Geschichten über Jugendliche, die kein Zuhause (mehr) haben
Von Heinz Wagner
Hat das „Kind“ im Stück mit Akkordeon und Schaumstoff-Figuren „La Balle rouge“ nach der Trennung der Eltern zwei Zuhauses, so erzählt Birgit Unger in „Transporter oder Maya unterwegs“ (Theater der Figur) in knapp mehr als einer Stunde die Geschichte einer 13-Jährigen – und anderer Jugendlicher -, die kein Zuhause (mehr) haben. Ebenfalls ein schwieriges Thema sanft auf die Bühne – und ans Publikum gebracht.
Mehr als schwierig – harte, brutale Geschichten aus dem Leben gegriffen, die die britische Autorin Catherine Dyson aus Interviews mit jugendlichen Geflüchteten und aus in Medien verbreiteten Geschichten solcher Menschen gesammelt hat. Als Symbol der verbindenden Geschichten und Titel des Originals wählte sie „Transporter“, eine Brücke in Wales, bei der an Stahlseilen eine Plattform hoch über dem Wasser des Flusses in der Nähe des Meeres schwebt.
Doch nie soll die Erzählerin – so die dringende Regieanweisung der Autorin (Übersetzung aus dem Englischen: Sabine Wöllgens) – in die Rolle dieser Maya & Co. Schlüpfen. Distanziert – aber doch mit sanfter, dezenter Empathie – erzählt Unger auf der spärlich bestückten Bühne Erfahrungen von Menschen, die ihre Heimat verlassen mussten – und an unterschiedlichsten Orten ankommen:
„Wir zogen in eine Stadt mit vielen weißen Häusern … in ein Dorf, wo man nachts die Frösche quaken hört … einmal lebten wir am Meer, … wir zogen in den 33. Stock eines Hochhauses, das im Wind schwankte, … wohnten an einem Ort, wo es Bettwanzen gab, … lebten über einem Laden mit einem Schild: Hautaufhellung, … in einer großen Stadt, die durch eine Mauer geteilt war, und du musstest aufpassen auf der richtigen Seite zu bleiben, … lebten in Städten, in denen alle Geschäfte mit Brettern vernagelt waren, … und Städten mit schönen Brunnen , … in einem Wohnwagen, … auf einem Hausboot, … am Rand eines Parks, … neben einem Bahngleis…“
Zuflucht, und doch immer wieder vertreiben – aus unterschiedlichsten Gründen. Und doch erleben wir als Publikum die Vielzahl der unterschiedlichen kleinen/großen Geschichten immer nur an-erzählt. Wie sie weitergehen – das soll, so der Wunsch der Autorin – in unserer aller Köpfen jede und jeder selber imaginieren. Womit das Publikum auf ganz andere Art in die Storys eintauchen kann – ja manchmal fast zwangsläufig – aber ohne Druck – muss.
Empathie wird in einer Szene in der Schule auch noch direkt angesprochen, indem ein Lehrer die Schüler_innen ersucht, sich schnell zu überlegen, was sie mitnehmen würden, wenn sie flüchten müssten… Und ganz am Ende, wenn die Erzählerin wieder – wie am Anfang – aus dieser Rolle heraustritt und sich ans Publikum wendet: „Kommen Sie gut nach Hause!“ Da stockt der Atem. Pffffhhh, heavy.
Buchtipp zum Thema
Auch wenn es viel weniger sanft und viel direkter daherkommt, ein Zitat aus dem vor wenigen Tagen erschienen Buch „Der undankbare Flüchtling“ (Dina Nayeri, Verlag Kein & Aber): „Mittlerweile haben wir es unseren unfähigsten, zynischsten Bürokraten überlassen, über komplexe Wahrheiten zu entscheiden, wir haben ihnen nicht etwa aufgetragen, Leben zu retten oder die Müden und die Verzweifelten aufzunehmen, sondern Lügner aufzuspüren, unsere riesigen Ansprüche, unseren Lebensraum zu schützen und sich dabei über jegliche Moral hinwegzusetzen – was einer Pflichtverletzung gleichkommt. Noch empörender ist der Begriff ,Wirtschaftsflüchtlinge‘, eine Lüge, die von den Privilegierten ersonnen wurde, um leidende Fremde zu beschämen, die sich nach einem menschenwürdigen Leben sehnen. Hätten die Kinder der Privilegierten derartige Wünsche, würden sie es als ,Motivation‘ und , Unternehmergeist‘ bezeichnen.“ (S. 21).
Transporter oder Maya unterwegs
Theater der Figur
von Catherine Dyson
Spiel: Birgit Unger
Bühne: Johannes Rausch
Kostüme: Evelyne Fricker
Übersetzung aus dem Englischen und Regie: Sabine Wöllgens.
Ab 12 Jahren