Chronik/Welt

In Großbritannien stellt sich bereits der Impf-Effekt ein

In Großbritannien ist die Zahl der neuen Coronatoten auf ein Halbjahrestief gesunken. Am Sonntag seien 33 Coronatote gezählt worden, so wenige wie seit Anfang Oktober nicht mehr. Beobachter werteten dies als Zeichen, dass die Impfstrategie in dem massiv von der besonders ansteckenden Virusvariante B.1.1.7 betroffenen Land wirkt. Im Jänner und Februar hatte es Spitzenwerte von über 1.000 Coronatoten pro Tag gegeben.

Die Zahl der Neuinfektionen lag am Sonntag bei 5.312, was ebenfalls unter dem Wert des Vortages (5.587) lag. Der Rückgang war aber wesentlich geringer als jener der Coronatoten, was als Indiz gewertet wurde, dass die Impfung zwar nicht umfassend gegen Infektionen, aber doch gegen schwere Verläufe und Todesfälle wirkt. Die Sieben-Tages-Inzidenz liegt damit bei 55,7 - ist also um ein Vielfaches geringer als in Österreich.

"Fantastischer Erfolg"

Mittlerweile haben 27,6 Millionen Menschen in dem früheren EU-Mitgliedsstaat zumindest eine Dosis des Coronavirus-Impfstoffes erhalten, was mehr als die Hälfte der erwachsenen Population des Landes ist. 2,3 Millionen Menschen haben bereits beide Impfdosen bekommen. Die konservative Regierung von Premierminister Boris Johnson bejubelte am Wochenende einen „fantastischen Erfolg“ und feierte einen Tagesrekord nach dem nächsten: So wurden allein am Samstag mehr als 870 000 Menschen an einem Tag immunisiert. Während man in der EU verzweifelt auf Nachschub wartet, haben die Briten nur vereinzelt mit Lieferengpässen zu kämpfen - auch, weil sie selbst kaum Impfstoff exportieren. Doch das ist nicht der einzige Grund.

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Warum läuft es bei den Briten besser als in der EU?

Auf der Insel  impfen tatsächlich alle, die das auch können - so simpel lässt sich die britische Herangehensweise zusammenfassen. So dürfen neben den Impfzentren auch schon seit Monaten Hausärzte impfen. Sogar zahlreiche Apotheken haben eine Zulassung. Die Mehrheit der Impfungen wird von Hausärzten verabreicht, wie der Mediziner Azeem Majeed vom Imperial College London berichtet. Bei ihren Impfzentren sind die Briten erfinderisch: Sie funktionieren auch leere Stadien, Rennbahnen, Einkaufszentren und sogar Kirchen wie die berühmte Westminster Abbey um.

Auch das Gesundheitssystem spielt eine Rolle. Üblicherweise sind die Briten im staatlichen Gesundheitsdienst NHS mit einer Nummer registriert - und damit bei einem Hausarzt in ihrer Nähe. Neben dem offiziellen Brief vom NHS kontaktieren die Hausarztpraxen ihre Patienten auch direkt per SMS oder Telefon, wenn sie beim Impfen an der Reihe sind. Wer keine Benachrichtigung erhält, aber nach offizieller Impfreihenfolge trotzdem dran ist, bekommt auch ohne Einladung einen Termin.

Was im Kühlschrank ist, wird auch geimpft

Über ein landesweit einheitliches Buchungssystem lassen sich online Impftermine in den Zentren buchen. Dabei stehen meist mehrere Orte zur Auswahl, außerdem lassen sich genaue Uhrzeiten buchen. Wer lieber vom Hausarzt geimpft werden möchte, muss sich manchmal etwas länger gedulden, kann dort aber auch - meist telefonisch - einen Termin ausmachen. Wer benachrichtigt wurde, aber keinen Termin bucht, gerät nicht aus dem Blick. Der sogenannte Immunisierungs-Management-Service hakt per Anruf nach. Außerdem bekommt man SMS mit einer Terminerinnerung aufs Handy geschickt.

Dazu kommt, dass die Briten - anders als oft in Deutschland - die zweite Impfdosis nicht zurücklegen. Was im Kühlschrank ist, wird auch geimpft. Man vertraut darauf, dass noch genug Impfstoff verfügbar ist, wenn die zweiten Termine anstehen. Bislang hat sich das ausgezahlt - allerdings ist das Land auch weniger von Lieferengpässen betroffen als die EU. Erst vor wenigen Tagen gab es die erste Meldung, dass einige Millionen Dosen aus indischer Produktion später kommen.

Vertrauen in Astra Zeneca

Großbritannien setzt zudem auf größere Abstände zwischen erster und zweiter Dosis. Beim Astrazeneca-Impfstoff handhaben das andere Länder mittlerweile genauso, nachdem weitere Daten zur Wirksamkeit veröffentlicht wurden. Die Briten strecken jedoch auch bei Biontech/Pfizer das Intervall - und versorgen damit einen größeren Teil ihres Landes mit einer Teil-Immunität durch die erste Dosis.

„Wir verschwenden keinen Impfstoff“, sagt der Mediziner Majeed. Arztpraxen führen Listen mit Patienten, die schnell zur Praxis kommen können, falls am Abend Impfdosen übrig bleiben. So gibt es immer wieder auch Menschen, die geimpft werden, obwohl sie eigentlich noch gar nicht an der Reihe sind - aber zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Deutschland will seine Reihenfolge künftig auch etwas pragmatischer nutzen als bisher.

Während etliche EU-Staaten wegen sehr seltener Fälle an seltenen Nebenwirkungen wie Blutgerinnseln zeitweise aussetzen, impften die Briten weiter. Die britische Zulassungsbehörde rief Menschen mit länger anhaltenden Nebenwirkungen zwar auf, sich Rat beim Arzt zu suchen. Allerdings betont die Regierung durchgehend, die Vorteile der Impfung seien bei weitem größer als die Risken. Der medizinische Regierungsberater Jonathan Van-Tam sagt: „Impfstoff rettet keine Leben, wenn er im Kühlschrank liegt.“