Brennkunst: Von der Fliese zum Kunstwerk

Brennkunst: Von der Fliese zum Kunstwerk
Rund und vielfärbig statt rechteckig und monoton: IMMO zeigt die neuesten Fliesentrends.

Bananenstauden auf der einen Seite, abgetretene Bühnenbretter und schäbige Ziegelmauern auf der anderen. Dazwischen Platten mit endlos erscheinenden geometrischen Formen, Sichtbeton, Marmor, Holz und Stoffen. Was nach einem Besuch im Baumarkt klingt, ist eigentlich ein Rundgang durch den Schauraum von „l’argilla Fliese“ im ersten Wiener Bezirk. „Erlaubt ist, was gefällt“, weiß Geschäftsführer Manuel Scharf. Starre Regeln, die Fliesen in Badezimmer und Toiletten einsperren, gibt es nicht mehr. Stattdessen werden Farben, Formen und Muster wild miteinander gemischt. „Früher hat es geheißen: kleine Räume, kleine Fliesen – große Räume, große Fliesen. Das wurde in den vergangenen Jahren aufgebrochen“, stimmt Ulrike Brandner-Lauter von Fliesen Lauter zu.

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Heute gehe es vielmehr um Struktur und Haptik. Daher sind in ihrem Schauraum im 16. Wiener Bezirk hunderte kleine und große Fliesenproben mit verschiedenen Oberflächen zu sehen und zu spüren. „Man muss das Material angreifen, um die passende Fliese zu finden“, erklärt Brandner-Lauter.

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Die Hingabe zu den Oberflächen habe sich in den vergangenen Jahren sehr verändert und das spiegle sich in den aktuellen Trends wieder. Diese werden jährlich im Herbst während der „Cersaie“, der größten Fliesenmesse der Welt, präsentiert. Vor allem die Formate überraschten die Fliesenexpertin. „Das Sechseck ist hoch im Kurs, aber auch runde Fliesen und die Größe von 1,6 x 3 Meter erlauben fugenlosen Gestaltungsspielraum“, erklärt Brandner-Lauter.

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Das Feinsteinzeug macht’s möglich – besonders, was die Größe der Platten betrifft. „Im Gegensatz zu gebranntem Ton sprechen wir bei Feinsteinzeug von gesintertem Material, das bei höheren Temperaturen erzeugt wird. Das Produkt ist dichter als Glas und härter als Edelstahl“, weiß Manuel Scharf von l’argilla, der technische Chemie studiert hat. Durch die hohe Qualität des Materials und den Fortschritt der Klebeindustrie ergeben sich ganz neue Möglichkeiten. Eine davon ist, Wände mit Fliesen statt Bildern zu schmücken – und das auf einer durchgehenden und somit fugenfreien Fläche von drei Quadratmetern. „Ein Kunde hat einen abgetretenen Bühnenboden in Holzoptik an die Wand geklebt“, erzählt Scharf.

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Eine ähnliche Idee setzten die Vorarlberger Fliesenbrenner Sebastian Rauch und Thomas Rösler während der Vienna Design Week Anfang Oktober um. In Zusammenarbeit mit zehn österreichischen Künstlern verewigten sie ihre Werke auf insgesamt zwölf Fliesen mittels japanischen Raku-Brand. „Daraus sind gerahmte Kunstwerke entstanden, die man an die Wand hängen kann“, erzählt Sebastian Rauch erfreut. Aber nicht nur an den Wänden, auch am Boden werden Akzente aus Feinsteinzeug-, gebrannten Ton- und Zementfliesen gesetzt. „Im Vorraum sind bunte Fliesenteppiche häufig ein Hingucker“, erklärt Scharf.

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Was die Optik betrifft, so sind die meisten Fliesen als solche nicht zu erkennen. Stattdessen, geben sie sich als Stein, Holz, Beton oder sogar textile Stoffe aus. Letzterer sei laut Brandner-Lauter besonders gefragt. „Web-Oberflächen sind sehr im Kommen. Ein anderer Megatrend ist Marmor“, erzählt Brandner-Lautner von ihren Eindrücken auf der „Cersaie“-Messe. Besonders weißer Calacatta-Marmor werde häufig im Großformat (1,6x3 m) hergestellt. „So können wunderbar riesengroße Steinflächen fugenlos abgebildet werden“, erklärt sie. Holzoptik wird laut Brandner-Lauter aller-dings wieder weniger. „Es gibt diese Art der Fliesen noch und sie sind technisch sehr ausgefeilt – ich habe aber das Gefühl, dass die Nachfrage sinkt“, so die Expertin. Das gilt zumindest für den Wohnbereich. Denn: „Helle Holzoptiken sind als witterungsbeständiger Terrassenbelag immer noch sehr beliebt“, wirft Scharf ein.

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Ebenfalls weniger gefragt, sind Fliesen in Betonoptik – wobei sich die beiden Experten in diesem Punkt nicht einig sind. Während Brandner-Lauter in den grauen Fliesen nach wie vor ein großes Thema sieht, widerspricht Scharf: „Wir bewegen uns vom starken Grautrend der letzten Jahre weg und steuern auf eine Zeit der hellen, warmen Farben zu.“ Sprich: Marmoroptiken, weißer Sichtbeton und cremefarbene Steine. Ganz gewiss im Vormarsch ist zudem Terrazzo. Der glänzende Bodenbelag, der aus aneinandergelegten Steinen besteht, war schon in der Antike beliebt und ist es – in Fliese gegossen – auch heute noch.

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Apropos glänzend: Während matte Oberflächen in den vergangenen Jahren die Fliesenwelt regierten, darf es ab sofort wieder glänzen. „Dadurch wird mehr mit Licht gearbeitet und Farben kommen besser zur Geltung“, weiß Scharf. Das Licht-Schatten-Prinzip kommt auch bei den derzeit beliebten 3D-Fliesen zur Geltung.

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Was die Farben betrifft, sind   intensive Töne in Türkis, Blau, Grün und Rot in Mode. „Der Trend geht weg von künstlich kalten Tönen und hin zu Naturfarben“, so Brandner-Lauter. Hier komme auch die Vintage-Idee stark durch. Fliesen müssen keine perfekten Kanten haben, sie dürfen ungerade geschnitten oder abgerundet sein. Umso ausgefallener die Fliese, desto höher auch der Preis. „Zwischen 59 und 69 Euro kostet der Quadratmeter im Durchschnitt“, sagt Scharf.

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Die bewusste Entscheidung und der Einsatz von Fliesen in allen Wohnräumen hat laut Scharf vor rund zehn Jahren begonnen: „Ich glaube, dass das sehr stark mit den steigenden Nutzerzahlen  von Social Media Plattformen zusammenhängt.“ Viele Kunden kommen mit klaren Vorstellungen und Bildern, die sie bereits im Internet gesehen haben. Dadurch   werden sie auch mutiger und entscheiden sich für extravagante Kombinationen. Scharf: „Ob Sichtbeton mit Hochglanzmarmor oder die Jugendstilfliese in ein warmes Natursteinambiente eingebettet, ist alles möglich.“

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