Chronik/Wien

Wildes Inselleben: Wo Wiens Wildlinge zuhause sind

Georg Popp pirscht durch das Unterholz. Das trockene Schilf knackt unter seinen Schuhen. Er kennt jeden Trampelpfad, schiebt Zweige und Äste aus dem Weg. Zielstrebig schreitet er voran.

Für Unwissende schaut hier, im Dickicht der Donauinsel, jeder Baum gleich aus. Doch Popp hat einen bestimmten im Auge. Schließlich bleibt er stehen und deutet gen Himmel ins Blätterdach. Das Zielobjekt hängt an einem dünnen Ast und ähnelt einem riesigen Schmetterlingskokon.

„Naturfotografen aus ganz Europa kommen hierher nach Wien, um das zu fotografieren“, erklärt Popp.

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„Das" ist das Vogelnest der Beutelmeise. Die außergewöhnliche Bauweise sorgt für Begeisterung in der Szene.

Die Hobbysportler und Sonnenanbeter auf der Insel hingegen verschwenden keinen Blick auf die exotische Besonderheit, die da nur wenige Meter entfernt im Gebüsch hängt. Sie haben keine Ahnung von der wilden Seite der Donauinsel.

Rockstars der Naturfotografie 

Die Insel, ab den 70er Jahren als Hochwasserschutz für Wien künstlich errichtet, ist weit mehr als Naherholungsgebiet, Copa Beach und Festivallocation. Abseits der asphaltieren Wege haben sich die Tiere die Insel zu Eigen gemacht, hier herrschen die Gesetze der Wildnis. Nur der aufmerksame Beobachter entdeckt die Rehe und Biber, Schildkröten und Graureiher, Eisvögel und Kormorane, die hier leben.

Georg Popp ist so einer.

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Er und seine Frau Verena Popp-Hackner gelten als die heimischen Rockstars der Naturfotografie. Rund 40.000 Facebook-Nutzern gefällt ihre Seite „Wiener Wildnis“, auf der sie seit nunmehr neun Jahren Fotos von Wildtieren in der Stadt posten. Ihre Fotos waren bereits auf Briefmarken der Österreichischen Post abgebildet.

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2017 erschien ihr erster Bildband über das wilde Wien, nun folgt die „wilde Donauinsel".

Auch die Beutelmeise ist darin vertreten. Dass sie hier in Wien brütet, ist eine Besonderheit; ursprünglich ist sie in mediterranen Steppen- und Wüstengebieten zu finden. Genauso exotisch sieht auch ihr Nest aus. Sanft weht er es im Wind, seekrank scheint die Meise dennoch nicht zu werden. In Österreich ist sie am ehesten noch im burgenländischen Seewinkel zu finden.

„Hier stundenlang zu sitzen und der Natur zuzusehen, macht mir eigentlich am meisten Spaß“, gesteht Popp. „Aber irgendwie muss ich ja Geld verdienen“, witzelt der Wiener.

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Popp hat ein Biologiestudium begonnen, nebenbei professionell Basketball gespielt. Er und seine Frau kennen sich seit fast 30 Jahren, gemeinsam reisten sie um die ganze Welt. Die Landschaftsfotos, die sie dabei mit Großformatkameras und analogem Film schossen, verkauften sie an Verlage und Tourismusunternehmen. „Das wäre heute, in Zeiten von Instagram und Co, nicht mehr möglich“, überlegt Popp.

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Das Projekt „Wiener Wildnis“ ist mehr Leidenschaft als finanzielle Lebensgrundlage.

Gelebtes Miteinander

Unmöglich nachzurechnen sind die Arbeitsstunden, die hinter den Fotos stecken. Ausgerüstet mit technischem Wissen und immenser Geduld war das Fotografenpaar fast zwei Jahre zu Fuß, mit dem Rad und im Kajak auf der Insel unterwegs, mittlerweile kennen sie die 21 Kilometer wie ihre Westentasche. Die Schwierigkeit sei nicht, die Wildtiere abzulichten, sondern die Stadt im Hintergrund, erklärt der Meister: „Sonst könnte das Bild ja irgendwo entstanden sein.“

Dass der Biber seinen Bau in einem Seitenarm der Donau, vor dem Hintergrund der Triiiple-Hochhäuser gebaut hat, kommt da natürlich sehr gelegen. An diesem Nachmittag lässt sich der Wildling allerdings nicht blicken. „Der ist erst am Abend aktiv“, erklärt Popp. „Gegen 18 Uhr kommt der Biber dann heraus aus seinem Bau, pünktlich und jeden Tag.“ 

Hier lässt man ihn gewähren, den Wildling, mitten in der Stadt. In anderen Bundesländern wird regelmäßig der Abschuss dieser Tiere diskutiert. „Wien arrangiert sich mit den Tieren hier und kämpft nicht gegen sie. Auch das wollen wir in unseren Fotos aufzeigen“, erläutert Popp.

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Gesetze der Wildnis

Im Toten Grund, der einzig noch bestehenden ursprünglichen Donauschlinge der Insel, entdeckt man mit etwas Glück das wohl hübscheste Tiere der Insel: den blitzblaue Eisvogel. Im Herbst des Vorjahres hat Popp es geschafft, den Vogel vor den lila leuchtenden Weinreben, die dort wachsen, abzulichten.

„Man hat natürlich immer eine gewisse Vorstellung des perfekten Fotos im Kopf. Da steckt viel Geduld, Vorbereitung und Arbeit dahinter. Alles kann man aber nicht beeinflussen. Irgendwann muss man zufrieden sein“, erzählt Popp.

Schließlich herrschen hier immer noch die Gesetze der Wildnis.

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Ein Streifzug durch die urbane Natur, mit Fotos von Verena Popp-Hackner, Georg Popp und Thomas Haider sowie informativen Texten und Tipps.

Erschienen 2021, 256 Seiten, 49 Euro.

ISBN:   978-3-9504999-0-2

Kaufen kann man es online oder in ausgewählten Buchhandlungen. Infos unter www.wienerwildnis.at

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