Hang zum Extrem

Hang zum Extrem
Immer weiter, immer höher: Selbst in schwindelerregenden Höhen verwirklichen Architekten ihre Visionen. IMMO hat sich in ganz Europa umgesehen und spektakuläre Bauten – vom Museum bis zur Notunterkunft – im hochalpinen Gelände gefunden.

Auf überwältigenden 3462 Metern über dem Meer thront das neue Restaurant auf dem Pointe Helbronner. Doch es ist nicht nur wegen seiner Lage einzigartig. Es dient nicht, wie viele Neubauten in den Alpen sonst, dem Wintersport, sondern wurde primär für Touristen aus aller Welt, die einen Tagesausflug auf den Mont Blanc unternehmen möchten, gebaut. Seit Sommer gelangen Besucher in kreisrunden Kabinen von der italienischen Seite zur Bergstation hinauf – und auf der anderen Seite nach Frankreich wieder hinunter.

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DieSkyway Monte Bianco, so der Name der neuen Seilbahn, erklimmt den Gipfel in 19 Minuten, legt 4,4 Kilometer zurück und überwindet einen Höhenunterschied von 2140 Metern. Sie ersetzt drei Bahnen aus den 40er- und 50er-Jahren, die nach Abschluss der Bauarbeiten abgerissen wurden. Die Kabinen verfügen über ein System, das ihnen erlaubt, sich zu drehen – das garantiert schon bei der Auffahrt einen Panoramablick auf die fantastische Naturkulisse des Mont Blanc. Insgesamt drei neue Bauwerke wurden auf dem Weg zum Pointe Helbronner errichtet, ausgestattet mit Bars, Restaurants, einem Kino, Seminarräumen, einer Kristall-Ausstellung, Verkaufsflächen und verschiedenen Panorama-Hallen und -Terrassen.
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Schnee, Sturm und Frost, die Höhe, der Permafrostboden und viele weitere geologische Faktoren wie auch die Logistik stellten das Team während der Bauarbeiten immer wieder vor große Herausforderungen. Die Konstruktion erfolgte nach den Plänen des italienischen Architekten Carlo Cillara Rossi: "Die Fundamente sind aus Stahlbeton, die Strukturen aus verzinktem und lackiertem Stahl und Verbundglas. Das Dach wurde mit Titanzink gedeckt. Durch Photovoltaik-Paneele sind die Gebäude voll klimatisiert." Der Einstieg befindet sich in Pontal d’Entreves. Die Talstation, ein markantes Bauwerk mit einem geschwungenen Dach, das bis zum Boden herab reicht, liefert Ankömmlingen einen Vorgeschmack auf die MittelstationPavillon du Mont-Fréty– ein Rundbau mit großen Fensterfronten, ebenfalls gewölbtem Dach und vorgelagerter Terrasse.

Auf 3452 Meter Seehöhe, nahe der Helbronner Spitze, gelangen Gipfelstürmer schließlich zur neuen Bergstation. Wegen beschränkter Platzverhältnisse wurde der Komplex terrassenförmig angelegt. Ein neuer Aufzug im Felsen und ein Stollen führen von der Bergstation zum Schutzhaus Rifugio Torino, das bisher nur über eine kleine Seilbahn und einen Tunnel mit Stufen zu erreichen war. Der neue Schacht verbindet die beiden Häuser und bildet zugleich einen Teil des Fundaments der Bergstation, die Horizontalkräfte von rund 600 Tonnen aus den Seilspannkräften aufnehmen muss. Höhepunkt ist die Aussichtsterrasse mit einem Durchmesser von 14 Metern. Sie bietet einen 360-Grad-Blick auf den Gipfel des Mont Blanc (4810 m), den Dent du Géant und das außergewöhnliche Vallée Blanche.

Schräge Wände, signifikante Raumhöhen und weiß lackierte Stahlträger, die den Rahmen für die großen Panoramafenster bilden, dominieren das Innere. Auch bei der Ausstattung stößt man auf italienisches Design – so können Besucher unter anderem auf Stühlen der Möbelfirma Pedrali Platz nehmen. Zudem haben Roberto Rosset und Danilo Montovert, die das Interior-Konzept entwickelten, Farben und Materialien auf die Umgebung abgestimmt. In der Bar Ponte Helbronner entschieden sie sich etwa für schwarz lackiertes Metall und Oberflächen aus weißem Corian und nehmen damit Bezug zur Felslandschaft, dem Schnee und dem Eis.

