Voll retro: Wo Fans der Vintage-Rennräder ihren Lifestyle feiern
Von Daniel Voglhuber
Als hätte wer das Rad der Zeit zurückgedreht: Menschen in Wolltrikots treten auf alten filigranen Stahl-Rennrädern in die Pedale. Die Schuhe haften noch nicht mit einem Klick daran. Sie stecken höchstens in Körbchen oder Riemen.
Die Radler mit ihren klassischen Kapperln keuchen und wischen sich den Schweiß vom Kopf. Sie greifen vorm Bergauf-Fahren zur Rahmenschaltung hinab.Das schreit nach einer Pause. Und einem kleinen, verantwortungsvollen Schluck Wein oder Bier aus der Region.
Immerhin sind wir nicht bei einem Radrennen in den 1970ern. Sondern bei Ausfahrten von Rad-Nostalgikern im Jetzt, die ihren Lifestyle und ihre alten Rennräder feiern, statt Bestzeiten hinterherzujagen. Und das werden immer mehr. Veranstaltungen wie diese – mit klingenden Namen wie „In Velo Veritas“ oder „L’Eroica“ – haben in Österreich und im Ausland von Jahr zu Jahr (wenn nicht Corona dazwischenpfuscht) mehr Teilnehmer.
Strenge Regeln
Die Stimmung ist entspannt. Das Reglement meist nicht. Mitfahren dürfen nur Modelle mit Stahlrahmen, die bis zum Jahr 1987 gebaut worden sind. Weil danach kam der Brems-Schalthebel auf den Markt, der die nicht immer ganz einfach zu bedienende Rahmenschaltung ablöste.
„Man muss das als Genussfahrt betrachten. Es wirkt etwas entschleunigt. Das Gefühl beim Fahren eines Vintage-Rads ist ein ganz anderes als bei einem neuen Rennrad. Die Geschwindigkeit nimmt man anders wahr und man braucht mehr Gespür beim Schalten“, erklärt Sabine Stelzhamer den Reiz an Retro. Sie ist Obfrau des „Giro Biero Vintage Cycling Club“, der im oberösterreichischen Innviertel im September eine Rundfahrt zwischen Brauereien ausrichtet (Infos zu dieser und anderen Veranstaltungen auf der S. 24).
Kunterbunte Rahmen
Und da geht es wie bei vergleichbaren Treffen bunt zu. Türkise Bianchi-, dunkelblaue KTM-, silberne Peugeot, orange oder grüne Puch-Räder stechen ins Auge. „Das Tolle ist, die Modelle der Hersteller haben alle denselben Diamantrahmen. Aber durch die Lackierungen und Komponenten unterscheiden sich die Modelle der Produzenten auch optisch schon sehr stark“, erklärt ihr Partner und Klub-Kollege Hubert Kickinger – ein Szenekenner und Bastler.
Jahrelang verstaubten derartige Räder – wenn sie nicht schon entsorgt wurden – in Kellern, Garagen und auf Dachböden. Seit geraumer Zeit werden sie – wohl auch weil Nachhaltigkeit dem Zeitgeist entspricht – wieder zu Statussymbolen, gar Luxusgütern. „Seit rund zehn Jahren gibt es den Trend. Die Nachfrage steigt. Der Markt ist überhitzt. Da werden teilweise schon irre Preise verlangt.“ Je nach nach Modell, Marke, Zustand und Einzelteilen blättert man da zwischen 250 bis 3.000 Euro, die bei raren und gut erhaltenen Top-Räder mittlerweile Standard sind, hin. Die Preise steigen bis zu 15 Prozent pro Jahr.
Mutter der Nostalgie
Ein wahrer Kult um die Räder ist entstanden. Auf die Spitze getrieben wird er beim „L’Eroica“ im Weingebiet Chianti der Toskana. Die Mutter aller Nostalgie-Veranstaltungen ist ein Volksfest, 8.000 Menschen sitzen im Sattel, fahren mit dünnen Reifen über teils unasphaltierte Wege. Sie sind aufwendig kostümiert und mit aufgeklebten oder aufgezwirbelten Schnurrbärten unterwegs.
Bei Puristen ist die „L’Eroica“ – weil sie schon neuere Modelle zulässt und von Kalifornien über Japan bis Südafrika expandiert hat – nicht mehr ganz so angesagt. „Die ist schon sehr Kommerz“, sagt Kickinger.
Aber sie hat den Weg für ähnliche Ausfahrten geebnet. In Österreich war das „In Velo Veritas“ im Weinviertel bald dran, das an Kellerstöckeln entlangführt. Das wiederum hat den Anstoß für weitere Veranstaltungen gegeben. „Als ich vor sieben Jahren da war, war ich so elektrisiert. Ich habe mir gedacht: Die machen das mit Wein. Wir brauchen so etwas im Innviertel. Nur mit Bier.“ So ähnlich haben einige gedacht. In vielen Regionen, wo es schön ist, und es was Gutes zu trinken gibt, fahren jetzt die alten Räder.
Diese nostalgischen Rad-Veranstaltungen stehen in den nächsten Monaten an (vorausgesetzt die Corona-Lage ändert sich nicht).
National
In Velo Veritas Die Rundfahrt im nö. Weinviertel führt am 12. und 13. Juni in ihrer neunten Ausgabe in die malerische Gegend rund um Laa an der Thaya mit ihren Kellerstöckeln und Weinreben.
inveloveritas.at
NostalRad Rund um den Salzburger Zeller See geht es am 24. Juli. Anders als bei den anderen Veranstaltungen fährt man hier auch mit Hoch- oder Waffenrädern. Und statt Trikots sieht man hier mehr schicke Anzüge und Tracht.
nostalrad.com
Styroica Zum achten Mal schwitzen die Radler am 4. September im Steirischen Hügelland zwischen malerischen Weinbergen um Ehrenhausen. styroica.at
L‘Historica Auch am 4. September packt man im oberösterreichischen Bad Wimsbach-Neydharting alte Renn- und Waffenräder aus. lhistorica.at
Vintage Tour Wachau Hier geht es am 12. September durchs UNESCO Weltkulturerbe Wachau sowie durch das Kremstal und das Kamptal. vintage-tour.at
Giro-Biertour Am 19. September radelt man im Innviertel zwischen Brauereien im Bezirk Braunau, wo es (geringe Mengen) Bier zu verkosten gibt. girobiero.org
International
L’Eroica Der Klassiker in der Toskana. Was 1997 in Gaiole in Chianti mit 93 Fahrern begann, ist heute ein großes Ding mit mehr als 8.000 Teilnehmern. Heuer radeln die Fahrer am 3. Oktober durch die hügelige Landschaft. eroica.cc
Tour de Trois Die Veranstaltung ist im Dreiländereck Schweiz-Frankreich-Deutschland. Und das ambitioniert. Auf 130 Kilometern sind 1.700 Höhenmeter zurückzulegen. Mit Rennrädern, die bis maximal vor 1980 gebaut worden sind. Vorgesehen ist das Spektakel am 27. Juni. Bei Interesse informieren, ob es stattfindet. td3.ch
Velo Classico Germany Im deutschen Mecklenburg-Vorpommern treffen einander Stahlrahmen-Fans aus Nah und Fern. Das Velo Classico findet am 14. und 15. August rund um das Schloss Rumpshagen statt. veloclassico.de