Leben/Gesellschaft

Corona-Krise: Worunter Jugendliche langfristig leiden könnten

Kein Geburtstagsfest im Kindergarten, keine Party zur Volljährigkeit, kein Fußballtraining, keine Tanzschule, kein Schulausflug, keine Matrurareise, alleine in der Sandkiste, alleine daheim mit Hausübungen: Die Pandemie schränkt Heranwachsende in allen Lebensbereichen ein. Erfahrungen, die andere Generationen sammeln konnten, bleiben Kindern und Jugendlichen wegen der Coroan-Krise seit einem Jahr verwehrt. Deutsche Experten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik machen sich Sorgen, aber nicht nur.

Berufsorientierungsphase bleibt auf der Strecke

Mit Prognosen ist es wie immer schwierig: Bei der deutschen Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände heißt es, es sei nur schwer vorherzusagen, wie sich die Situation an den Schulen langfristig auf die Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern auswirken würden. „Richtig ist aber, dass aktuell besonders die berufliche Orientierung leidet.“ Der Vorstandschef der deutschen Bundesagentur für Arbeit, Detlef Scheele, bestätigt, was teilweise auch in Österreich zutrifft: kaum Betriebspraktika, keine Berufsberatung an Schulen, keine Ausbildungsmessen.

Weniger Einkommen durch verlorenes Schuljahr

Bernd Fitzenberger, Direktor des Nürnberger Instituts für Arbeitmarkt- und Berufsforschung befürchtet, viele Jugendliche könnten auf der Strecke bleiben und ihre Karrierechancen nachhaltig geschädigt werden - mit gesellschaftlichen Folgen wie häufiger Arbeitslosigkeit als Langzeiteffekt. Ein verlorenes Schuljahr bedeutet nach Rechnung des OECD-Bildungsdirektors und Pisa-Verantwortlichen Andreas Schleicher ungefähr sieben bis zehn Prozent verlorenes Lebenseinkommen.

Lernergebnisse auf Unis schlechter

Die Hochschulen sind ebenfalls vorsichtig mit Prognosen: Es gebe noch keine Daten und Erkenntnisse dazu, „aber es ist zu vermuten, dass die Lernergebnisse der angehenden Abiturientinnen und Abiturienten von der Pandemie-Situation negativ beeinflusst werden“, sagt Peter-André Alt, Präsident der deutschen Hochschulrektorenkonferenz (HRK). Das sei weder zu verharmlosen noch zu dramatisieren. Die Hochschulen hätten aber Erfahrung damit, durch Brückenkurse gewisse Defizite auszugleichen.

Ausnahmezustand fühlt sich nach Ewigkeit an

Und dann ist da noch die Psychologie und das Zeitempfinden von Kindern und Jugendlichen. Wer sich erinnert, wie lange sich als Kind ein paar Wochen Sommerferien anfühlten, kann sich vorstellen, was nun ein Jahr Corona-Ausnahmezustand für junge Menschen bedeutet. „Das spielt eine sehr große Rolle“, sagt Alexandra Langmeyer, Wissenschaftlerin am Deutschen Jugendinstitut in München. Für einen Vierjährigen bedeute ein Jahr Corona ein Viertel seines Lebens.

Studien zufolge ist der seelische Druck bei jungen Menschen gestiegen. In Deutschland wie in Österreich sehen Experten für Kinder- und Jugendpsychiatrie eine Zunahme bei Ängsten, Essstörungen oder auch Depressionen. Eine Umfrage der Universitäten Hildesheim und Frankfurt zeigte zuletzt, dass viele Jugendliche und junge Erwachsene Zukunftsängste haben. „Sicherlich wird diese Zeit nicht für alle Kinder gleichermaßen langfristig negative Auswirkungen haben“, sagt Langmeyer.

Sozial benachteiligte Familien schwerer betroffen

Wie andere Experten sieht die Kinder- und Jugendforscherin die Gefahr negativer Langzeitfolgen verstärkt für Kinder aus ärmeren Familien. Man beobachte mit Sorge, dass viele während der Schulschließungen nicht „erreicht“ werden konnten, heißt es bei den Arbeitgebern, die sich für gezielte Förderangebote auch in den Ferien aussprechen.

Lernschwache Kinder rutschen weiter ab

Kai Maaz, Geschäftsführender Direktor des Leibniz-Instituts für Bildungsforschung und Bildungsinformation, verweist auf internationale Studien, die nach Schulschließungen besonders große Lernrückstände bei ohnehin schon leistungsschwachen Schülern und bei Kindern und Jugendlichen aus sozial benachteiligten Familien gezeigt hätten. Er vermutet, dass auf der anderen Seite manche Schüler sogar von der Eins-zu-eins-Betreuung zu Hause profitieren und rechnet damit, dass die Krise die Leistungsunterschiede in den Klassen verstärkt.

Der Bildungsforscher schlägt Maßnahmen vor, um gegenzusteuern und Rückstände aufzuholen, etwa die Einbeziehung außerschulischer Bildungsträger oder „zeitlich überschaubare“ Lern- und Unterrichtsmöglichkeiten in den Ferien. „Wenn wir jetzt nicht investieren und alles daransetzen, die entstanden Lernrückstände wieder aufzufangen, werden die Folgekosten in der Zukunft erheblich größer ausfallen.“

Positive Seiten der Pandemie

Doch wie bei den meisten Krisen gibt es vielleicht auch hier positive Seiten: „Ich glaube, dass ,Generation Corona´ eher ein Qualitätssiegel als ein negativer Stempel ist“, sagt Dario Schramm, Generalsekretär der deutschen Bundesschülerkonferenz, der selbst kurz vor dem Schulabschluss steht. Alle boxten sich seit nunmehr einem Jahr durch diese herausfordernde Zeit. „Meine Mitschüler haben so viele Dinge in Windeseile lernen müssen, für die andere normalerweise länger brauchen. Sie haben einen Turbo-Reifeprozess durchlaufen.“

Kirse bringt Kämpfernaturen hervor

An den Hochschulen wird nicht ausgeschlossen, dass die jetzigen Absolventen besondere Stärken mitbringen: Für die meisten Abiturienten, werde die aktuelle Situation bei aller Belastung im Rückblick auch eine wichtige Erfahrung sein, die bei der weiteren Bewältigung gerade des Selbststudiums zweifellos helfen könne, sagt HRK-Präsident Alt.

Bildungsforscher Kai Maaz zeigt sich grundsätzlich optimistisch: „Ich glaube, dass die entstandenen Rückstände und Probleme wieder aufgeholt werden können - auch wenn es eine große Herausforderung ist. Alles andere wäre eine Kapitulation mit nicht tragbaren Folgen für die einzelnen Menschen und für das System.“ Aus schwierigen Zeiten kann man auch gestärkt hervorgehen.

 

 

 

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