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Auf dem ChurfirstengipfelChäserruggin der Ostschweiz eröffnete in diesem Sommer ebenfalls eine neue Bergstation. Der Holzbau auf 2262 Meter Seehöhe folgt einem Entwurf der renommierten Basler ArchitektenHerzog & de Meuron. Mit dem Ziel, die Wetterabhängigkeit zu reduzieren und das Sommergeschäft anzukurbeln, setzen sie vor allem auf einen nachhaltigen Umgang mit der Landschaft. Das alte Gebäude, ein für seine Zeit typischer Stahlbau auf einem Betonsockel, wurde neu eingekleidet und wird weiter genutzt. Quer dazu erstreckt sich entlang des Bergpanoramas ein nach Süden orientierter Bauteil, in dem das neue Restaurant samt Terrasse untergebracht ist. Ein großes Dach überspannt die Körper und schafft eine Ankunftshalle im Freien. Bei der Ausführung nahmen die Planer Bezug auf die lokale Architektur und verwendeten ausschließlich Holz aus Schweizer Wäldern. "Bei Planung und Bau wurde dem rücksichtsvollen Umgang mit der Umwelt Priorität zugeordnet", so die Architekten.
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Der 50 Meter lange Gastronomiebereich ist geprägt von unbehandeltem Fichtenholz und großen Fensterfronten zu drei Seiten. Er bietet bis zu 500 Gästen Platz, wobei die Unterteilung zwischen bedienter Gaststube und Saal flexibel gestaltet und der Raum unterschiedlich bespielt werden kann. DasAlpzimmerim ersten Stock dient für Seminare, Versammlungen und private Anlässe.

Ein besonderes Projekt wurde auch am Kronplatz fertiggestellt. Alpinist Reinhold Messner eröffnete vor Kurzem das sechste und letzte seiner Messner Mountain Museen. Mit dem Bau auf 2275 Meter Seehöhe beendet er die vor rund 20 Jahren geborene Idee, eine Museumslandschaft quer durch Südtirol zu ziehen.

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Für die Umsetzung desMMM Corones konnte Stararchitektin Zaha Hadid gewonnen werden. Der Betonbau nimmt die Form des Hanges auf und schmiegt sich wie ein Panzer über die Kuppe des Gipfelplateaus. Nur der fünf Meter hohe Eingangsbereich ist von außen sichtbar. Innen führen Treppen über drei Ausstellungsebenen tief in den Berg hinein. Durch verglaste Aussichtsöffnungen, auf die die drei Stollen im Inneren zulaufen, wird der Blick immer wieder nach draußen gelenkt. Eine einzigartige Kulisse tut sich auf: Von den Zillertaler Alpen über den Ortler bis zu den Dolomiten reicht das 240-Grad-Panorama.

Einige Kilometer weiter nördlich feierte vor Kurzem die Kirchenkarbahn in Hochgurgl Jungfernfahrt. Die moderne Seilbahn ging anlässlich der Eröffnung des Top Mountain Crosspoint in Betrieb. Die Talstation der Anlage ist in einen multifunktionalen Gebäudekomplex integriert, der auch ein Restaurant mit 280 Innen- und 380 Außensitzplätzen, die Mautstation der Timmelsjoch Hochalpenstraße sowie das höchstgelegene Motorrad-Museum Europas (das im Frühjahr 2016 eröffnen wird) beherbergt.

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Das Äußere besteht fast ausschließlich aus Holz und fällt mit seiner organisch-geschwungenen Linienführung ins Auge. Dafür zeichnet der Tiroler Architekt Michael Brötz verantwortlich: "Schneewechten standen Pate für die Form. Auf diese Art lässt sich das Gebäude mit der Landschaft wesentlich besser verschmelzen", so der Planer.

Eine Unterkunft nach dem Baukasten-Prinzip entwickelte das italienische Büro LEAPfactory, Spezialist für modulare Wohneinheiten. Mit dem Gervasutti Bivouac konstruierten die Planer eine innovative Notunterkunft für alpine Gegenden. Die äußere Form gleicht einem Fernrohr und hat einen großen Vorteil: Lawinen und starken Schneefällen bietet sie möglichst wenig Angriffsfläche.

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Zusammengesetzt wird die Röhre aus unterschiedlichen Elementen für Eingang, Schlafen, Wohnen und Sanitärbereich. Sie können portionsweise per Helikopter zum Bauplatz angeliefert werden. "Es war eine große Herausforderung, eine Struktur zu schaffen, die schweren Schnee- und Windlasten, undurchlässigem Boden und niedrigen Temperaturen das ganze Jahr über stand hält. Das Ergebnis funktioniert unter den extremen Bedingungen im Hochgebirge sehr gut. Es ist komplett vorgefertigt, so dass es an Ort und Stelle in nur einem Tag aufgebaut werden kann", sagt Architekt Stefano Girodo.

Die zusammengesetzte Schalenstruktur besteht aus PVC und Fiberglas, ist nahezu wartungsfrei und kann beliebig angeordnet werden um etwa die Anzahl der Schlafplätze zu variieren. Eine Schicht dünner Photovoltaik-Paneele auf der Außenseite versorgt die Hütte mit Strom und macht sie so zur energetisch autonomen Einheit.nAn zwei Orten finden Bergsteiger in der mit Stockbetten ausgestatteten Röhre Unterschlupf: Auf dem Mount Elbrus im Kaukasus und auf dem Mont Blanc im Aostatal (Italien). Abgesehen vom phänomenalen Ausblick sollte man dann auch der innovativen Technik Aufmerksamkeit schenken, die diesen Komfort in exponierten Lagen erst möglich macht.

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