"Die Gräfin": Kassenschlager und Kultlokal
Von Nina Oezelt
Das Musical "Die Gräfin vom Naschmarkt" wurde im Jahre 1978 im Theater an der Wien uraufgeführt. Das heutige Opernhaus war damals noch ein Musicalhaus – und zwar nicht irgendeines.
Die Linke Wienzeile war bekannt für das Theater. Rudolf Kutschera, Regisseur und Intendant, trug maßgeblich dazu bei, dass Wien zu einer Musical-Metropole wurde. Er brachte die Stücke aus den USA hierher.
"Die Gräfin vom Naschmarkt" war eine seiner ersten deutschsprachigen Produktionen. Sie sollte auch außerhalb des Theaters eine Rolle spielen: in dem gleichnamigen Lokal an der Hausnummer 14, in dem jetzt für immer Sperrstunde sein könnte.
Die unteren 10.000
Das Musical schlug jedenfalls ein. Wegen seiner Wiener Note. Marika Rökk spielte die Hauptrolle, auch Harald Serafin und Marika Lichter wirkten mit. Die damals 29-jährige Lichter spielte die Rolle der Dolly. "Es ging im Stück um die unteren 10.000, die so tun, als wären sie reich", sagt Lichter im Gespräch mit dem KURIER. "Unglaublich lustig".
Die Handlung trägt sich am Naschmarkt zu: Sämtliche Standler und Besucher verkleiden sich, damit die Tochter der Horoskopverkäuferin (Marika Rökk) denkt, sie sei eine wohlhabende Dame.
Teuer und schlecht
Ob hinter dem gleichnamigen Lokal, nur zwei Häuser weiter, dieselbe Idee steckt? Könnte sein. Immerhin war die "Gräfin" dafür berühmt, zu teures und zu schlechtes Essen zu verkaufen. "Die Theatercrew war zur Eröffnung geladen. Das Lokal wurde nach dem Stück benannt, das ist klar", sagt Lichter. Zu ihrem Stammlokal wurde es jedoch nicht.
Mit den Jahren entwickelte sich die "Gräfin" zu einer Institution für Nachtschwärmer. Geschlossen war das Lokal nur zwischen 2 und 4 Uhr. Es wurde zu einem Ort für Spät-Hungrige und das "Reparaturseidl" – wie das Café Drechsler, das Salz und Pfeffer oder das Goodmans.
Nach und nach häuften sich aber die negativen Rezensionen. Die Plattform Tripadvisor kürte das Lokal zum schlechtesten Wiens. Der TV-Sender Kabel 1 drehte in der "Gräfin" die Sendung "Achtung, Abzocke". Ein kleines Bier kostete 8 Euro, ein Toast ebenso.
Ort zum Wohlfühlen
Jetzt ist die Gräfin zu. "Ein Ort zum Wohlfühlen", steht ironischerweise an der Scheibe. Daneben liest man "Wegen Umbau geschlossen". Beim Blick hinein sieht man nur noch den Plastikbaum, der inmitten des Gastraums steht. Er ist noch mit Kugeln geschmückt. "Kaffee kostete 5 Euro, verrückt", sagt ein Lieferant am Naschmarkt zum KURIER.
Das Lokal hatte 22 Stunden am Tag offen. Die Erlaubnis kam aus Zeiten, als es noch keine Gastro am Markt gab und existierte hauptsächlich für die Verpflegung der Marktarbeiter.
Die Eigentümer haben die Gewerbeberechtigung zurückgelegt. Die Firma ist in Liquidation. Angeblich wurde das Haus verkauft, die "Gräfin" soll eine Ablöse erhalten haben. Glaubt man der Gerüchteküche, so will der Schwiegersohn der Inhaber das Lokal retten.