Chronik/Österreich

Rechtsextremismus in Österreich: "Es ebbt nicht wirklich ab"

Thomas Mühlbacher, Leiter der Staatsanwaltschaft Graz, bezeichnet die Entwicklung als besorgniserregend: Innerhalb von wenigen Jahre haben sich die Verurteilungen wegen NS-Wiederbetätigung mehr als verdoppelt.

Auch die Zahlen im Verfassungsschutzbericht kletterten nach oben: Österreichweit gab es im Vorjahr 1.622 Anzeigen wegen rechtsextremer, rassistischer oder antisemitischer Vorfälle, gegenüber 2017 ein Plus von 2,9 Prozent (1.576 Anzeigen). In diese Deliktgruppe fallen die Anzeigen nach dem Verbotsgesetz, sie haben massiv zugenommen: 798 entsprechende Verdachtsfälle gab es 2017, im Vorjahr jedoch 877, ein Zuwachs von 9,9 Prozent.

"Nicht mehr plump"

"Man hat das Gefühl, es ebbt nicht wirklich ab", sagte Staatsanwalt Mühlbacher jüngst bei einer Tagung über Extremismus in Graz. In den 1990ern habe es jährlich zwei, drei eingeleitete Verfahren wegen Wiederbetätigung gegeben. "Das waren Jugendliche, die Hakenkreuze in die falsche Richtung an Wände geschmiert haben“, erinnert sich Mühlbacher. "Aber was wir jetzt sehen sind keine pubertären Aussagen, keine plumpen Schmierereien. Das sind im Wesentlichen Taten erwachsener Männer."

Die Szene habe sich geändert, so viel bestätigt auch Politikwissenschafter Bernhard Weidinger vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW). "Heutzutage gibt es nicht mehr viele Leute, die in Kameradschaftsstruktur organisiert sind oder revisionistische Schriften verfassen. Wenn wir über organisierte Neonazis sprechen, reden wir immer noch über dieselben Figuren wie vor 30 Jahren."

Alle Inhalte anzeigen

Das meint die Partie um den Rechtsextremen Gottfried Küssel oder den Steirer Franz Radl, der vor zehn Tagen zu sechs Monaten bedingter Haft wegen Wiederbetätigung als Folgestrafe verurteilt wurde (nicht rechtskräftig). Ende Oktober steht ein weiterer Vertrauter Küssels wegen Wiederbetätigung in Wien vor Gericht, dessen „Gauleiter“. Doch die Zeiten einer offen auftretenden VAPO, der „Volkstreuen Parlamentarischen Opposition“ Küssels scheinen dennoch vorbei.

Alle Inhalte anzeigen

„Grundsätzlich ist es positiv, wenn der militante Neonazismus auf niedrigem Niveau ist“, analysiert Weidinger. „Aber das ist die Folge eines Lerneffektes. Diese Leute sehen, dass sie mit offenem Neonazismus nichts mehr gewinnen können.“ Staatsanwalt Mühlbacher sieht das ähnlich: „Die Ideologie bewegt sich auf die Mitte der Gesellschaft zu.“ Geschickt eingefädelte Taten zeigten, dass „da Intelligenz dahinter steckt. Das macht es gefährlich.“

Ganz anders ist die Lage in Deutschland – dort berichtete die ARD am Wochenende, dass die Zahl der sichergestellten Waffen im rechtsextremen Milieu im Vorjahr (von 676) auf 1091 gestiegen ist.

Offen zur Schau getragene Gesinnung wie vor einigen Jahren bei den „Objekt 21“-Verfahren in Oberösterreich ist selten: Ein Angeklagter kam mit einer „Combat 88“-Jacke in den Gerichtssaal, eine für „Heil Hitler“ stehende Ziffernkombination zusätzlich zum tätowierte Reichsadler auf dem Kopf.

Schwerer fassbar

„Rechtsextreme Inhalte werden weitaus subtiler und strafrechtlich schwer fassbarerer an den Empfängerkreis weitergeben“, resümiert Mühlbacher. Vom Bild der Neonazis in Bomberjacken müsse man sich endgültig lösen.

Das DÖW schätzt diese Szene in Österreich als klein ein, 1.000 Personen, doch nur die Hälfte von ihnen rechtsextrem. „Ich warne davor, diese Problematik auf den kleinen Ausschnitt zu reduzieren“, mahnt Weidinger.

Längst habe sich eine gebildetere Schicht an Rechtsextremen etabliert, die wisse, wie weit sie sich strafrechtlich wagen dürfe, Stichwort Identitäre Bewegung. „Sie betreiben die modernisierte, ins 21. Jahrhundert geholte Form des Rechtsextremismus.“ Die Identitären streiften am Nationalsozialismus nicht direkt an, denn „sie haben erkannt, dass man auf dem Feld nichts holen kann. Aber ihr Ziel ist globale Apartheid, das ist nur auf verbrecherische Weise umsetzbar. Das wollten die früheren Rechtsextremen auch.“