Fünf Orte für besseres Lernen

Fünf Orte für besseres Lernen
Frontalunterricht war gestern, heute ist das Lernen individualisiert und selbstorganisiert. Dieser Entwicklung folgt auch die Architektur: In vielen Teilen Österreichs werden Bildungsbauten nach neuen Konzepten gebaut – mit offenen Zonen statt hermetisch abgeriegelten Klassenzimmern, beweglichem Mobiliar und viel Bezug zur Außenwelt.

Diesem Haus wird ein gutes Zeugnis ausgestellt: Sechs Monate nach der Eröffnung des Kultur- und Bildungszentrums in Feldkirchen an der Donau lieferten die Volksschüler die beste Mathematik-Schularbeit aller Zeiten ab. Das freut Kinder, Eltern und Lehrer – aber auch die Planer. Denn das von fasch&fuchs.architekten realisierte Gebäude entstand auf Initiative des Planungsbüros für eine neue Unterrichtsform – dem sogenannten Cluster-Prinzip.

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Dabei werden drei bis vier Klassen zusammengefasst und um eine allgemeine Lerninsel angeordnet. Ein klassisches Klassenzimmer gibt es nicht mehr. Stattdessen sorgen transparente Raumfolgen für eine bessere Integration. Die "gemeinsame Mitte" ermöglicht den Austausch zwischen Kindern verschiedener Jahrgänge, bietet Rückzugsorte und ist für Gruppen- und Einzelunterricht nutzbar. "Der reine Frontalunterreicht ist überholt. Die Tendenz geht zum offenen Lernen. Die architektonische Umsetzung bei 100 Kindern pro Cluster stellte eine Herausforderung dar, aber die Ergebnisse zeigen, dass die Lernsituation in multifunktionalen Räumen besser ist. Es passiert mehr, als nur Herumsitzen und auf die Pause warten. Die Kinder sind aktiv, haben Spaß und sammeln wichtige Eindrücke und Erlebnisse", sagt Projektleiterin Martina Ziesel.

Gemeinschaftliche Lernzonen können viele Namen tragen. In der oberösterreichischen Volksschule hat man sich auf "Marktplatz" geeinigt. Ziesel: "Der Cluster ist wohnlich gestaltet: Es gibt eine Küchenzeile und flexibles Mobiliar, mit dem man etwa kleine Einheiten abtrennen kann. Mobile Tische lassen sich u.a. kreis- und schlangenförmig anordnen. Matten in verschiedenen Höhen können zur Tribüne gestapelt, als Turnfläche genutzt oder zu einem höhlenartigen Rückzugsort gebaut werden."

