Chronik/Österreich

Rechtsextreme Szene in Österreich: „Gewaltbereitschaft als Ideologie“

„Rechtsextreme Aktivitäten stellen eine demokratiegefährdende Tatsache dar“ – so steht es (seit 2019) erstmals klar und deutlich in einem österreichischen Verfassungsschutzbericht. Wie auch bei dem Amokläufer in Halle (Deutschland) gibt es eine zunehmende Radikalisierung vor allem im Internet, die „offene Neonaziszene“ schrumpft hingegen.

Die Straftaten mit rechtem Hintergrund nehmen leicht zu und verlagern sich in den virtuellen Raum. Allerdings steigt auch die Gewaltbereitschaft – von 14 auf 20 Körperverletzungen im Jahr 2018.

2000 Rechtsextreme

Den harten Kern der österreichischen Rechtsextremismus- und Neonaziszene schätzt das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW) auf 1.000 bis maximal 2.000 Personen. Das Milieu wird hierzulande grob in mehrere Bereiche eingeteilt: Das ursprünglich aus Großbritannien stammende Neonazi-Netzwerk „Blood & Honour“, das vor allem von Vorarlberg bis in die Steiermark auftritt und auch einschlägige Konzerte veranstaltet. Diese neonazistische Subkultur und Skinheadszene hat enge Verschränkungen mit kriminellen Milieus.

Die zweite Gruppe (rund 200 Personen) ist eine Art Überbleibsel der neonazistischen Webseite „Alpen-Donau-Info“. Die dritte und aktivste Gruppe ist der rechtsextreme Marketingverein „Identitäre Bewegung Österreich“ (IBÖ) um Martin Sellner. Der IBÖ-Kader soll 50 bis 70 Personen umfassen, bei Demos werden schon einmal 300 Personen mobilisiert.

„Der Generationenwechsel ist mit einem Wechsel der Strategie und Taktik verbunden“, sagt Historiker Andreas Peham vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW) zum KURIER. „Inhaltlich hat sich wenig geändert, sie setzen nur neue Begriffe und Codes ein.“ Eine der kruden Verschwörungstheorien, an der sich nicht nur die ultrarechte Szene ständig euphorisiert, ist der „große Bevölkerungsaustausch“ in Europa durch muslimische beziehungsweise nicht-weiße Zuwanderer.

Der „große Austausch“

Mit diesem angeblichen Bevölkerungsaustausch haben schon Massenmörder in Norwegen und in Neuseeland ihre Taten begründet. Auch der heimische Verfassungsschutz stellte heuer fest, dass kriminelle Taten von Ausländern deshalb in sozialen Medien stärker dargestellt werden, als sie tatsächlich sind, um gegen Flüchtlinge und Asylwerber Stimmung zu machen.

„Ohne den sozialen Wahn vom großen Austausch der Bevölkerung würden diese Typen in ihrem individuellen Wahn nicht zu Gewalttaten schreiten“, sagt Historiker Peham. „Bei dem Tatverdächtigen in Halle dürfte es sich um einen sogenannten einsamen Wolf handeln. Auch der österreichische Verfassungsschutz meint, dass uns diese in Zukunft stärker beschäftigen werden.“ Nachsatz: „Diese sind kaum an die reale Welt angebunden, aber das Internet erlaubt es ihnen, sich als Teil einer verschworenen Gruppe zu fühlen. Aus diesem Gefühl heraus beziehen sie ganz viel Legitimation für die Tat.“

Mit Stichwörtern wie „Islamisierung Europas“ oder der Parole des „großen Austauschs“ werden ein permanenter Handlungsbedarf und ein „Kulturkampf“ suggeriert, heißt es im aktuellen Verfassungsschutzbericht. Zur Legitimierung der Anliegen werden immer wieder Anknüpfungspunkte zu historischen Ereignissen herangezogen, um darauf aufmerksam zu machen, dass die „autochthone Bevölkerung“ insbesondere durch Zuwanderung gefährdet sei. So wird die Belagerung Wiens durch das osmanische Heer im Jahr im Jahr 1683 thematisiert, aber stets geflissentlich weggelassen, dass die Osmanen später zu den Verbündeten Österreichs gehörten (etwa im Ersten Weltkrieg).

Hooligans und MMA

Im Osten Österreichs gibt es aber auch eine nicht unbeachtliche Zahl rechtsradikaler Hooligans im Umfeld der zwei größten Fußballklubs. Gewaltfantasien werden auch in der Kampfsportszene ausgelebt, so gibt es eigene Kämpferteams in der besonders brutalen Mixed-Martial-Arts-Szene, wo wiederum eine Verbindung zu Rockern und Rotlicht hergestellt wird.

„Wir brauchen uns keine Illusionen machen, die Gewaltbereitschaft liegt schon in ihrer Ideologie begründet“, sagt Rechtsextremismus-Forscher Peham zum KURIER. „Rund um die Flüchtlingskrise 2015 haben wir eine enorme Militarisierung bemerkt. Wir wissen auch, dass in der Szene hierzulande noch nie mehr Waffen vorhanden waren als heute.“

Dies hatte zuletzt auch der deutsche Innenminister Horst Seehofer (CSU) festgestellt. In Deutschland etwa stieg die Zahl der sichergestellten Waffen im rechtsextremen Milieu im Vorjahr (von 676) auf 1.091.