Wie es kam, dass Österreich vom russischen Erdgas abhängig wurde

Wie es kam, dass Österreich vom russischen Erdgas abhängig wurde
Wie hat Russland uns von seinem Gas so abhängig machen können? Das hört man dieser Tage wieder oft. In Wahrheit schlitterte Österreich 1968 in eine selbst verschuldete Gaskrise und bemühte sich aktiv um Sowjet-Gas.

Bereits in den späten 1950ern war für das Wirtschaftsforschungsinstitut das Ende absehbar: „Die österreichischen Erdgasreserven werden in 20 bis 30 Jahren erschöpft sein“, mahnte man damals. Zehn Jahre später gestand der EVN-Generaldirektor Rudolf Gruber dann: „Die Erdgasversorgung befindet sich in der Krise.“ Um der zu entkommen, schloss Österreich wenig später als allererstes westeuropäisches Land einen Gasliefervertrag mit der UdSSR ab.

Es werde ja dauernd die Frage gestellt: „Wie hat Russland uns von seinem Erdgas so abhängig machen können?“, sagt Robert Groß. Der Umwelthistoriker von der Uni für Bodenkultur Wien (BOKU) hat sich intensiv mit der Geschichte der Erdgasversorgung in Österreich auseinandergesetzt und im Archiv der EVN geforscht, wo die ersten Erdgasverträge mit Russland liegen. Seine Erkenntnisse sind jetzt in ein Buch eingeflossen („Regionale Wirtschafts- und Sozialgeschichte im Zeitalter globaler Krisen“, erscheint am 4. Dez.).

Groß kommt zum Schluss, dass die Behauptung, wir wären abhängig gemacht worden „nicht der historischen Realität entspricht".

"Die Sowjets waren damals von Westeuropa mindestens ebenso so abhängig wie umgekehrt. Der Westen wollte das Gas, die Sowjets brauchten die Technologie, um Erdgasleitungen überhaupt erst bauen zu können.“ Und so lief zwischen 1968 und 1980 vieles über Kompensationsgeschäfte. Billiges Erdgas gegen Warenlieferungen. Groß weiter: „Österreich – später auch Deutschland, Italien und Frankreich – haben einen beträchtlichen Anteil daran, dass russisches Erdgas überhaupt in den Westen geliefert werden konnte.“

Selbst schuld

Auch, dass das Land in eine Energiekrise schlitterte, sei selbst verschuldet gewesen. Überspitzt könnte man sagen, dass die derzeitige Misere eine Spätfolge der Tatsache ist, dass sich „rotes“ Wien und „schwarzes“ Niederösterreich nicht grün waren. Und das kam so: In den 1950ern wollten die Wiener Stadtwerke expandieren und die Umlandgemeinden der Metropole mitversorgen. Um die „feindliche Übernahme“ durch die Wiener zu verhindern, gründete die NÖ-Landesregierung 1954 die NIOGAS.

„Bald ging die NIOGAS aktiv auf die Industriebetriebe zu und versuchte, sie dazu zu bewegen, von Erdöl auf Erdgas umzusteigen“, erzählt Groß. Die Argumente: Der Preis war günstiger, das Gas umweltfreundlicher. Es kam, wie es kommen musste:

Viele stiegen um, der Verbrauch wuchs rasant, das heimische Erdgas drohte auszugehen.

von Robert Groß

Umwelthistoriker

Im November 1967 schlug die Erdgaskrise etwa in der Zuckerfabrik Tulln voll zu. Auch dort war man auf Anraten der NIOGAS auf Erdgas umgestiegen. Die beträchtlichen Investitionen nahm man angesichts der langfristig günstigen Energiekosten in Kauf. Doch jetzt wurden die Lieferungen erst um 70 Prozent gekürzt und dann ganz eingestellt. Die Arbeiter fürchteten um ihre Stellen, Streiks standen im Raum.

Selbst Landeshauptmann Andreas Maurer konnte nicht helfen, meinte nur, man könnte nur hoffen, dass es Österreich bald gelänge, Erdgas aus dem Ausland zu importieren. „Jetzt versuchte man ganz aktiv, den Erdgasimport aus der Sowjetunion einzufädeln“, sagt der BOKU-Forscher. Was 1968 ja auch gelang.

Wunschdenken

Der Umwelthistoriker abschließend: „Ja, wir müssen raus aus dem fossilen Energieträger.“ Schnelle Lösungen hält Groß aber für „Wunschdenken – die ganze Infrastruktur ist jetzt im Boden. Solange es kein verbindliches Regelwerk gibt, das die Verbrennung von fossilen Energieträgern verbietet, wird dieses System einfach weiter wachsen.“

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