Mmhhhh lecker: Wie sich Sprache in Österreich ändert
Der Roman „Falsches Spiel mit Marek Miert“ ist der letzte, den der niederösterreichische Schriftsteller Manfred Wieninger in einem deutschen Verlag veröffentlicht hat. Systematisch, ohne Widerrede zu dulden, machte das Lektorat aus jedem Kasten einen Schrank und aus jedem Gehsteig einen Bürgersteig.
Christiane Pabst erzählt von der Frustration des Autors, weil sie den Ausverkauf des Österreichischen an deutsche Verlage mit gemischten Gefühlen beobachtet. Die Sprachforscherin, die für die Herausgabe des Österreichischen Wörterbuchs verantwortlich ist, hat auch wenig Freude damit, wenn sie im Schulbuch ihres Sohnes auf eine Rechenaufgabe stößt, die den Verkauf von Brötchen zum Thema macht.
Stuhl statt Sessel, lecker statt köstlich, Junge statt Bub – immer mehr bundesdeutsche Ausdrücke sind im Alltag zu hören. Die Entwicklung ist aber nicht neu: Tschüss ruft man schon seit Jahrzehnten.
Minderwertigkeitskomplex
Bedenklich ist für Christiane Pabst das fehlende Sprachbewusstsein ihrer Landsleute: „Viele passen sich an das Deutschdeutsche bewusst an, in der Meinung, es wäre das ,bessere Deutsch‘. Und wenn sie österreichisches Deutsch sprechen, glauben sie selbst, es wäre Dialekt, was wirklich absurd ist. Vielleicht hängt uns da noch ein historischer Minderwertigkeitskomplex nach, der von der NS-Indoktrination herrührt und der sich bis heute im sprachlichen Bewusstsein niederschlägt“.
Weihnachten und Ostern brachten mein Bruder (Jürgen) und ich öfters bei der Oma in Hannover zu, wo die Menschen bekanntlich stolz darauf sind, das reinste Hochdeutsch der Welt zu sprechen. Na mehr hamma dort’n ned braucht! Den Kindern im Haus unserer bundesdeutschen Großmutter dienten wir als willkommene Abwechslung, um nicht zu sagen als zwei Sprachclowns – aus Bayern.
Wuaschd, was wir ihnen zu sagen hatten, immerfort lachten sie uns aus. Und wenn wir sie dann genervt Piefke nannten, lachten sie noch mehr. Mein Bruder und ich trösteten uns damit, dass Leuten, die zu Knödel Klöpse sagen, und zu Sauce Tunke, eh nicht zu helfen ist. Aber erklär’ denen mal, was eh bedeutet!
Unterm Jahr war es auch nicht immer dufte, also ich mein’ leiwand. Denn in einem Wiener Flächenbezirk besaßen Uwe und Jürgen alleine schon aufgrund ihrer Vornamen Migrationshintergrund. Da half es den Beiden wenig, dass ihr Vater ein waschechter Wiener war, also mit familiären Wurzeln in Kakanien.
Was mir damals auffiel: Dass ich die Bezeichnung Piefke gar nicht lustig fand, im Gegensatz zu den Kindern in Hannover. Und dass Kinder ein feines Gehör für sprachliche Unterschiede haben. Mein Bruder und ich trösteten uns damit, dass wir von der Oma Kinderschokolade und Ritter Sport bekamen, während die Wiener Mundln noch nicht einmal wussten, wie man das schreibt, geschweige denn, wie das schmeckt.
Viel später wurde mir bewusst, dass das automatische Erlernen von zwei deutschen Standardsprachen und mindestens eines Dialekts ein Geschenk ist, das mir schon in die Wiege gelegt wurde. Lustig ist es bis heute, viele Gemeinsamkeiten und auch einige Unterschiede der beiden Sprachen zu entdecken. Spaß mit langgezogenem a und scharfem ß haben können meines Erachtens nur wir Wiener. In Hannover haben sie knackig Spass, wobei sie das a beinahe verschlucken und ihr gezischtes Doppel-s mehr wie eine gefährliche Drohung klingt. Nebenbei gesagt haben die Spassmacher auch eine diametral andere Skalierung, was lustig ist. Über unseren gfäudn Schmäh können sie jedenfalls nicht wirklich lachen.
Uwe Mauch
Auch der Soziolinguist Manfred Glauninger sieht historische Wurzeln – allerdings argumentiert er anders. Nach dem Zweiten Weltkrieg musste sich Österreich von Deutschland abgrenzen. Das österreichische Standarddeutsch war ein Teil des österreichischen „Nation Building“. Das sei erfolgreich abgeschlossen, sagt Glauninger. Österreich ist eine gefestigte Demokratie, eine Nation. Vor allem die jungen Menschen – in der EU groß geworden – würden die Notwendigkeit nicht mehr erkennen, ihre österreichische Identität durch sprachliche Abgrenzung auszudrücken.
Das war in den 1990er-Jahren noch anders. „Erdäpfelsalat bleibt Erdäpfelsalat“ versprach der Wiener Bürgermeister auf Plakaten vor der Volksabstimmung zum EU-Beitritt Österreichs im Jahr 1994.