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Neben der Volksschule integriert der 2014 fertiggestellte Komplex eine Musikschule, einen Turnsaal, der zugleich Veranstaltungshalle ist, und eine Neue Mittelschule. Gemeinsames Zentrum ist eine dreigeschoßige Aula. Sie ist das Bindeglied zwischen den Einrichtungen und zugleich Entreé: "Durch die lichtdurchflutete, offene Halle spürt man die neue Lernstruktur schon beim Betreten des Gebäudes", sagt Ziesel. Zentrales Element ist eine mit rot lasiertem Holz belegte Sitztreppe, die zum Lesen (im ersten Stock befindet sich eine offene Bibliothek), für Veranstaltungen, Vorträge oder als Treffpunkt genutzt wird. Unterhalb der Lesestiege lädt eine gepolsterte Sitz- und Liegelandschaft zum Verweilen ein. Blickfang ist eine Kunstintervention von Hermann Staudinger, der die Rede Erich Kästners zum Schulanfang auf der Brüstung aufbrachte.
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VS Mariagrün __ARCHITEKTURWERK CHRISTOPH KALB___©_KURT HOERBST 2014
Neue Lernformen brauchen multifunktionale Räume. Das zeigt auch die Volksschule Mariagrün. Im Grazer Stadtteil Mariatrost realisierte das BüroArchitekturwerk Berktold Kalbeine schlichte, mit Holzlamellen verkleidete Box im Passivhausstandard. Auf dem Areal befinden sich noch ein als Kindergarten genutztes Sanatorium und eine Kinderkrippe. Sie teilen sich Park, Küche und Speisesaal. Das von Eltern und Lehrern gemeinsam entwickelte pädagogische Konzept diente als Anker für die architektonische Umsetzung: Pro Geschoß gibt es je einen Cluster. An eine offene Lernlandschaft grenzen vier Klassenräume, ein Teamraum und ein Lagerraum an. "Ursprünglich sollten die Kinder nach Alter auf die Geschoße aufgeteilt werden. Doch dann wurden alle Gruppen durchmischt, werden jetzt als Jahrgangsklassen geführt und altersübergreifend unterrichtet", erklärt Philipp Berktold. "Ziel war es, aus pädagogischer Sicht nicht nutzbare Flächen wie Gänge zu minimieren und sämtlichen Räumen Aufenthaltsqualität zu verleihen."
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Die gemeinsame Mitte hält Experimentierecken und Computerstation, eine Bibliothek und andere Rückzugsorte bereit. In der "Homebase", wie die Klassen genannt werden, gibt es moderne Whiteboards statt Kreidetafeln, leicht bewegliche Tische und private Fächer und Schubladen. Das auf Stützen errichtete Haus gewährleistet außerdem eine überdachte Freiklasse und Sitzstufen zur Spielwiese hin.
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Kindergarten Kematen an der Krems von HERTL Architekten / Schneider & Lengauer___©_KURT HOERBST 2014
Eine neue Richtung schlägt man auch bei der Gestaltung von Kindergärten ein. Das zeigt ein Blick ins oberösterreichische Kematen, wo Architekt Gernot Hertl einen flach gedeckten Neubau realisierte.
"Zwei eingeschoßige Zeilen aus Gruppen- und Bewegungsräumen sind in der Tiefe zueinander verschoben, sodass sich ein L-förmiger Baukörper ergibt", erklärt Hertl. "Ein großer Allgemeinbereich, der sich aus Eingangshalle, Speisesaal und Bewegungsraum zusammensetzt bildet die bespielbare Mitte."
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Kindergarten Kematen an der Krems von HERTL Architekten / Schneider & Lengauer___©_KURT HOERBST 2014
Über raumhohe Verglasungen wird Licht in die Gruppenräume geleitet. Ihnen ist eine Veranda vorgelagert, über die man in den Garten gelangt. "Der starke Bezug zur Natur durch die großen Öffnungen ist sicher nicht alltäglich", sagt Hertl. Auch der Materialmix lässt aufblicken: Der konstruktive Holzbau ist mit bronzefarbenen Aluminiumpaneelen verkleidet. Die Veranden sind hingegen in einer haptisch angenehmen Lärchenlattung ausgeführt.
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In Maria Anzbach wurde Lois Hagmüller beauftragt, den bestehenden Kindergarten zu erweitern. Der in Holzbauweise errichtete Bau umfasst im Erdgeschoß einen großen Gruppenraum mit Kletterinsel. Im ersten Stock ist ein multifunktionaler Bewegungsraum mit Arbeits-, Personal- und Besprechungsräumen.
Ein einseitig verglaster Gang bringt Alt und Neu zusammen: "Diese Verbindungsspange übernimmt die Funktion des Eingangs mit Windfang und Garderobe. Zugleich ist sie gruppenübergreifende Begegnungszone in Form einer Kinderbibliothek", so Hagmüller.

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Ein gelungenes Beispiel steht auch in Vorarlberg: In Bludenz errichtete Bernardo Bader einen Kindergarten-Neubau, der nach der Illustratorin Susi Weigel ("Das kleine Ich bin Ich") benannt ist. Aus den Zeichnungen wurden Motive ausgewählt und auf transparenten Elementen aufgebracht. Holz wurde aus dem eigenen Forst der Stadt zur Verfügung gestellt und an Fassade, Boden, Wände und Decke verarbeitet. Ein überdachter Eingang führt in eine großzügige Halle, die auch als Spielbereich und Garderobe dient. Wände aus Sichtbeton und Glas umgeben die beiden Kindergruppen im Erdgeschoß.

Wie weit räumliche Offenheit gehen kann, ist übrigens in Skandinavien zu sehen. In Dänemark gibt es mittlerweile Schulen ganz ohne Klassen- und Konferenzzimmer. Hierzulande ist man zwar noch nicht so weit, dennoch ist erkennbar: Architektonischen Lösungen, die einer ganzheitlichen Wissensvermittlung gewidmet sind, begegnet man immer häufiger.

Lesen Sie hier Immo-KURIER: Serie Teil 2 Von der AHS bis zur Fakultät.

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