Nacktmulle: Zu Besuch beim hässlichsten Nachwuchs der Welt

Nacktmulle: Zu Besuch beim hässlichsten Nachwuchs der Welt
Unbehaart, runzelig, fast blind - im Tiergarten Schönbrunn hat der Nacktmull Nachwuchs bekommen. Warum die Tiere die Lieblinge der Forscher sind.

In einer Welt voller Oberflächlichkeiten lebt es sich leichter unter der Erde. Jene, die regelmäßig auf der Rangliste der hässlichsten Tiere stehen, ziehen kilometerlange Tunnelsysteme in der ostafrikanischen Savanne vor. Oder in Röhren aus Glas im Halbdunkeln des Schönbrunner Wüstenhauses.

Dort werden sie nicht nach Äußerlichkeiten beurteilt, sondern für ihre Fähigkeiten bewundert. An diesem Donnerstagvormittag von einem älteren Herren mit Kameraobjektiv in der Größe eines menschlichen Säuglings.

Hässlich schmerzfrei

Und beachtliche Eigenschaften gibt es zahlreiche. Anton Weissenbacher, zoologischer Kurator, beginnt mit der Aufzählung. Und es wird eine halbe Stunde dauern, bis er damit fertig ist.

Nacktmulle werden bis zu 30 Jahre alt, vergleichbare Nager wie Ratten schaffen maximal zwei bis drei Jahre. Nacktmulle bekommen keinen Krebs, mutierte Zellen werden aussortiert. Nacktmulle können bis zu 15 Minuten ohne Sauerstoff auskommen, andere Nager wären da längst tot. Und Nacktmulle fühlen keinen Schmerz, bei Versuchen spazierten sie unbeschwert über Chilipfeffer. Zudem sind sie pseudo-wechselwarm, benötigen kaum Wasser und ihre großen gelben Zähne zum Graben befinden sich außerhalb des Mauls. „Es gibt nichts Vergleichbares im Tierreich“, sagt Kurator Weissenbacher.

Nacktmulle: Zu Besuch beim hässlichsten Nachwuchs der Welt

7 Zentimeter sind die kleinen Nacktmulle nun groß

Die Forschung hat deshalb schon lange ein Auge auf die seltsame Spezies geworfen. Man erhofft sich Erkenntnisse für die Humanmedizin – ob im Kampf gegen Krebs oder für die ewige Jugend. Auch der Tiergarten Schönbrunn kooperiert sowohl mit der Veterinärmedizinischen als auch mit der Medizinischen Universität Wien. Zu wenig ist noch über den Nager bekannt.

Und jetzt gibt es auch noch Nachwuchs. Zum ersten Mal seit fast acht Jahren ist im Tiergarten Schönbrunn wieder die Zucht gelungen. Vier Nacktmulle haben vor acht Wochen das gedimmte Licht der Welt erblickt. Sie sind jetzt sieben Zentimeter groß.

Der Staat im Staat

Geboren wurden sie von der Königin der Kolonie. Wieder eine Besonderheit: Nacktmulle sind wie ein Insektenstaat organisiert. Eine Kolonie kann bis zu 300 Tiere umfassen. Die Aufgaben sind strikt nach Kasten getrennt. Es gibt Arbeiter, die Tunnel graben und Soldaten, die Ausgänge bewachen. Ganz oben steht die Königin als einzig sexuell aktives Weibchen.

Das gelingt ihr nur, indem sie die anderen permanent unterdrückt. Wie sie das anstellt? „Indem sie über sie drüberklettert“, sagt Anton Weissenbacher. Mit bis zu 15 Zentimetern ist sie das größte Individuum der Truppe.

Die Anführerin im Wüstenhaus liegt gerade in einer der Schlafkammern aus Plexiglas. Unter ihr Holzwolle, über ihr ein Junges. Normalerweise helfen die Jungtiere des vorherigen Wurfs bei der Aufzucht. Doch die sind ja mittlerweile acht Jahre alt.

Nacktmulle: Zu Besuch beim hässlichsten Nachwuchs der Welt

Die langen gelben Zähne sind zum Graben und liegen vor dem Maul

Warum es hier so lange nicht mit dem Nachwuchs geklappt hat, gibt selbst den Fachleuten Rätsel auf. Vielleicht habe es einen Umsturz gegeben und ein neues Weibchen habe sich an die Spitze gekämpft? Für Zuchterfolge brauche es nämlich ein stabiles soziales Gefüge.

Oder aber es lag am Stress? Nacktmulle reagieren extrem sensibel auf Erschütterungen. Da reiche schon ein Klopfen gegen die Scheibe, um die Kolonie in Aufruhr zu versetzen, sagt Pflegerin Kristina Stanschitz.

Nacktmulle sind Nagetiere und leben in unterirdischen Höhlen in Ostafrika. Sie können bis zu 30 Jahre alt werden, erkranken nicht an Krebs, sind unempfindlich gegenüber Schmerz und kommen lange ohne Sauerstoff aus.

Einzige Behaarung sind Tasthaare beim Maul. Sie helfen  u. a. dabei, die Breite der Höhlen zu messen.

4 Nacktmulle wurden vor Kurzem im Tiergarten Schönbrunn geboren.

Eigentlich wurden in den acht Jahren immer wieder Jungtiere geboren. Sie überlebten nur nicht, weil sie vernachlässigt oder getötet wurden. Deswegen wartete der Zoo auch acht Wochen bis zur Verkündung. Man wollte sichergehen, dass sie es diesmal schaffen.

Jetzt scheint es jedenfalls zu passen. Die Königin ist wieder trächtig.

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