Nüchtern betrachtet: Warum Wildtiere Alkohol konsumieren

Ein Affe klettert im Baum, um Früchte zu pflücken.
Ethanol kommt in nahezu jedem Ökosystem vor. Welchen Nutzen bzw. Schaden der Verzehr vergorener Früchte hat, zeigt eine Studie.

Alkohol verführt. Wer Nacktschnecken in die Bierfalle locken will, wird feststellen, dass die Hefe selbst Schleimer aus Nachbars Garten anlockt. Wer Obst liegen lässt, kann beobachten, dass sich nicht nur Minkerln an den vergorenen Früchten schadlos halten. Immer wieder tauchen Anekdoten über besoffene Bienen, berauschte Primaten, torkelnde Elefanten und andere Schnapsdrosseln auf.

Wissenschaftler der Universität Exeter wollten nun wissen, was es mit Alkohol im Reich der wilden Tiere tatsächlich auf sich hat. Sie stellten Fragen nach „der ökologischen Rolle und den evolutionären Auswirkungen von Ethanol in der Natur“ – und fest, dass sich die chemische Verbindung in nahezu jeder Nische findet. Sie gehen daher auch davon aus, dass der Konsum weiter verbreitet ist als bisher gedacht.

Tiere passen Stoffwechsel an Alkoholkonsum an

„Hefe produziert Ethanol, seit Blütenpflanzen vor rund 100 Millionen Jahren die ersten zuckerreichen Früchte hervorbrachten“, schreibt Erstautorin Anna C. Bowland in der Fachzeitschrift Cell. In Koevolution passten sich Tiere dem wachsenden Angebot an; einige rüsteten ihren Stoffwechsel für den Verzehr ethanolhaltiger Nahrung

Denn manches Früchtchen hat es in sich. Während Vogelbeeren im kaltgemäßigten Helsinki einen Ethanolgehalt zwischen 0,05 und 0,41 Prozent aufweisen, liegt der Wert bei überreifen Palmfrüchten im tropischen Klima Panamas bei bis zu 10,3 Prozent.

Erbgut beeinflusst Trinkfestigkeit

Eine kanadische Studie belegte bereits vor Jahren, dass Tierarten, die obst- und nektarreiche Kost bevorzugen, Ethanol tendenziell besser abbauen als reine Blatt- oder Fleischfresser. Trinkfestigkeit – eine Frage des Erbguts. Ein spezielles Enzym hilft etwa frutarischen Flughunden beim Verstoffwechseln von Ethanol. Bei einigen Huftieren dagegen, die hauptsächlich Gräser fressen, ist die entsprechende Gensequenz durch Mutation funktionslos geworden. 

Deutsche Forscher entdeckten 2005 wiederum ein Gen, das den zweiten Rausch harmloser ausfallen lässt als den ersten. Funktioniert das so getaufte „Hangover“-Gen nicht, gibt es keinen Gewöhnungseffekt.

Alkoholkonsum ist Kosten-Nutzen-Rechnung

„Die Giftstoffe müssen entsorgt werden. Es ist wie immer in der Natur eine Gratwanderung zwischen Nutzen und Schaden“, sagt Konrad Fiedler von der Uni Wien. Der Professor am Department für Botanik und Biodiversitätsforschung führt wie Bowland als Bonus an, dass Ethanol – ohnehin mit Zucker aufgenommen – zusätzliche Kalorien liefert. Fünfschwanz-Spitzhörnchen z.B. stehen auf die süße, hochprozentige Energie, die sie aus dem fermentierten Nektar der Bertampalme beziehen.

Andere Spezies profitieren vom medizinischen Effekt von Ethanol. Allen voran die gut erforschten Taufliegen. Sie legen ihre Eier in gärenden Substraten ab, um die Nachkommen vor Parasiten zu schützen; bei Befall nehmen die Larven zwecks Selbstmedikation selbst Ethanol auf.

Ethanol neben Kalorienlieferant auch Wegweiser

„Es gibt eine ganze Reihe von Insekten, die Sinneszellen auf den Organen haben und den Duft von Alkohol nützen, um Früchte zu riechen“, lenkt Fiedler den Fokus auf Ethanol als Wegweiser. In der Streuobstwiese ist der Tisch für Wespen reich gedeckt, im Wald müssen sie die seltenen Ressourcen effizient aufspüren. Schmetterlinge lotst die olfaktorische Zersetzung zu weichen Schalen, die ihr Rüssel durchringen kann.

Vom Sechsfüßer bis zum Säuger – nicht zuletzt kann Ethanol das Sexualverhalten positiv beeinflussen. Die vorliegende Studie erwähnt enthemmte Nager, die ihre Gene weniger wählerisch weitergeben als nüchterne Artgenossen.

Rausch kann für Tiere gefährlich sein

Doch Bowland rechnet auch gegen: „Akuter Alkoholkonsum beeinträchtigt die kognitiven Leistungen, gleichzeitig machen reduzierter Schmerz bzw. weniger Angst risikofreudiger.“ Die Gefahr für Leib und Leben steigt. Gefundenes Fressen für Feinde, Malus gegenüber der Konkurrenz. Selbst der soziale Umgang mit Artgenossen leide durch übermäßigen Ethanolkonsum. Die Dosis macht das Gift.

Forschungsfragen sind noch offen

Insgesamt betont die britische Wissenschaftlerin, dass noch viele Fragen offen sind. So konnte mit der Studie u.a. nicht geklärt werden, welche Spezies Ethanol absichtlich konsumieren. Fest steht für Bowland und Kollegen jedenfalls: „Taufliegen und Menschen sind nicht allein beim Trinken.“

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