Jahrzehntelang wuchs Gras über verdrängtes NS-Lager
1947 waren die Zeitungen voll davon. Der Prozess, den die britischen Besatzungsmächte gegen die Leiter des „Lagers V“ führten, endete mit zwei Todesurteilen, die vollstreckt wurden.
Doch dann „wuchs Gras über die Sache“, beschreibt Barbara Stelzl-Marx vom Ludwig Boltzmann Institut für Kriegsfolgenforschung: Wo Tausende NS-Zwangsarbeiter festgehalten wurden, ehe sie in das KZ Mauthausen marschieren mussten, wurden Wohnhäuser und Gärten errichtet.
Heuer widmet die Stadt Graz dem Teil der Geschichte eine Ausstellung. Die Forscher suchen noch nach Zeitzeugen oder Gegenständen, die mit dem mittlerweile „Lager Liebenau“ bezeichneten NS-Komplex zu tun hatten. „Den Vorwurf, dass wir den Mantel des Vergessens darüber legen wollen, möchte ich für die Stadt nicht auf uns sitzen lassen“, beteuert Kulturstadtrat Günter Riegler, ÖVP.
Debatte um Staustufe
Geschichte würde mit „Baggern planiert“, fürchteten namhafte Historiker im Vorjahr. Da war die Debatte um das neue Murkraftwerk in Graz gerade auf dem Höhepunkt: Archäologen entdeckten Reste des NS-Lagers in unmittelbarer Nähe zur Staustufe Puntigam, sogar Graffiti von Zwangsarbeitern. Doch die Mauerreste wurden wieder zugeschüttet.
Historikerin Stelzl-Marx sieht das jedoch als Vorteil. „Für Archäologen ist das die beste Konservierung.“ Jeder Fund sei genau dokumentiert. Nicht überprüft wurden aber bisher die Bombentrichter: „Probebohrungen werden von den Archäologen verneint. Das wäre wie die Nadel im Heuhaufen zu suchen.“ Das zielt auf den Verdacht, dass in den Trichtern NS-Opfer verscharrt worden sein könnten: So etwas passierte in der SS-Kaserne in Graz-Wetzelsdorf (heute Belgierkaserne). Sollten Arbeiter aber auf Trichter stoßen, werden sie geöffnet, versichert Stelzl-Marx. Was das für die Bauarbeiten bedeuten würde, ist klar: An der Stelle muss so lange gestoppt werden, bis Archäologen und Denkmalamt den Bereich wieder freigeben.
Fünf Themenbereiche hat die Ausstellung, die im November eröffnet wird: Lager Liebenau, NS-Herrschaft generell, Todesmärsche, Nachkriegsjustiz und Verdrängung. Für Historiker ist ein Fund im Stadtarchiv zudem eine Sensation: Man stieß auf die Zwangsarbeiterkartei sowie Meldedaten für das Lagerpersonal. Bisher ist belegt, dass 34 Menschen in dem Lager erschossen wurden.