Chronik/Wien

Corona-Leugner: Neos warnen vor "neuer Form der Radikalisierung"

Im Zuge der Corona-Pandemie haben Verschwörungstheorien abermals an Popularität gewonnen. Für die Neos Anlass, Augenmerk auf die im Umfeld von Corona-Leugnern, aber auch anderen Strömungen in Wien wahrgenommene Radikalisierung zu lenken.

Wien sei eine "weltoffene, tolerante und bunte Stadt", sagte Landessprecher und Wien-Wahl-Spitzenkandidat Christoph Wiederkehr im Rahmen einer gemeinsamen Pressekonferenz mit der renommierten Extremismusforscherin Julia Ebner und Neos-Integrationssprecher Yannick Shetty am Freitag. Diese Art zu leben werde momentan jedoch "frontal angegriffen", daher müsse "mehr zur Bekämpfung von radikalen Tendenzen in der Stadt getan werden“.

Wiederkehr bezog sich dabei sowohl auf die Auseinandersetzungen in Favoriten, nachdem türkische Rechtsradikale eine kurdische Kundgebung angegriffen hatten - aber auch auf "eine neue Form von Radikalisierung" von Corona-Leugnern und Verschwörungstheoretikern, die in den letzten Wochen in ganz Europa und auch in Wien verstärkt auf die Straße gehen.

Neue Allianz

Die per Videokonferenz aus London zugeschaltene Ebner erklärte, es habe sich eine ungewöhnliche Koalition abseits klassischer Links-Rechts-Schemata ergeben, die auch schon bei den Gelbwesten-Protesten in Frankreich zu beobachten gewesen sei.

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Neonazis, Reichsbürger, Impfgegner, klassische Verschwörungstheoretiker und besorgte Bürger würden bei den Protesten gegen staatlich verordnete Corona-Maßnahmen "Seite an Seite" laufen, verbunden durch den kleinsten gemeinsamen Nenner ihres Anti-Establishment-Ressentiments.

Terrorgefahr

Diese Verbreiterung der Basis von Verschörungstheoretikern bringe zwei Gefahren mit sich, führte Ebner aus: Einerseits werde dadurch das Vertrauen in demokratische Institutionen, Medien und Wissenschaft untergraben. Andererseits drohe aber auch die Gefahr einer Inspiration für Gewaltakte und Terroranschläge wie im deutschen Hanau Anfang des Jahres. Im Februar hatte ein Verschwörungstheoretiker in der hessischen Stadt zehn Menschen - darunter seine Mutter - und sich selbst erschossen.

Eine zentrale Rolle in der Corona-Leugner-Bewegung spielt die Online-Plattform "QAnon". Ebner recherchierte vor mehreren Jahren selbst undercover bei QAnon, damals sei die Community aber noch ein "kleines Randphänomen in den USA" gewesen. Heute ist die Plattform das größte Verschwörungstheoretiker-Netzwerk mit 4,5 Millionen Mitgliedern - und hat auch in Wien Fuß gefasst.

Ansatzpunkte

Um den Verschwörungstheorien entgegenzuwirken, empfiehlt Radikalisierungs-Expertin Ebner, im Bildungsbereich anzusetzen. Erfahrungen aus Großbritannien, wo die gebürtige Österreicherin momentan forscht, zeigten, dass "ein ganzheitlicher Zugang zum Thema Radikalisierungsprävention und Deradikalisierung" nötig sei.

Zusätzlich brauche es Gesetze zur Entfernung gewaltvoller und gewaltinspirierender Inhalte nicht nur auf großen Online-Plattformen wie Facebook, sondern auch auf kleineren - und extremeren - Tech-Plattformen.

Neben der wachsenden Community der Corona-Leugner seien aber auch Islamismus, Rechtsextremismus und Linksextremismus in Wien stellenweise ein Problem, sagte Ebner.

Shetty: Brauchen langfristige Strategie

Neos-Integrationssprecher Shetty betonte, es brauche eine "langfristige Dialog- und Friedensförderung zwischen Communities mit Konfliktpotential". Denn in bestimmten Communities gebe es "integrations-störende Milieus und isolationistische Strömungen", wie etwa die tschetschenischen "Sittenwächter", aber auch die bereits angeführten türkischen Nationalisten.

Um diesen Herausforderungen entgegenzutreten, stellten die Neos einen Sieben-Punkte-Plan zur Deradikalisierung vor:

  • Workshops, Schulungen und Seminare, speziell für Kinder und Jugendliche an Schulen, um jungen Menschen auch Perspektiven zu zeigen und in weiterer Folge zu ermöglichen.
  • Mehr Hilfe und Aussteigerprogramme für Extremisten.
  • Vermehrte Kontrollen von einschlägigen Vereinen, hier müsse das BVT schneller reagieren und kontrollieren. 
  • Einen Schulsozialarbeiter pro Schule, damit sich Lehrer auf ihren Bildungsauftrag konzentrieren können
  • Eine Ansprechperson direkt an den Schulen für Schüler, Eltern und Lehrer, um sie bei ihren täglichen Sorgen und Anliegen unterstützen zu können.
  • Peer-to-Peer Ansätze mit Vertretern aus der Community, um gegen Mobbing, Bullying, Bedrohungen etc. vorzugehen. Hier könnten nach Neos-Vorstellungen etwa liberale Muslime gestärkt werden. Ansprechpersonen wie muslimische Frauen könnten vernetzt mit Sozialarbeitern und Polizisten arbeiten.
  • Darüber hinaus wollen die Neos einen gemeinsamen Ethikunterricht, der einen Rahmen schaffen soll, damit alle mit an Bord geholt werden. Auch unterschiedliche Deradikalisierungsprogramme der Stadt Wien wie "Heroes" oder "Respekt: Gemeinsam Stärker“ müssten besser gefördert und ausgebaut werden. 
  • Und schließlich eine Monitoringstelle bei der man anonym Vorfälle melden kann, die dann gesammelt werden und gegen die man explizit vorgehen kann. Das sei "sehr wichtig" für die sozialen Medien, wo ein zunehmender Anstieg an Hasspostings zu sehen sei.