Influencer
Etwa zu dieser Zeit wurde Lisa Krammer geboren, die heute als Sprachwissenschafterin zu Dialekten forscht und einen Mundart-Podcast betreibt (siehe unten). Das Wort Tschüss habe sie als Kind nie bewusst mit Bundesdeutsch assoziiert, sagt die Burgenländerin. „Das zeigt eine generationenspezifische Verwendung: Jüngere Personen verwenden bundesdeutsche Formen selbstverständlicher, weil sie damit vermehrt aufwachsen, als das vor 20 Jahren der Fall gewesen ist.“ Eine wesentliche Rolle spielen deutsche Fernsehsender, zuletzt auch die verstärkte Internetpräsenz deutscher Influencer, Gamer und YouTube-Stars.
Die faszinierende Welt der Dialekte eröffnete sich für Lisa Krammer bereits in früher Kindheit, als ihr die Oma auf „Hianzisch“, einer burgenländischen Mundart, Märchen erzählte. Seit zwei Jahren huldigt die Linguistin mit ihrem Podcast „mundART. Die Stimme[n] der Sprache“ der vielen Varianten des österreichischen Deutsch aus wissenschaftlicher Perspektive.
Das geht in einer Hörsendung besonders gut, sagt die 27-Jährige: „Der Klang der Stimme, der Sprechstil, die Bandbreite vom Dialektalen bis zum Standarddeutschen und auch die vielen Zwischentöne oder Emotionen werden anders als beim Lesen wahrgenommen.“ Ihre Gesprächspartner geben Einblicke in verschiedene Sprach- und Lebenswelten und reichen von der Standesbeamtin bis zum Wiener Würstelstandler. Auch prominente „Dialektler“ wie Herbert Prohaska oder Jazz Gitti waren bereits zu Gast.
„Sobald eine Sprache verwendet wird, entsteht automatisch Variation“, sagt Krammer. Als besonders spannend empfinde sie die „innere Mehrsprachigkeit“, also in einer Sprache mehr- bzw. vielsprachig zu sein. „Das ist für mich eine zusätzliche Ressource und Bereicherung.“ Im Rahmen ihrer Dissertation befasst sie sich damit, in welcher Sprachform an Wiener Unis kommuniziert wird. Menschen aus den westlichen Bundesländern bleiben ihrem Idiom eher treu, während Studierende, die in Wien aufgewachsen sind, fast keinen Dialekt mehr sprechen. Einen Kontrapunkt beobachtet sie in der Kunst: „Zuletzt traten vermehrt Künstler in Erscheinung, die bewusst mit österreichischen Dialekten spielen und diese als Stilmittel einsetzen.“
Zu ihnen zählen etwa Wanda, Nino aus Wien oder Pizzera & Jaus. Manche Dialekt-Sprüche haben sich in der Generation der Millennials als Kult-Sager etabliert und finden sich in Form von Stoffsackerlaufdrücken und Social-Media-Memes wieder. So wie zum Beispiel der Mundl-Ausspruch: „Mei Bier is net deppat“.
Die – meist hochemotionale – Sprachdiskussion entzündet sich oft an Kleinigkeiten: Heißt es Adventskalender (bundesdeutsche Variante) oder Adventkalender (österreichische Bezeichnung)? Durch wirtschaftliche Verflechtung, Werbung und Online-Vernetzung wird der Adventskalender auch in Österreich immer geläufiger. Genauso wie Kissen oder Treppe. Diese Entwicklung sei nicht aufzuhalten, erklärt Glauninger. Sein Rat: positiv zu bewerten, dass man in Österreich beide Formen kennt, den Advent- und den Adventskalender. Er spricht sich für die Vielfalt aus.
Denn selbst wenn man Veränderung nicht akzeptieren will: Wie solle man realistisch bundesdeutsche Ausdrücke „verbieten“, fragt sich Glauninger. Das sei weder möglich noch wünschenswert.
Standard
Es gibt ein österreichisches Standarddeutsch, nicht zu verwechseln mit dem Dialekt. Es verfügt über einen spezifischen Wortschatz (Austriazismen), spezifische Redensarten und Besonderheiten in Grammatik, Aussprache und Rechtschreibung
Wörterbuch
Festgehalten ist das im Österreichischen Wörterbuch. Es ist vom österreichischen Unterrichtsministerium mitinitiiert und für Schulen und Ämter des Landes verbindlich. Es dokumentiert das Vokabular der deutschen Sprache in Österreich seit 1951
Nicht durchsetzen wird sich an Weihnachten, meint Christiane Pabst: „Vorwörter wie an und zu sind grammatikalische Wortschatzelemente. Und die Grammatik ist nun einmal viel stabiler als der Wortschatz.“
Oida
Menschen empfinden es jedenfalls als Verlust, wenn sich Sprache ändert. Auch weil nostalgische Gefühle mitschwingen, welche Ausdrücke in der Kindheit verwendet wurden. Manfred Glauninger ist überzeugt, dass der Dialekt an Bedeutung gewinnen wird. Er wird für bestimmte Zwecke eingesetzt, Ironie etwa, Werbung, Songs. Oder wenn man einen Schmäh machen, lässig sein will: Oida heißt es dann, nicht Und tschüss.
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