Sie widmen das Buch allen Stiefeltern. Wurde das böse „Aschenputtel-Image“ bereits korrigiert?
Torsten Geiling: Leider ist das noch nicht passiert und höchste Zeit. Denn viele Stiefeltern, vor allem Frauen, haben den Eindruck, gegen das negative Bild der Stiefmutter ankämpfen zu müssen. Das passiert oft, indem sie ein Überengagement an den Tag legen, weil sie unbedingt von ihrem Stiefkind gemocht werden wollen, um eben ja nicht in der Schublade der bösen Stiefmutter zu landen.
Ist das für das Kind nicht erst einmal positiv?
Geiling: Natürlich ist nichts dagegen einzuwenden, sich um eine gute Beziehung zum Kind zu bemühen. Oft geht es aber so weit, dass Stiefeltern ihre eigenen Bedürfnisse und Grenzen vernachlässigen. Das belastet auf Dauer nicht nur die Beziehung zum Stiefkind, sondern vor allem die Partnerschaft.
Jahns: Was ich interessant finde: In den Ursprungsformen der meisten Märchen waren es gar nicht die Stiefmütter, die sich den Kindern gegenüber schändlich verhalten haben, sondern die Mütter. Weil aber solche Muttergestalten nicht in das gesellschaftliche Idealbild der Mutter im 19. Jahrhundert passten, wurden die Mütter kurzerhand durch Stiefmütter ersetzt. Es ging also gar nicht darum, darzustellen, dass Stiefmütter böse sind, sondern nur darum, einen Ersatz zu finden, damit die Mütter nicht mehr böse sein mussten. Trotzdem hat die kaltherzige Märchen-Stiefmutter das gesellschaftliche Bild von Stiefeltern nachhaltig geprägt.
Was ist ein häufiger Fehler, den unglückliche Patchworkeltern machen?
Jahns: Einer der größten Fehler ist, sich vom gesellschaftlichen Idealbild der heilen Familie unter Druck setzen zu lassen. Teilweise kommt die Erwartungshaltung auch vom Partner selbst oder aus dem näheren Umfeld. Wer sich deswegen nicht traut, Nein zu sagen, wenn im Umgang mit dem Stiefkind eigene Grenzen überschritten werden, fühlt sich irgendwann zurückgesetzt. Ein großes Thema ist bei vielen etwa das Schlafen der Kinder im gemeinsamen Ehebett.
Sie betonen auch, dass es okay ist, das eigene Stiefkind nicht zu lieben. Kann so eine Beziehung denn auf Dauer glücklich werden?
Jahns: Die Frage sollte eher lauten: Kann ein Patchwork-Modell auf Dauer wirklich funktionieren, wenn erwartet wird, dass Stiefeltern die Kinder ihrer Partner lieben wie ihre eigenen? Denn diese Erwartungshaltung ist völlig absurd. Liebe kann man nicht erwarten. Und erst mal sind Stiefeltern und Stiefkinder Fremde füreinander. Möglicherweise entwickeln sich mit der Zeit tiefe Gefühle zwischen Kindern und Erwachsenen. Wenn das so ist, ist das wunderbar für alle. Möglicherweise ist das aber auch nicht der Fall.
Geiling: Die Frage ist, wie man mit seinen Gefühlen umgeht. Gefühle zuzulassen bedeutet ja nicht, sie ungefiltert auszuleben. Und ja, natürlich lassen sich auch ohne innige Beziehungen von Stiefeltern und -kindern Paarbeziehungen zwischen den Erwachsenen leben. Und sie können auch wunderbar funktionieren. Die Frage ist am Ende nur, wie man sie gestaltet, dass alle Beteiligten zu ihrem Recht kommen.
Ihr Buch fokussiert sich auf die Probleme beim Patchwork. Wird so ein Modell von vielen nicht auch als bereichernd wahrgenommen?
Geiling: Es kann als Bereicherung empfunden werden. Uns geht es aber darum, zu betonen, dass es kein Manko ist, wenn man es nicht als Bereicherung empfindet.
Jahns: Aus Erfahrung ist es so, dass Patchwork-Konstellationen komplex und unterschiedlich sind. Und dass ein entscheidender Faktor für die Beziehung zwischen Stiefeltern und -kindern oft das ganze Umfeld ist. Wenn sich alle beteiligten Erwachsenen eine gute Beziehung zwischen Stiefeltern und -kindern wünschen, ist es einfacher für Stiefkinder und -eltern, eine gute Beziehung zueinander aufzubauen.
Was hat Sie die Stiefmutterschaft persönlich gelehrt?
Jahns: Wie wichtig es ist, in einer Paarbeziehung keine Tabus zu haben. Partner müssen nicht in allen Punkten gleich empfinden. Es ist aber unerlässlich, den anderen mit seinen Gefühlen und Bedürfnissen ernst- und anzunehmen. Dann kann man gemeinsam Lösungen suchen. Und auch – fast – alles gemeinsam schaffen.
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