Meeresverschmutzung: "Es gibt fast nichts, das ich nicht gefunden habe"
Bis zu 13 Millionen Tonnen Plastik gelangen laut der Umweltschutzorganisation WWF jedes Jahr in die Meere. Allein das Mittelmeer ist bereits zu 87 Prozent verschmutzt. Die damit verbundene Zerstörung der Ökosysteme geht uns alle an, sagt der Meeresbiologe Michael Stachowitsch. Welche Kuriositäten der Forscher an Stränden findet, wie man im Urlaub aber auch im Alltag mithelfen kann, die Meere sauber zu halten und warum es ohne Verbote nicht geht, erklärt er im Interview mit dem KURIER.
KURIER: Wie steht es um die Meere? Wie “schlimm” ist die Verschmutzung?
Michael Stachowitsch: Die Meeresverschmutzung ist ein Riesenproblem. Eine der sichtbarsten Formen ist Plastikmüll, aber es gibt sehr viele Bedrohungen. Dazu zählt die Verschmutzung durch Rohöl, Schwermetalle, radioaktive Materialien, die Überdüngung, der Schiffsverkehr – das sind nur einige von vielen, die man erwähnen kann. Eigentlich ist fast jede Form von Umweltverschmutzung letztlich Meeresverschmutzung, da vieles über die Flüsse, oft über hunderte bis tausende Kilometer, ins Meer gelangt, etwa, weil viele Fabriken und Kraftanlagen entlang von Flüssen gebaut sind und sehr viel abgelassen wird. Wir entsorgen sehr viel direkt im Meer. Problematisch ist die Gesamtwirkung – viele Substanzen verstärken sich gegenseitig, wie man aus Aquarienversuchen weiß.
Gibt es Meeresgebiete, die besonders betroffen sind?
In der Nähe von Großstädten und insbesondere in Buchten oder Binnenmeeren, wo der Wasseraustausch geringer ist, ist die Verschmutzung ein großes Problem. Allerdings ist es auch so, dass zum Beispiel die stark touristisch frequentierten Strände zum Teil gar nicht mehr hinsichtlich der Plastik-Verschmutzung erforscht werden, weil sie jede Nacht gereinigt werden. Als Standard für die Meeresverschmutzung mit Plastik werden entlegenste Inseln mitten im Pazifik untersucht. Und zum Teil sind die Plastikmengen dort so groß, dass man Mühe hat, mit einem Beiboot anzulegen. Da sind nicht nur Plastiksackerl zu finden, sondern etwa tonnenschwere Fischernetze und Bojen, die verlorengegangen sind oder absichtlich ins Meer entsorgt wurden, weil sie kaputt sind.
Was haben Sie noch auf Stränden gefunden?
Der Gegenstand Nummer eins, von dem man mehr als von allen anderen findet, sind Zigarettenstummel. Jeder einzelne ist eine kleine Giftbombe und zusätzlich bestehen die Filter nicht, wie viele glauben, aus Papier, sondern aus Plastik. Daneben findet man Metall, Glas, Kleidung, Holz, Papier. Es gibt fast nichts, das ich nicht gefunden habe. Da gibt es auch Brauchbares, zum Beispiel angespülte Sportgeräte, von der verlorenen Tauchermaske übers Surfbrett bis hin zu Jetskis. Intakte Schuhe, Badeschlapfen, Hüte. Manche Leute würden sich freuen, wenn sie die vielen angeschwemmten Drogenpakete finden, die Drogenschmuggler über Bord geworfen haben. Man kann auch wertvolle Sachen finden: Schmuck, Uhren, Geld. Das erklärt all die Leute, die mit Metalldetektoren am Strand herummarschieren.
Rund 70 Prozent der Erdoberfläche sind mit Wasser bedeckt.
4,8 bis 12,7 Millionen Tonnen Plastik gelangen laut WWF jedes Jahr in die Meere.
87 Prozent des Mittelmeers sind verschmutzt.
Mit 1,9 Millionen Partikeln pro Quadratmeter ist die Konzentration von Mikroplastik im Mittelmeer so hoch wie nie zu vor.
Was kann der Einzelne direkt am Urlaubsort tun, um das Meer zu schützen?
