpflich:

– als Eingeladener das Teuerste von der Speisekarte bestellen

– zu lautes Sprechen oder leises Wispern

– das Bestreichen einer ungebrochenen Brotscheibe mit Butter

– der Griff in den rechts neben einem servierten Salatteller (der gehört dem Nachbarn, der eigene steht schließlich immer links)

– Fuchteln mit der Gabel und

– ständiges Starren aufs Handy.

Wie wir essen, ist biologisch nicht vorgegeben, sondern erlernt. Und es offenbart, was für gewöhnlich nicht im Lebenslauf steht: unsere soziale und kulturelle Herkunft.