Umwelt-Ranking: Wie gut oder schlecht Wien nun wirklich dasteht
Von Peter Temel
Wien gilt gemeinhin als Ranking-Liebling, schneidet die Bundeshauptstadt dort doch regelmäßig als eine der lebenswertesten Städte der Welt ab. Zuletzt rutschte Wien aber beim OECD-Wohlstandsvergleich um einige Ränge ab, schnell wurde danach politisches Kleingeld gewechselt. Für Aufsehen sorgte dann auch ein Teilergebnis des jüngsten OECD-Rankings "Regional Well-being". Beim Faktor "Umwelt" erreicht Wien demnach lediglich 1,8 von 10 möglichen Punkten und rangiert unter den 402 OECD-Regionen in den schlechtesten 12 Prozent. Durch den Boulevard geisterten Katastrophen-Meldungen wie "Ranking-Niederlage" und "OECD sieht schwere Umweltschutzmängel".
Ein genauerer Blick auf die Datenbasis der Studie zeigt ein anderes Bild. So wurde für die Bewertung der Umweltsituation lediglich ein Indikator herangezogen, und zwar die Feinstaubkonzentration. Diese ist aber in Wien, so wie in ganz Österreich, laut Statistik Austria in den letzten Jahren zurückgegangen.
Laut der von der OECD verwendeten Messmethode hätte Wien im Vorjahr bei Feinstaubteilchen der Kategorie PM2.5 eine Konzentration von 21,5 µg/m³ (Mikrogramm pro Kubikmeter) und würde somit im Bereich von Industrieregionen in Tschechien oder Polen liegen. Wie der KURIER auf Anfrage vom Umweltbundesamt erfuhr, hat geht man dort für Wien von einem Jahresmittelwert von lediglich 13,8 µg/m³ für 2017 aus. Einen Wert von 21 µg/m³, der ungefähr dem Ergebnis der OECD-Studie entspräche, hatte man sieben Jahre davor gemessen.
Mit dieser Feinstaubkonzentration läge Wien im OECD-Umweltranking gleichauf mit Salzburg oder Nordrhein-Westfalen und würde mit ungefähr 5,3 Punkten im Mittelfeld liegen. Zu den "saubersten" Regionen gehört übrigens die isländische Metropolregion Reykjavik mit 2,9 µg/m³ (10,0 OECD-Punkte).
Lokale Feinstaubmessungen genauer
"Die Methodik bei der OECD-Studie beruht auf globalen Datensätzen und Modellen", sagt der Experte für Luftqualität am Umweltbundesamt, Christian Nagl. Die für das Ranking verwendeten Satellitendaten würden zum Teil aus dem vorigen Jahrzehnt stammen und seien zumindest fünf Jahre alt. Durch Computermodelle schließt die OECD laut eigenen Angaben auf die aktuellen Feinstaubwerte.
Solche Satellitenmodelle könnten laut Nagl zwar "eine Unterstützung sein, um ein flächendeckend sehr anschauliches Bild zu bekommen", dabei würden sich aber auch Unschärfen ergeben. "Die Probleme von globalen Modellen zeigen sich oft dann, wenn man ins Detail schaut."
"Auf globaler Ebene ist die Satellitenmessung schon eine tolle Leistung, in Österreich gibt es aber genauere Daten," erklärt Nagl. Als Beispiel nennt er jene Daten, die vom Umweltbundesamt an die Statistik Austria gemeldet werden. Sie beruhen auf dem gravimetrischen Messverfahren, bei dem Staub auf einem Filter abgeschieden und anschließend gewogen wird.
Warum man bei der OECD trotzdem auf Satellitendaten zurückgreife? Nagl: "Es ist der Versuch, mit einem Datensatz global Feinstaubkonzentrationen abzuleiten, weil Messungen in manchen Ländern vielleicht noch nicht so berichtet werden oder gar nicht verfügbar sind, wie zum Beispiel in vielen Ländern in Afrika oder Asien."
Neue Satellitengeneration
Mit Sentinel ist seit Oktober 2017 ein Satellit gestartet, der auch Schadstoff-Daten für einzelne Städte liefern soll. Nagl erwartet dadurch zwar eine "Verbesserung der Datenqualität, das generelle Problem bei Satellitendaten ist aber nicht zu beheben: Wir haben dabei nur eine gewisse zeitliche Abdeckung eines Punktes auf der Erde. Außerdem sorgt Bewölkung für fehlende Daten. Das ist aber gerade in den Wintermonaten der Fall, wo es öfter Inversionswetterlagen gibt."
Weitere Unschärfen im OECD-Regionenvergleich erklären sich dadurch, dass etwa in Österreich Bundesländer wie Steiermark und Wien jeweils als Region gewertet werden, wobei Wien als Millionenmetropole klarerweise eine völlig andere Regionalstruktur aufweist als die gesamte Steiermark mit ihrem großen Wald- und Gebirgsanteil. So erreicht die Steiermark mit 4,6 eine wesentlich bessere Umwelt-Quote als Wien.
Wien hat niedrigere Werte als Graz
Experte Nagl sagt: "Bei den vorhandenen lokalen Messstellen zeigt sich ein anderes Bild. Wenn man sich etwa die Werte von Graz (von der OECD nicht als eigene Region erfasst, Anm.) und Wien ansieht, so ist es genau umgekehrt. Wien hat niedrigere Messwerte."
"Feinstaub ist sicher jener Schadstoff mit den größten Auswirkungen auf die Gesundheit", erklärt Nagl, "auch wenn zum Beispiel in Wien und NÖ die Konzentrationen gesunken sind, kann man davon ausgehen, dass es relevante Auswirkungen auf die Gesundheit gibt."
Dass die OECD die PM2.5-Exposition als Indikator für Umweltbelastung heranzieht, ist grundsätzlich vertretbar. Feinstaubteilchen dieser Größe sind zur Bewertung der Luftqualität laut Nagl "sicher der relevanteste Indikator". Das sei auch einer der Nachhaltigkeitsindikatoren der Weltgesundheitsorganisation WHO.
Keine Entwarnung
"Für Wien zeigt die PM2,5-Exposition eine deutliche Abnahme in den letzten Jahren, die Stadt lag 2017 mit knapp 14 µg/m³ zwar deutlich unter dem EU-Grenzwert von 25 µg/m³, der auch für Österreich gilt, aber noch über dem WHO Richtwert von 10 µg/m", berichtet der Experte vom Umweltbundesamt.
Wobei das keine generelle Entwarnung bedeutet. Nagl: "Das heißt nicht, dass es zu keinen gesundheitlichen Auswirkungen kommen kann, wenn die Belastung unter diesen Grenzwerten liegt."