Von diesen Verschmutzungstypen, die ich genannt habe, gibt es eigentlich nur einen, wo jeder sofort etwas tun kann, und das ist Plastikmüll beziehungsweise Müll im Allgemeinen. Wir produzieren diesen Müll – er kommt von uns. Wir vermüllen ja nicht nur das Meer, auch die höchsten Berge im Himalaya und sogar den Weltraum haben wir mittlerweile vermüllt. In Bezug auf den Strand ist ein erster Schritt jeden Tag ein Stück mehr mit nachhause zu nehmen, als man gebracht hat. Und bitte keine Souvenirs aus Meeresorganismen oder Meeresorganismen überhaupt kaufen. Keine bunten Schnecken, keine Haifischzähne oder Kiefer, keine Kitschfiguren aus zusammengeklebten Muscheln.
Buchtipp
"Mülleimer Strand" von Michael Stachowitsch. Statt Muscheln finden Strandbesucher eher Glas, Plastik, Holz und andere Quellen der Meeresverschmutzung. Meeresbiologe Michael Stachowitsch zeigt in diesem Leitfaden mit fast 700 Fotos die Bandbreite der Müllgegenstände im Meer - vorgestellt mit einer Prise Humor. Aber auch Wissenswertem zu ihrer Herkunft, ihren Zersetzungsstadien, ihre Auswirkungen auf Mensch und Umwelt sowie Ideen, wie die Verschmutzung reduziert werden kann.
Erschienen im Springer Verlag, 420 Seiten, 33,92 Euro.
Was kann man allgemein im Alltag tun? Bringt das überhaupt etwas?
Man sollte versuchen sich an die sechs „Rs“ zu halten, um Müll zu vermeiden: Rethink – brauche ich es wirklich? Refuse – der Verzicht auf etwas, das man nicht wirklich braucht, Reduce, das heißt, von allem weniger, Re-use – wiederverwenden, Repair, also Reparieren und Recyle, also aus alt mach neu. Und dann gibt es auch noch das Upcycling, also aus etwas Altem etwas ganz Anderes zu machen, etwa aus alten Holzpaletten Möbel zu bauen. Man kann auch Mitglied bei einer Umweltorganisation werden oder Volontärarbeit leisten, als Lehrer aktiv werden, etwa im Bereich Biologie. Eltern sollten ihren Kindern bereits früh mitgeben, wie wichtig der Schutz unserer Umwelt ist. Und man sollte darauf achten, nur zertifizierte Meeresfrüchte zu kaufen.
Was halten Sie von Müllsammelschiffen?
Diese "Schiffe" machen auf das Problem der Verschmutzung aufmerksam. In der Praxis haben sie sich aber als problematisch erwiesen. Sie zu versorgen verbraucht unglaublich viel Schiffsdiesel – der schlimmste Treibstoff der Welt –, da sie weit raus- und zurückfahren müssen. Die Anlagen sammeln zudem alles, das an der Oberfläche ist, ein. Das kann Plastik sein. Das kann aber auch ein Meeresschildkrötenbaby sein, es können Algen oder Quallen sein. Alle Meerestiere, die an die Oberfläche kommen oder dort leben, werden mitgesammelt. Gleichzeitig schwimmt der meiste Müll nicht an der Oberfläche, sondern ist bereits am Meeresboden und dort gibt es überhaupt keine Möglichkeit, ihn wieder herauszubringen. Die Dimensionen der Weltmeere sind vielen nicht bewusst. Wenn man über den Pazifik zehn Stunden fliegen muss, wird klar, dass man wohl nicht mit irgendeiner Maschine dort eine wesentliche Verbesserung herbeiführen wird können. Das heißt, es geht nicht darum, den Müll, der schon im Wasser drinnen ist, herauszufischen, sondern dafür zu sorgen, dass er erst gar nicht hineingelangt.
Was sind die Folgen der Verschmutzung?
Ganze Ökosysteme werden beschädigt. Den meisten Menschen ist es vielleicht egal, ob irgendein Fisch weniger wird, Meeressäuger krank werden oder ein ferner Strand verschmutzt wird.. Aber Ökosysteme haben Funktionen. Korallenriffe wirken zum Beispiel als Wellenbrecher oder Mangrovenwälder als Schutz für die Küstenbereiche, Fische brauchen viele Menschen als Nahrung. Wenn das alles nicht mehr richtig funktioniert, erst dann horchen die Leute auf.
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