Johannas Fest: Ausgefallenes auf dem Teller
Von Johanna Zugmann
Vergangene Woche waren wir bei Carina und Martin eingeladen. Die beiden sind Naturfreunde und Jäger. Martin ist Land- und Forstwirt, hat eine eigene Jagd und züchtet Rinder und Schweine.
Den Tisch hatten die beiden an diesem wettermäßig unbeständigen Sonntag in der zum Garten hin offenen Scheune des Guts mit zahlreichen Jagdtrophäen an den Wänden gedeckt. Carina assistierte Martin, der gekocht hatte, beim Auftragen des Mittagmahls.
Ganz professionell hatte er das Fleisch nach dem Braten noch zum Rasten in Alufolie gewickelt. Dazu gab es Rosmarin-Bratkartoffel und eine dicke, fast schwarze, köstliche Sauce. „Da ist Schokolade drin“, erkannte ich schon vor dem Probieren.
„Ja, das Rezept hab’ ich von einem Freund, der einmal als Sous-Chef bei einem Haubenkoch gearbeitet hat“, verriet der Gastgeber und sparte nicht an Details: „Der Bratensatz in der Pfanne wird mit Rotwein abgelöscht, die Flüssigkeit lässt man stundenlang einreduzieren. Dazu kommen Schalotten, etwas Ingwer, die Schale einer Viertel Bio-Orange und zum Schluss eine Zimtrinde.“
Was war es?
Danach veranstaltete Martin mit uns ein Quiz. Was für ein Fleisch ist es? Ich tippte einmal auf Rinderfilet wegen der zarten Struktur. – Falsch! Wild war es auch nicht.
„Das Fleisch dieses Tieres ist heimisch und war bei uns noch vor Jahrzehnten häufig auf den Tellern, ehe es mehr und mehr aus der Mode kam“, warf uns der Koch Hölzel.
Da die Sauce so dominant war, ließ sich anhand des Geschmacks kaum identifizieren, was wir aßen. Schließlich lüftete Martin das Geheimnis: Pferd!
Mein Schock blieb aus. Weder musste ich mich übergeben, noch hatte ich das Gefühl, einem Etikettenschwindel aufgesessen zu sein. Schließlich kredenzte meine Mutter, eine gebürtige Schweizerin, uns sechs Kindern ein paar Mal im Jahr sonntags Fohlenschnitzel. Die waren billiger als Rind- oder gar Kalbfleisch.
War die Pferdeleberkäse-Semmel für viele fast ein Wiener Kulturgut, verzehrt man im zivilisierten Österreich kaum mehr Ross. Das hat drei Gründe: Mit dem Wirtschaftsaufschwung avancierte das Pferd vom Nutztier zum Familienmitglied, sein Fleisch ist kaum mehr erhältlich, weil die Fleischhauereien verschwunden sind und mit dem Pferdefleisch-Skandal 2013 ist dessen Konsum in Verruf geraten.
Warum uns Martin, dessen Tiefkühltruhe voll ist mit edlem Rinderfilet, Rehschlögel und Hirschrücken, Pferd servierte, weiß ich nicht. Wollte er meine sensorischen Fähigkeiten auf Herz und Nieren prüfen? Oder sparen? Oder wollte er uns ganz einfach etwas bieten, das heutzutage von den Speisekarten heimischer Restaurants so gut wie gänzlich verschwunden ist?
Anders übrigens als in der Schweiz oder in Belgien, wo Pferdefleisch wegen seines geringen Fettanteils von 2,7 Prozent (Rinder 8,5 Prozent), weniger Kalorien, Cholesterin und Purinstoffen sowie wegen seines höheren Eisenanteils (pro 100 Gramm
3,5 Milligramm, bei Rinderfleisch 1,9 Milligramm) geschätzt wird.
Kein Trend ohne Gegentrend: Dank der massiven medialen Beachtung nach dem Pferdefleisch-
Skandal, der eigentlich ein Etikettenschwindel war, wuchs auch bei uns wieder das Interesse am Ross-Konsum. Wer heute Pferdelungenbraten zubereiten will, muss die Edelteile schon längere Zeit vorbestellen. „Ein Hoch auf das Ross“ sprechen schließlich auch Experten aus, für die es gemeinsam mit Gamsfleisch am gesündesten ist.