Chronik/Wien

Die Renaissance der Wiener Beisln

Grün ist nicht nur die Farbe der Hoffnung, sondern auch die der Wiener Beisl. Man sieht sie an Holzverkleidungen, grünen Schankschränken. Hoffnung geben auch junge Wirte, die alte Beisl übernehmen, die der traditionellen Wiener Küche einen Raum geben und sie in ein neues Zeitalter führen.

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Lukas Weber ist einer dieser Hoffnungsträger. 2020 übernahm er mit seinem Schulfreund das Lokal Sagmeister im 3. Bezirk. Zwei Jahre stand das 1958 gegründete Gasthaus leer. Keiner wollte sich der Aufgabe annehmen. Doch Weber fühlte sich berufen.

Seine Mutter war Einkäuferin bei dem ehemaligen Feinkostladen am Naschmarkt Piccini: Sie brachte ihm qualitative Produkte näher. Später studierte er an der Uni des Slow-Food-Gründers Carlo Petrini. Nachdem er in Piemont einen Greißler mit Bauernprodukten betreute, kam er nach Wien zurück, um aus dem alten Sagmeister, 575 Sagmeister zu machen.

Das Wort Beisl stammt  von dem tschechischen Begriff „pajzl“ ab. Und das heißt so viel wie Kneipe oder Spelunke. Die Beisl, die hier empfohlen werden, sind  keine Spelunken, sondern beliebte Botschafter der Wiener Küche:

Schachtelwirt bietet Historisches und Klassiker im Karton. Zum Kennenlernen: Von Schnecken bis Innereien, von Knödel bis Schweinsbraten. Ab 8 Euro.
1., Judengasse 5

Gasthaus Pöschl war früher unter dem Namen „Immervoll“ bekannt. Leider bald ohne Schanigarten am Franziskanerplatz, aber noch immer einer der besten Stadtwirte. Tagesteller ab 8 Euro.
1., Weihburggasse 17

Stuwer wurde vor fünf Jahren neu übernommen. Bietet Klassiker wie Schnitzel und Fiakergulasch. Aber auch gebackene Muscheln.
Ab 12 Euro.
2., Stuwerstraße 47

575 Sagmeister wurde vor zwei Jahren neu eröffnet. Krautfleckerl, Würstel mit Saft oder Rindzungensalat.
Ab 9 Euro.
3., Schimmelgasse 11

Zur Herknerin gilt als die Knödelkönigin und bietet auch Knödel-Seminare an. Ab 16 Euro.
4., Wiedner Hauptstr. 36

Woracziczky Gasthaus wurde als bestes Beisel von Falstaff gekürt. Wenige wechselnde Speisen mit guten Preisen. Ab 15 Euro.
5., Spengergasse 52

Steman beliebt bei der Stadtprominenz. Zwiebelrostbraten und Tafelspitz.
Ab 9 Euro.
6., Otto-Bauer-Gasse 7

Grünauer bietet Wirtshausklassiker im Familienbetrieb seit 1957: von gekochtem Rindfleisch bis Knödel mit Ei. Ab 13 Euro.
7., Hermanngasse 32

Fuhrmann Wiener Küche auf hohem Niveau, große Weinkarte, schöner Innenhof. Ab 18 Euro.
8., Fuhrmanngasse 9

Reznicek neu übernommen und hoch gelobt: 
450 Weine,  saisonale Küche.  Gefüllte Paprika bis Bachforelle. Ab 16 Euro.
9., Reznicekgasse 10

Dingelsted3 befindet sich hinter der Kirche Maria vom Siege:  Blunznknödel, Welsgulasch, Käsnockerl. Ab 8,20 Euro.
15., Dingelstedtg.  3

„575 Kilometer misst Österreich, alle Produkte stammen aus Österreich“, sagt er. Wiener Küche wird großgeschrieben geschrieben: Beliebt soll der Schweinsbraten mit Speckkraut und Semmelknödel (15,50 Euro) sein. Am Sonntag ist Schnitzeltag: „Bei uns gibt es Schweinsschnitzel, Petersil-Erdäpfel und Preiselbeermarmelade“, sagt Weber.

