Warum vegan nichts für Kleinkinder ist
"Das ist ein nicht zulässiges Experiment an Kindern." So eindeutig kommentiert der Kinder- und Ernährungsmediziner Univ.-Prof. Kurt Widhalm eine rein vegane Ernährung von Kindern. Ohne tierische Produkte zu leben, liegt im Trend – doch wie weit darf man das seinen Kindern zumuten? In Italien beschäftigt sich nun sogar das Parlament mit dieser Frage. Anlass war der Fall eines stark unterernährten Einjährigen, der von seinen Eltern vegan ernährt wurde. Ihnen wurde das Sorgerecht entzogen.
"Vegane Ernährung ist sehr einseitig. Es ist zwar möglich, im Erwachsenenalter einigermaßen gut über die Runden zu kommen, das Risiko einer Mangelernährung ist aber dennoch gegeben", erklärt Widhalm. Bei Kindern, deren Entwicklung und Wachstum noch nicht abgeschlossen sind, äußern sich Nährstoffmängel in der Ernährung aber viel dramatischer.
Unterversorgung
"Wir wissen aus zahlreichen Daten, etwa aus großen epidemiologischen Studien in Entwicklungsländern, dass unterversorgte Kinder kleiner sind und mehr Knochenprobleme auftreten. Ebenso sind sie anfälliger für Infektionen." Auch das Bundesministerium für Gesundheit hat eine klare Meinung. "Vegan ist ungeeignet für Menschen in sensiblen Lebensphasen wie Schwangerschaft, Stillzeit sowie für Säuglinge, Kinder und Jugendliche," heißt es bei den Ernährungsempfehlungen.
Nicht mehr so streng
Manche Fachgesellschaften, wie etwa die amerikanische Academy of Nutrition and Dietetics, sehen das mittlerweile nicht mehr so streng. Sie sind der Meinung, dass auch Kinder problemlos ohne tierische Produkte gesund aufwachsen könnten. Man müsse nur auf die wohlbekannten, möglichen Ernährungsdefizite achten und diese rechtzeitig ausgleichen.
Gemeint sind dabei vor allem bestimmte Nährstoffe wie etwa Vitamin B12, das der Mensch nicht selbst produzieren, sondern nur über die Nahrung aufnehmen kann. Bei Kindern kann ein Mangel schon relativ rasch zu neurologischen Schäden führen. "Es muss supplementiert werden, sobald das Kind nicht mehr den Großteil seiner Energie über die Muttermilch aufnimmt", heißt es dazu bei der Österreichischen Veganen Gesellschaft. Widhalm kritisiert, dass man dabei Kinder zuerst unausgewogen ernährt, dann aber mit Nahrungsergänzungsmittel die dadurch entstandenen Defizite ausgleichen muss. "Es gibt keine wirklich guten Untersuchungen, dass Kinder mit veganer Ernährung ausreichend versorgt sind."
Eisenversorgung
In Sachen Eisenversorgung fand man im deutschen Institut für Lebensmittelwissenschaft und Humanernährung an der Universität Hannover in Studien heraus, dass offenbar auch die hohe Aufnahme aus pflanzlichen Quellen oft nicht ausreicht, um Mangelversorgung zu verhindern. Eisen ist wie Zink einer jener wichtigen Nährstoffe, deren Bioverfügbarkeit aus tierischen Quellen generell besser ist. Der Kinderkörper wächst noch – ebenso braucht er dafür viel Eiweiß.
Der Verzicht auf tierische Lebensmittel hat abseits der Kinderernährung durchaus auch positive Seiten, sagt Ernährungsmediziner Kurt Widhalm. Er trennt klar zwischen veganer und vegetarischer Ernährung. "Veganer haben ein geringeres Risiko für Diabetes, Übergewicht oder Stoffwechselerkrankungen." Der Mensch ist aber dennoch nicht für eine derart einseitige Ernährungsform geschaffen. "Daher sollten für Veganer regelmäßige Untersuchungen mit ausführlichem Laborbefund bei einem Arzt, der sich damit auskennt, ein wesentlicher Teil ihres Gesundheitsbewusstseins sein." Er rät eher zu vegetarischer Kost. "Wir essen heute ohnehin alle zu viel Fleisch. Es ist ein Schritt in die richtige Richtung, mehr Vegetarisches in den Speiseplan einzubauen."
Eine weltweite pflanzliche Ernährung ist nicht so effektiv, wie manche denken. Laut einer Simulation von US-Biophysikern schneidet die vegane Variante schlechter ab als erwartet. Mit der Benutzung der Ackerfläche der USA könnten rund 735 Millionen Menschen rein pflanzlich ernährt werden. Gegenüber der jetzigen amerikanischen Standardernährung, die nur 402 Millionen versorgt, klingt das schon ganz gut. Eine vegetarische Variante mit ein bisschen Fleisch ist jedoch um einiges wirksamer: mit 807 Millionen gefüllten Bäuchen ist sie auf dem ersten Platz.
Die Ursache dafür ist Mutter Erde selbst. Einzig und allein auf kultiviertem Boden ist der Anbau von Nüssen, Obst und Gemüse möglich. Der winterharte Grund, auf dem hauptsächlich Heu und Getreide für Tiere angebaut wird, sowie die Weideflächen, die ungeeignet für Nahrungsanbau sind, wären laut Simulation bei einer veganen Lebensweise größtenteils unbenutzt. Die goldene Mitte ist, wie so oft, die Lösung des Problems: eine hauptsächlich vegetarische Ernährung, die ab und zu auch etwas Fleisch vorsieht.
Martin Schlatzer, Ernährungswissenschaftler und -ökologe, sieht die Simulation jedoch kritisch: "Das Problem mit solchen Baseline-Szenarien ist, dass man oft nur Prognosen macht, die auf den momentanen Entwicklungen basieren." Er sieht andere Möglichkeiten, was die Welternährung betrifft: "In einer Studie wurde berechnet, dass man 2 bis 4 Milliarden Menschen mit Getreide ernähren könnte, das man momentan als Tierfutter verwendet ."
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