„Sie können keine elementaren Schlussfolgerungen ziehen“
In der Philosophie wird seit der Antike viel über die intellektuellen Möglichkeiten von Tieren nachgedacht. Hanoch Ben-Yami ist Professor für Philosophie an der Central European University (CEU) und befasst sich mit Logik und Sprache.
Laut Kognitionswissenschaft kommunizieren Tiere. Ist das nicht auch Sprache?
Hanoch Ben-Yami: Ein Hund kann einen anderen durch Bellen vertreiben; ein Vogel einen anderen mit Gesang anlocken. Ist das Kommunikation? Selbst wenn wir es so nennen, ist es weit von dem entfernt, was wir Sprache nennen. Ein Hauptmerkmal unserer Sprache ist Grammatik. In keiner Form der tierischen Kommunikation ist diese beinhaltet. Darüber hinaus gibt es korrekte und inkorrekte Verwendungen von Wörtern, aber die Vorstellung davon, wie ein Wort verwendet werden sollte, ist etwas, das kleine Kinder verstehen, aber kein Tier.
Sind nicht körperliche Eigenschaften der Hauptgrund?
Obwohl die physischen Eigenschaften der meisten Tiere sie unfähig machen, artikulierte Laute wie wir zu erzeugen, ist das nicht der Grund, warum sie keine Sprache haben. Tiere haben nicht die intellektuelle Fähigkeit, eine Sprache zu erlernen. Sie können sich viel merken, verfügen ein reiches Verhaltensrepertoire, lernen aus Erfahrungen, eine Abfolge von Handlungen zu meistern. Aber sie haben begrenzte logische Fähigkeiten. So verstehen sie Negation nicht wie wir. Wenn wir wissen, dass A, B oder C zutrifft, dann erfahren, dass weder A noch B zutrifft, schließen wir daraus, dass es C ist. Kein Tier kann diese elementare Schlussfolgerung ziehen. Das hängt damit zusammen, was ich erwähnt habe: Unsere Sprache beinhaltet die Idee der korrekten und nicht korrekten Verwendungen von Wörtern. Tiere können nicht erkennen, dass sie Fehler gemacht haben, sie können nicht einmal verstehen, was ein Fehler ist. Betrachtet man Tiere und Sprache, sollte man sprachbezogene Experimente mit ihnen zu Rate ziehen, um zu sehen, was sie schaffen und was ihnen nicht gelingt. Man sollte selbst bei empirischen Arbeiten vorsichtig sein: Die Forscher*innen sind oft zu sehr darauf bedacht, die Tiere intelligent erscheinen zu lassen, und man sollte in ihren Veröffentlichungen sorgfältig zwischen Fakt und Fiktion unterscheiden.
Was ist treibende Kraft für das Erlernen von Sprache?
Was ist die wichtigste Kraft hinter der Nutzung von Werkzeugen? Es ist wahrscheinlicher, dass es viele Gründe gibt. Ähnlich verhält es sich mit der Sprache. Wenn wir aufwachsen, erlernen wir die Sprache unserer Gesellschaft, wir entscheiden uns nicht bewusst dazu. Wenn wir keine Sprache erlernen würden, wären die Konsequenzen hart, aber wir tun dies nicht aus Angst vor Konsequenzen. Wenn wir keine Hände hätten, wären die Konsequenzen ebenfalls hart, aber wir haben sie nicht aus diesem Grund, sie sind ein Teil unserer Natur. Ähnlich ist es Teil unserer Natur, Sprache zu erlernen.
Wie beschäftigen Sie sich mit dem Thema?
Mein Interesse an unseren sprachlichen Fähigkeiten im Vergleich zu denen von Tieren hängt mit der Tradition in der Philosophie zusammen, die von Aristoteles über Descartes bis hin zu Wittgenstein reicht. Für Aristoteles sind Logos und Sprache eng miteinander verbunden, sie sind Ausdruck eines Geistes, und Menschen sind die einzige Spezies mit Logos, also Sprache, also Geist. Ähnlich sieht es Descartes: Menschen sind die einzige Spezies mit Sprache, die einzigen Wesen, die auf alles, was in ihrer Gegenwart gesagt wird, angemessen sinnvoll antworten können, und dies liegt daran, dass sie die einzigen Wesen mit Geist sind. Schließlich beobachtet Wittgenstein und fragt: „Man kann sich ein Tier zornig, furchtsam, traurig, freudig, erschrocken vorstellen. Aber hoffend? Und warum nicht?“ Er antwortet, indem er vorschlägt: „Kann nur hoffen, wer sprechen kann?“ Das heißt, die Erscheinungen des Hoffens sind Modifikationen dieser komplizierten Lebensform – unsere Sprache ist etwas Einzigartiges am Menschen, etwas, das zeigt, dass wir „vornehm im Verstand“ sind, mit einer Vorrangstellung über den Tieren.
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