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Monarchie-Wirtshaus

Das Schnitzel (15 Euro) gehöre zu Wien, aber Gäste wollen heute leichtere Speisen, wie Gemüsekaltschale. „Viele lieben Krautfleckerl, die Gäste sagen, die gebe es nirgendwo“. Traditionelle Gerichte werden weiterentwickelt, wie etwa das Schoko-Bier-Rindsgulasch.

Prinzipiell ist die Wiener Küche geprägt von fremden Einflüssen, vor allem der ehemaligen Kronländer. Nicht umsonst galt Wien als „größtes Wirtshaus der Monarchie“. Auch durch die Lage nahe der Grenze zu Ungarn, Böhmen und Mähren (heute: Tschechien) finden sich Speisen aus diesen Ländern auf den Speisekarten – wie Gulasch, Powidl, Palatschinken.

„Der Spagat aus neu und alt ist wichtig, vieles muss beibehalten werden, es gehört zur Wiener Geschichte“ , sagt Weber. Ähnlich sieht das auch Thomas Rjis. Der 34-Jährige hat zwei alte „Tschocherl“ am Judenplatz zusammenlegen lassen. Und 2016 den Schachtelwirt eröffnet.

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Er verkauft Hausmannskost in Karton-Schachteln: Wiener Backhenderl, Rindszüngerl, Hirn mit Ei, Salonbeuschel bis hin zu Schnecken (8 bis 16 Euro). Rjis ist in Simmering aufgewachsen: „Die Beisl waren versifft, es wurde geraucht und getrunken, Essen war zweitrangig“, sagt er.

Junge Menschen hätten sich nicht hinein getraut. Er befürchtete einen Verlust der Esskultur und wagte mit dem Schachtelwirt ein neues Wiener Street-Food-Konzept. Das Stuwer im 2. Bezirk führt auch Traditionen weiter. „In unserer alten Schank war eine der Kühltruhen, die noch mit Donau-Eisblöcken gekühlt wurden“, sagt Roland Soyka. Der 38-Jährige hat vor fünf Jahren das Stuwer-Viertel-Beisl übernommen. Vieles sei im ’Neuen Wiener Beisl’ vegetarisch, vegan. Das sei nicht wienerisch, aber eine Entwicklung. Er hat das Langos (8,50 Euro) mit Karfiolcreme im Menü. Sein Stuwer-Schmarrn, ein Rahm-Schmarrn (11 Euro), sei „legendär“. Soyka kritisiert, dass alte Wiener Küche zur „Kübelgastronomie“ werde: Große Mengen, wenig Qualität.

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Schnitzel als Topseller

Alte Speisen und diese ins Hier und Jetzt holen, macht man auch in der Gastro-Schule am Judenplatz. Küchenmeister und Lehrer Peter Fallnbügl erklärt: „In der ersten Klasse bekommen sie das Basis-Wissen, in der dritten Klasse interpretieren sie Speisen neu.“ Zur Basis gehört die Zubereitung der Rindsuppe mit Einlagen (Milzschnitten, Lungenstrudl), so wie das Arme-Leute-Essen, die Einbrenn (Mehl und Butter) mit Erbsen, Fisolen, Kohlrabi.

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Inhalt der ersten Klasse ist das gekochte Rindfleisch, wie Schulterscherzl. Auch er sehe, dass sich Speisen verändern. „Beim Tafelspitz sieht man weniger Fleisch, mehr Gemüse, die Küche richtet sich nach gesundheitlichen Bedürfnissen“.

Der 27-jährige Koch Julian Lechner, der das Wirtshaus Reznicek, neu eröffnet und wiederbelebt hat, sieht das ebenso: „Auch wenn das Schnitzel Topseller der Stadt bleibt, erwartet man mehr: Bei uns gibt es Cordon Bleu, aber auch rohen Stör mit roter Beete und Limettenvinaigrette.“