KURIER: Während der Pandemie hat Sie, wie auch viele Mediziner, sehr beschäftigt, wie man mit unterschiedlichen Expertenmeinungen umgehen soll ...
Angetter-Pfeiffer: Ja, es gab so viele verschiedene Meldungen zu Virusverbreitung, Impfstrategien, Quarantäne und Lockdowns. Da habe ich mich gefragt, wie man im Laufe der Geschichte mit Entdeckungen, Erfindungen und bisher Unbekanntem in der Medizin umgegangen ist.
Und? Wurde schon immer so kontrovers diskutiert?
Ja, die Conclusio ist, dass viele Ärzte, die Entdeckungen gemacht haben, zunächst damit Schiffbruch erlitten. Missgünstige Kollegen haben die Neuerungen als Unsinn abgetan, Patienten sich geweigert, sie anzunehmen. Das typische Abtasten und Abklopfen, das heute gang und gäbe ist, wurde als neumodisches Zeug abgelehnt. Genauso das Blutdruck- und Fiebermessen, das heute wesentlich ist, um zu entscheiden, ob ein Mensch krank ist.
Die Geschichte, wie Leopold Auenbrugger im 18. Jahrhundert auf die Idee mit dem Abklopfen kam, ist aber auch kurios, oder?
Sein Vater war Gasthausbesitzer, der mit Klopfen überprüft hat, wie voll die Weinfässer waren. Auenbrugger waren Schallunterschieden also vertraut und er hat dieses Wissen auf den menschlichen Körper übertragen. Tatsächlich erkannte er Organveränderungen durch Schallunterschiede und konnte so erste Diagnosen stellen.
Und wie reagierte die Kollegenschaft darauf?
Selbst der modern eingestellte Gerard van Swieten, der als großer Reformator der Medizin bekannt war, hat das als neurotisches Zeug abgelehnt. Auenbrugger ist in der Versenkung verschwunden. Viele Jahre später hat ein französischer Arzt Auenbruggers Erkenntnisse aufleben lassen. Erst jetzt, da die Botschaft, dass seine Erkenntnisse richtig sind, aus dem Ausland kam, hat Auenbrugger späte Anerkennung bekommen.
Der Orthopäde Adolf Lorenz wiederum musste sich als „Gipsdozent“ verspotten lassen. Warum?
Lorenz hat sich mit der Hüftgelenksverrenkung bei Neugeborenen befasst und die Kinder in ein Gipskorsett gelegt, um die Fehlstellung der Beine zu korrigieren. Obwohl die Kinder gut auf die Therapie ansprachen, wurde seine Karriere hintertrieben und es hat lange gedauert, bis es in die Köpfe der Kollegen ging, dass er recht hatte.
Semmelweis war nicht der Einzige, den seine Forschung das Leben kostete. Wer zahlte ebenfalls einen hohen Preis?
Guido Holzknecht etwa hat mit aller Kraft versucht, die Röntgenologie in Wien zu etablieren. Deshalb hat er viel mit den gefährlichen Strahlen geforscht – am eigenen Körper. Die Folge: mehr als 60 Krebsoperationen, am Schluss hat er mit verstümmelten Fingern gearbeitet. Trotzdem meinte er: „Solange man mir den Kopf nicht abschneidet, werde ich weiterarbeiten.“ Ludwig Haberland, dem Vorreiter der Antibaby-Pille, wiederum warf man vor, dass er mit seinen Forschungen gegen die Moral der Kirche verstoße. Er hat sich umgebracht.
Selbst Nobelpreisträger wurden gemobbt und vertrieben. Wer genau?
Die Entdeckung der Blutgruppen Anfang des 20. Jahrhunderts in Wien durch Karl Landsteiner war genial, trotzdem reichte es nicht für eine Karriere in der Heimat. Landsteiner sah nach dem Zusammenbruch der Monarchie hierzulande keine Karrierechancen und ging ins Ausland. In Österreich geriet er immer mehr in Vergessenheit.
Sie haben einen provokanten Titel für Ihr Buch gewählt: „Als die Dummheit die Forschung erschlug“. Ist das nicht etwas übertrieben?
Der Titel stammt aus einem Buch des Mediziners Friedrich Schürer von Waldheim, der, als man Semmelweis aus Wien hinausgeworfen hatte, meinte: „Jetzt hat die Dummheit die freie Forschung erschlagen“. Ich habe dieses Zitat gewählt, weil Dummheit, Unverständnis und Neid der Forschung sehr viel in den Weg legen können. Viele Ärzte brauchten enormen Mut, sich über diese Hindernisse hinwegzusetzen und sich nicht unterkriegen zu lassen.
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