Kolumnen

Der Spatzidoktor und die kahlen Bäume

Seit vier Jahren haben mein Mann und ich ein Beschäftigungsprogramm, das immer neuen Grund für hitzige Diskussionen und leidenschaftliche Versöhnungen liefert: Wir suchen ein Zuhause. Dass gefühlt alle jungen Paare in diesen Niedrigzinszeiten Eigenheime suchen, ist anstrengend genug. Bei uns kommt erschwerend hinzu, dass wir uns nicht einig darüber sind, wie dieses Zuhause aussehen soll. Ich Landei hätte am liebsten ein renovierungsbedürftiges Bauernhaus in der niederösterreichischen Einöde. Mein Stadtbub will eine möglichst zentrale, luxuriös sanierte Altbauwohnung mit Balkon und einem Café im Erdgeschoss.

Ich verstehe, warum Menschen ihre Jugendlieben heiraten: Da muss man nicht groß diskutieren, wo und wie man leben will, weil wir ja alle meist so leben wollen, wie wir aufwuchsen. Doch neulich passierte ein Wunder: Wir fanden ein Wiener Häuschen mit Altbaumbestand, von dessen Dachboden aus man Niederösterreich sehen kann, aber keine Nachbarn.

Diagnose

Und um die Ecke gibt es ein italienisches Lokal. Nicht einmal der befreundete Baumeister fand einen Haken. Als wir abends zusammenrechneten, ob wir uns die Renovierung leisten können, sagte mein Mann: „Die Bäume müssen gefällt werden. Die sind krank.“ Als Spatzidoktor kennt er sich gut aus mit Pilzen, und so fragte ich, wie er zu seiner Diagnose kam. „Die waren alle kahl!“ Mir wurde wieder einmal klar, warum ich Landei meinen Stadtbub so liebe: Weil Gegensätze einander neue Perspektiven ermöglichen. Er dachte: Wenn sich Bäume freiwillig im kalten Winter nackert machen und ihr Blätterkleid abwerfen, müssen sie doch krank sein.

Ach, was freu ich mich auf den Frühling, wenn wir miteinander bewusst erleben werden, wie „kranke“ Bäume plötzlich genesen und prächtiger prangen denn je. Ein kleiner Perspektivenwechsel schadet nicht, um sich am Selbstverständlichen neu zu erfreuen.

vea.kaiser@kurier.at