Mentoring bei Younus: Wo besondere Beziehungen geknüpft werden
Von Anna Strobl
Geld, Umsatz und Gewinn: So beschreibt Martina Six ihren Alltag über zwanzig Jahre hinweg. Die 44-Jährige war in der Baubranche tätig. Doch sie wusste, dass etwas fehlte: „Ich habe es nicht mehr ausgehalten. Ich wollte, dass sich mein Leben nicht nur um Materielles dreht.“
Kurzerhand stieß sie bei ihrer Suche nach mehr emotionaler Erfüllung im Internet auf Younus (ehemals Big Brothers and Sisters).
Die gemeinnützige Organisation stellt Kindern und Jugendlichen eine zusätzliche Bezugsperson an ihre Seite. Davon fühlte sich Martina Six angesprochen: „Ich will jungen Mädchen eine Stütze sein, meine Erfahrungen mit ihnen teilen und auch beim Selbstbewusstsein helfen.“
Ein Kakao fürs Herz
Der Baubranche hat die 44-Jährige vergangenes Jahr den Rücken gekehrt. Sie macht eine Ausbildung zur Psychotherapeutin und ist, neben ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit mit Younus, als freischaffende Künstlerin tätig.
Über die Organisation hat sie die 11-jährige Sophia (Name von der Redaktion geändert) kennengelernt. Seit Juli 2022 verbringen sie regelmäßig gemeinsam Zeit.
Younus Österreich (ehemals Big Brothers and Sisters) wurde 2012 gegründet. Im Fokus steht dabei Eins-zu-Eins Mentoring. Seit 2023 ist die Organisation unter dem Namen Younus unterwegs - eine Wortspiel aus den englischen Begriffen "you" und "us".
Ein miteinander schaffen
Jungen Menschen wird dabei eine erwachsene Person als zwischenmenschliche Unterstützung an die Seite gestellt. Diese Beziehungen sollen dazu beitragen Kindern und Jugendlichen neue Perspektiven aufzuzeigen und Vertrauen zu stiften.
Beim Auswahlprozess achtet Younus auf die Kompatibilität: Interessen, Bedürfnisse und Persönlichkeiten aller Beteiligten sollen dabei berücksicht werden.
In den Bundesländern Wien, Niederösterreich, Oberösterreich und der Steiermark sucht die Organisation nach Menschen, die sich gerne ehrenamtlich (mindestens ein halbes Jahr lang) in ihrer Freizeit mit einem Kind, einem Jugendlichen oder einem Elternteil zu treffen. Nähere Informationen gibt es auf der Website.
Schaukeln gehen
Vorgesehen sind etwa zwei Stunden, die „Mentor“ und „Mentee“, also Betreuer und Betreute, wöchentlich miteinander verbringen sollen. „Ich habe gemerkt, da geht bei uns nicht viel weiter. Deshalb dehnen wir das immer auf fünf Stunden aus“, erklärt Martina Six. „Sophia bekommt dadurch mehr Gelegenheiten, sich zu öffnen.“
Das sei extrem wichtig, denn das Leben von Sophia sei aufgrund der Krankheit eines Familienmitglieds nicht immer leicht. „Es gibt Tage, da merke ich, dass etwas vorgefallen sein könnte, weil sie sehr ruhig ist“, sagt Six. In solchen Momenten würde die 11-Jährige es lieben, schaukeln zu gehen.
Martina Six bedrängt Sophia nicht, wenn sie Zeit für sich braucht: „Sie hat neulich zu mir gesagt, dass sie froh darüber ist, dass ich sie verstehe.“ Wenn es an der frischen Luft nach einiger Zeit zu kalt wird, gibt Six einen Kakao aus, und der bringt Sophia dann doch noch dazu, ihr Herz auszuschütten.
Aller Anfang ist schwer
Sophia hatte früher Angst vor fremden Menschen. Das war auch beim ersten Younus-Treffen so, weshalb ihre ältere Schwester (18 Jahre) sie begleitete. Gemeinsam besuchten sie Six in ihrem Atelier.
„Das war ein guter Eisbrecher. Wenn es ruhig war und keiner etwas sagen wollte, war es nicht unangenehm, da jeder etwas gemalt hat.“ Das dürfte auch der 11-Jährigen zugesagt haben, seitdem trifft sie sich alleine mit ihrer Mentorin.
Ein bisschen Alltag
Oft treffen sie sich zum Malen, Basteln oder Backen. Aber auch Ausflüge machen sie: Sämtliche Wiener Museen haben die beiden über eine Younus-Kooperation besucht. Sophias aktuellen Lieblingsfilm „Avatar“ haben sie zweimal im Kino gesehen. Doch es muss nicht immer spektakulär sein: „Manchmal wünscht sie sich etwas Alltag.“ Egal, ob es das Befüllen der Waschmaschine ist oder das Sortieren von Farben im Atelier: Six gibt Sophia Platz dafür.
Kein Ende in Sicht
„Es ist wichtig, Kindern zu zeigen, dass jemand da ist. Vor Younus hätte ich mir das nie so vorstellen können“, betont sie. In Sophias Familie sei sehr viel Liebe da. Durch Younus bekomme das Mädchen weitere Unterstützung.
Nach ihrem ersten Jahr mit Martina Six wurde Sophia von Younus-Betreuern gefragt, was sich verändert hat.
Man müsse keine Angst vor Fremden haben, antwortete sie. Die Veränderung und persönlichen Fortschritte des Mädchens mit anzusehen, erfüllen Martina Six mit Freude.
Sie betont aber, durch die Betreuung auch selbst zu profitieren: „Ich habe meine Blase verlassen und in der Zeit mit Sophia so viel gelernt.“
Meist betreut man ein Younus-Patenkind ein Jahr lang, mit Option auf Verlängerung. Und wie sieht es danach bei Martina Six und Sophia aus? „Sie ist Teil meines Lebens. Egal wie, wir machen weiter.“