Präzisionsarbeit

Ein Glasbläser formt ein Glas mit einer orangefarbenen Glasmasse.
Glasbläser ist einer der härtesten Jobs der Welt – und in Österreich vom Aussterben bedroht. IMMO war zu Besuch in der Glashütte Riedel.

Zehn Prozent Kalk, zwanzig Prozent Soda und die Kieselsäure im Quarzsand verschmelzen bei rund 650 Grad Celsius zu Glas. An dem Rezept, das die alten Ägypter vor 5000 Jahren herausfanden, an den Zutaten und der Herstellung, hat sich bis heute nicht wirklich viel verändert. Selbst so luxuriöse Produkte wie die Gläser und Karaffen von Riedel werden auf diese Art und Weise hergestellt. Und zu der gehört vor allem viel Handarbeit und körperliche Fitness.

Glasbläser formen Glas auf einer Bühne.
Denn in der Glashütte ist es heiß: Bei rund 40 Grad darf kein Lüftlein durch die Fabrik ziehen, sonst würde das Glas Schlieren bekommen. Die Herren tragen bis zum Bauchnabel aufgeknöpfte Hemden und kurze Hosen als Arbeitskleidung – und Schlapfen, in denen sie zwischen glühenden Öfen hin und her laufen und flüssiges Glas durch die Gegend tragen. Ob das nicht gefährlich sei? Nein, wie einer der Glasbläser erklärt: "Flüssiges Glas haftet nicht auf kalten Oberflächen. Würde man jedoch Sicherheitsschuhe mit Stahlkappen tragen, würde das Metall die Hitze weiterleiten und die Haut verbrennen."


Ein Glasbläser formt flüssiges, gelbes Glas mit einem Werkzeug.
Er taucht die Pfeife in den Ofen, nimmt einen Batzen des honigfarbenen Gemischs heraus und bläst, bis die Substanz eine kleine Blase bildet. Damit sich das zähflüssige, glühende Glas gleichmäßig verteilt, muss er die Pfeife ständig drehen – eine der größten Herausforderungen im Herstellungsprozess. Dreht er zu schnell, verpasst er der Blase eine Wuchtung. Dreht er zu langsam, fällt sie zusammen.

Ein Glasbläser formt eine Vase aus flüssigem Glas.
Das Beherrschen dieser Technik erfordert viel Feingefühl und jahrelange Erfahrung. Das Problem: Glasbläser ist in Österreich ein aussterbender Beruf. "Seit den 1990er-Jahren gibt es keine Berufsschule mehr", sagt Maximilian Riedel. "Wir haben zu wenig Glasmacher und es gibt keine Unterstützung vom Staat. Dabei ist das einer der ältesten und härtesten Jobs der Welt", so der Geschäftsführer, der den Betrieb seit vergangenem Jahr leitet. Die hauseigene Lösung: Mitarbeiter selbst ausbilden und lange im Unternehmen halten. Das beste Beispiel dafür ist Hüttenmeister Rudi Moser. Er ist seit 54 Jahren im Betrieb und hat drei Generationenwechsel an der Spitze des Unternehmens miterlebt: Von Walter zu Claus, von Claus zu Georg und von Georg zu Maximilian Riedel.

Geringe Mitarbeiter-Fluktuation hat einen weiteren Vorteil: Um ein Glas oder eine Karaffe herzustellen, bedarf es sehr viel Übung. Der Glasmacher muss sich für jedes Design die individuellen Bewegungsabläufe und Arbeitsschritte einprägen, damit er ein Modell hundertfach in gleichbleibender Qualität herstellen kann.
Ein Glasbläser formt mit Werkzeugen ein Glasgefäß.
Rund 50 Glasmacher gibt es in Kufstein, die diese Arbeit noch beherrschen. Sie arbeiten in Teams von je drei bis vier Glasmachern und einem Meister.
Wieder geht einer der Glasbläser zum Ofen, holt flüssiges Glas und bringt es dem Meister, der am Ende der Halle an einer Werkbank sitzt. Er setzt eine kleine Menge am Kelch an und zieht sie mit einer Zange zu einem langen Stiel. Ein zweiter Klecks wird zur Fußplatte geformt, dann wird das Glas zum Kühlband gebracht.
Ein Glasbläser formt eine orangefarbene Glasmasse mit Werkzeugen.
Auf diese Weise entstehen täglich etwa 1400 Gläser und 700 Karaffen. Die gesamte Nachfrage von 60 Millionen Stück pro Jahr kann damit nicht gedeckt werden: Die restlichen 59 Millionen werden in zwei Standorten im bayerischen Wald maschinell produziert. Exportiert wird in weltweit 118 Länder – 40 Prozent gehen in die USA. Alle Modelle beruhen bis heute auf der rebsortenspezifischen "Sommelier"-Kollektion, die Claus Josef Riedel in den 1960er-Jahren anfertigen ließ. Er erkannte, dass der Mundrand und die Größe des Kelches das Fließverhalten und den Geschmack des Weines beeinflussen. Daran hält die Familie bis heute fest: "Ob Eier- oder Diamantform – das ist eine designorientierte Frage", so der Geschäftsführer. "Die Form hat auf den Geschmack keinen Einfluss. Es ist immer der Mundrand."
Eine Reihe von Weingläsern, gefüllt mit Rotwein, Roséwein, Weißwein und Sekt.
Auch das Herstellungsverfahren hat keinen Einfluss. "Maschinell oder handgefertigt macht von der Funktion her keinen Unterschied. Von der Emotion und vom Preis her aber schon", sagt Maximilian Riedel. "Ein mundgeblasenes Glas besitzt eine Eleganz und Ästhetik, die maschinell noch nicht herstellbar ist. Und es hat den Atem eines Glasmachers in sich. Auch wenn wir unsere Gläser als Werkzeuge des Genusses betrachten: Ein mundgeblasenes Glas ist immer auch noch ein Luxusprodukt."

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