Mmhhhh lecker: Wie sich Sprache in Österreich ändert

Mmhhhh lecker: Wie sich Sprache in Österreich ändert
Der Adventskalender schleicht sich ein. Und das „s“ in der Mitte käme einem Kind nicht komisch vor. Seinen Eltern allerdings schon, und wie. Warum und wie sich Sprache in Österreich verändert.

Der Roman „Falsches Spiel mit Marek Miert“ ist der letzte, den der niederösterreichische Schriftsteller Manfred Wieninger in einem deutschen Verlag veröffentlicht hat. Systematisch, ohne Widerrede zu dulden, machte das Lektorat aus jedem Kasten einen Schrank und aus jedem Gehsteig einen Bürgersteig.

Christiane Pabst erzählt von der Frustration des Autors, weil sie den Ausverkauf des Österreichischen an deutsche Verlage mit gemischten Gefühlen beobachtet. Die Sprachforscherin, die für die Herausgabe des Österreichischen Wörterbuchs verantwortlich ist, hat auch wenig Freude damit, wenn sie im Schulbuch ihres Sohnes auf eine Rechenaufgabe stößt, die den Verkauf von Brötchen zum Thema macht.

Stuhl statt Sessel, lecker statt köstlich, Junge statt Bub – immer mehr bundesdeutsche Ausdrücke sind im Alltag zu hören. Die Entwicklung ist aber nicht neu: Tschüss ruft man schon seit Jahrzehnten.

Minderwertigkeitskomplex

Bedenklich ist für Christiane Pabst das fehlende Sprachbewusstsein ihrer Landsleute: „Viele passen sich an das Deutschdeutsche bewusst an, in der Meinung, es wäre das ,bessere Deutsch‘. Und wenn sie österreichisches Deutsch sprechen, glauben sie selbst, es wäre Dialekt, was wirklich absurd ist. Vielleicht hängt uns da noch ein historischer Minderwertigkeitskomplex nach, der von der NS-Indoktrination herrührt und der sich bis heute im sprachlichen Bewusstsein niederschlägt“.

Auch der Soziolinguist Manfred Glauninger sieht historische Wurzeln – allerdings argumentiert er anders. Nach dem Zweiten Weltkrieg musste sich Österreich von Deutschland abgrenzen. Das österreichische Standarddeutsch war ein Teil des österreichischen „Nation Building“. Das sei erfolgreich abgeschlossen, sagt Glauninger. Österreich ist eine gefestigte Demokratie, eine Nation. Vor allem die jungen Menschen – in der EU groß geworden – würden die Notwendigkeit nicht mehr erkennen, ihre österreichische Identität durch sprachliche Abgrenzung auszudrücken.

Das war in den 1990er-Jahren noch anders. „Erdäpfelsalat bleibt Erdäpfelsalat“ versprach der Wiener Bürgermeister auf Plakaten vor der Volksabstimmung zum EU-Beitritt Österreichs im Jahr 1994.

Influencer

Etwa zu dieser Zeit wurde Lisa Krammer geboren, die heute als Sprachwissenschafterin zu Dialekten forscht und einen Mundart-Podcast betreibt (siehe unten). Das Wort Tschüss habe sie als Kind nie bewusst mit Bundesdeutsch assoziiert, sagt die Burgenländerin. „Das zeigt eine generationenspezifische Verwendung: Jüngere Personen verwenden bundesdeutsche Formen selbstverständlicher, weil sie damit vermehrt aufwachsen, als das vor 20 Jahren der Fall gewesen ist.“ Eine wesentliche Rolle spielen deutsche Fernsehsender, zuletzt auch die verstärkte Internetpräsenz deutscher Influencer, Gamer und YouTube-Stars.

Mmhhhh lecker: Wie sich Sprache in Österreich ändert

Lisa Krammer, 27, ist Stipendiatin an der Akademie der Wissenschaften

Die – meist hochemotionale – Sprachdiskussion entzündet sich oft an Kleinigkeiten: Heißt es Adventskalender (bundesdeutsche Variante) oder Adventkalender (österreichische Bezeichnung)? Durch wirtschaftliche Verflechtung, Werbung und Online-Vernetzung wird der Adventskalender auch in Österreich immer geläufiger. Genauso wie Kissen oder Treppe. Diese Entwicklung sei nicht aufzuhalten, erklärt Glauninger. Sein Rat: positiv zu bewerten, dass man in Österreich beide Formen kennt, den Advent- und den Adventskalender. Er spricht sich für die Vielfalt aus.

Denn selbst wenn man Veränderung nicht akzeptieren will: Wie solle man realistisch bundesdeutsche Ausdrücke „verbieten“, fragt sich Glauninger. Das sei weder möglich noch wünschenswert.

Nicht durchsetzen wird sich an Weihnachten, meint Christiane Pabst: „Vorwörter wie an und zu sind grammatikalische Wortschatzelemente. Und die Grammatik ist nun einmal viel stabiler als der Wortschatz.“

Oida

Menschen empfinden es jedenfalls als Verlust, wenn sich Sprache ändert. Auch weil nostalgische Gefühle mitschwingen, welche Ausdrücke in der Kindheit verwendet wurden. Manfred Glauninger ist überzeugt, dass der Dialekt an Bedeutung gewinnen wird. Er wird für bestimmte Zwecke eingesetzt, Ironie etwa, Werbung, Songs. Oder wenn man einen Schmäh machen, lässig sein will: Oida heißt es dann, nicht Und tschüss.

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