Chronik/Österreich

Das mafiöse Geschäft mit Aufenthaltstiteln in Österreich

Knapp 460.000 Ausländer leben in Österreich mit einem Aufenthaltstitel. Ein nicht unbeträchtlicher Teil der Titel dürfte mit gefälschten Dokumenten erschlichen worden sein. In rund 8000 Fällen konnte das die Polizei nun nachweisen. Doch glaubt man den Ermittlern, ist das nur die Spitze des Eisbergs. Seit 2015 laufende Ermittlungen – die bisher geheime Verschlusssache waren – lassen ein schier unglaubliches Ausmaß vermuten. Steuergeld in zumindest wohl zweistelliger Millionenhöhe dürfte damit erschlichen worden sein.

„Man kann hier von Mafia und Organisierter Kriminalität sprechen“, sagt Ermittler Valentin S.Es gibt Organisatoren, Vermittler, Läufer und Fälscher.“

Die Vorgeschichte für diesen Betrug gigantischen Ausmaßes beginnt im Jahr 2011. Unter dem damaligen Integrationsstaatssekretär Sebastian Kurz wurde eine so genannte Integrationsvereinbarung geschlossen. Wer EU-Ausländer ist und einen Aufenthaltstitel für Österreich haben will, muss seither vier Dinge bestätigen lassen: seine Identität, einen Wohnsitz, seine Sprachkenntnisse und einen Schulabschluss.

Bei allen vier Nachweisen dürfte es in den vergangenen Jahren zu Unregelmäßigkeiten und Betrügereien gekommen sein. Die Abteilung Fremdenpolizei und Anhaltevollzug (AFA) konnte zehn Tätergruppierungen ausforschen, die sich vor allem auf so genannte Sprachzertifikate spezialisiert hatte – diese wurden teilweise komplett gefälscht, teilweise halboffiziell verkauft. Von zehn zertifizierten Sprachschulen sollen vier mehr oder weniger daran beteiligt sein.

So wurde ein hauptberuflicher Pizzabote erwischt, der offiziell studierte und angeblich Deutsch auf Hochschulniveau sprechen konnte. Manche dieser Personen waren Analphabeten und schafften nicht einmal Diktate der dritten Volksschulklasse zu schreiben. Alle erhielten aber Aufenthaltstitel um in Österreich zu arbeiten, etwa als Putzkraft oder im Baugewerbe. Manche nutzten das auch aus, um medizinische Behandlungen zu erhalten. In einem Fall wurden einer krebskranken Frau aus Ex-Jugoslawien Chemotherapien und Operationen in der Höhe von mehr als 100.000 Euro finanziert, die sie sich auf diese Weise erschlichen hat. Rund drei Viertel der Fälle passierten in Wien, der Großteil der anderen in Ober- und Niederösterreich.

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Viele Beteiligte

Mitgespielt haben dürften viele, ein Rechtsanwalt wurde kürzlich zu drei Jahren Haft deswegen verurteilt. Noch gar nicht ausgeforscht sind Beamte, auch hier laufen umfangreiche Ermittlungen zu denen die Polizei vorerst noch nichts Näheres sagen will, außer dass es „ein größeres Ausmaß hat“. Auch die Schadenssumme ist unklar, allein für gefälschte Dokumente und Zertifikate soll laut AFA ein einstelliger Millionenbetrag geflossen sein. Im Dunklen ist vorerst, wie viel Sozialhilfe damit erschlichen wurde, vermutlich aber wohl ein Vielfaches.

Bei den Sprachkursen war es etwa so, dass der Staat einen Teil der Ausbildungskosten sogar refundiert. Das heißt, die EU-Ausländer zahlten 400 bis 2700 Euro für ein gefälschtes Zertifikat und bekamen einen Teil der Kosten wieder als Förderung zurück.

Niedrige Strafe

Die Folge war meist nicht, dass die Betroffenen ausreisen mussten oder ihren Aufenthaltstitel verloren. „In den bisherigen Fällen gab es oft eine Diversion vor Gericht“, sagt Ermittler Valentin S. Damit machen sich jene, die sich den Aufenthalt erschlichen haben, nicht strafbar und verlieren den Aufenthaltstitel meist nicht. Wobei Wien laut Polizei toleranter ist als Nieder- und Oberösterreich.

Bei den aktuellen Fällen handelt es sich vor allem um Aufenthaltstitel für Personen aus dem früheren Jugoslawien. Es ist nicht davon auszugehen, dass es bei anderen sehr viel anders läuft. Und die Hintermänner haben ihre Finger auch bei anderen Delikten im Spiel – quasi nebenbei zu diesen Ermittlungen wurde ein Millionenbetrug aufgedeckt, Opferstockdiebe gefasst sowie 24 nordafrikanische Trickdiebe und 139 Taschendiebe festgenommen.

Gesetzgeber gefordert

Für die Polizisten ist klar: „Der Gesetzgeber macht Sozialbetrug leicht.“ Selbst wer abgeschoben oder ausgewiesen wird, kann wieder zurückkommen. „In Serbien kann man für 50 Euro den Namen ändern und unter neuer Identität wiederkommen“, so ein Fahnder. Die AFA-Beamten künden an, dass in den nächsten Monaten weitere Fälle bekanntgegeben werden.

Zuständig in Wien sind dafür aktuell vier Ermittler.