Wutausbrüche bei Kindern: Bis zu welchem Alter sind sie "normal"?

Wutausbrüche sind vor allem im frühen Kindesalter häufiger.
Lautes Schreien, Türenknallen, Dinge durch die Gegend werfen oder sich auf den Boden fallen lassen – wenn Kinder von intensiven Gefühlen überrollt werden, ist ein Wutausbruch meist nicht weit. Im Kindergartenalter reicht ein verweigerter Schokoriegel an der Supermarktkassa, ein mühevoll gebauter Turm, der plötzlich einstürzt, oder dass das Anziehen der Schuhe einfach nicht klappen will.
Im Volksschulalter sind es häufig soziale Konflikte, die zur Eskalation führen – etwa wenn das Kind ausgelacht oder ausgeschlossen wird. Auch Hausaufgaben können zur Zerreißprobe werden: Wenn der Stoff unverständlich ist oder sich Fehler häufen, fliegen mitunter Hefte und Stifte durch die Luft. Auch das Ende von Bildschirmzeit – etwa wenn der Fernseher ausgeschaltet wird – kann heftige Reaktionen auslösen.
Unerfülltes Bedürfnis
All diesen Szenen liegt ein gemeinsamer Kern zugrunde: Wutausbrüche sind Ausdruck eines unerfüllten Bedürfnisses, erklärt die Kinder- und Jugendpsychologin Claudia Neundlinger. „Schon ein Säugling kann Wut empfinden, wenn er nicht rechtzeitig Milch bekommt. Wut ist – wie Angst oder Liebe – ein sehr ursprüngliches Gefühl. Es sagt: Mir geht’s gerade nicht gut.“
Das unerfüllte Bedürfnis kann ganz unterschiedlich sein: Im Säuglingsalter ist es oft Hunger. Später kann es fehlende Nähe sein, wenn das Kind sich nach Zuwendung sehnt, oder das Bedürfnis nach Lob und Anerkennung. Manche Kinder reagieren mit Wut, wenn sie sich überfordert fühlen oder scheitern – etwa weil sie sehr hohe Ansprüche an sich selbst haben und an ihre Grenzen stoßen. Besonders im Alter zwischen drei und fünf Jahren, der sogenannten Autonomiephase, sind Frustrationen häufig. „Kinder erleben in dieser Zeit sehr viele Entwicklungsschritte. Kognitiv verstehen sie oft schon mehr, als sie motorisch umsetzen können – das führt fast zwangsläufig zu Enttäuschung und Wut“, sagt Neundlinger.
Begleitung durch die Eltern notwendig
In solchen Momenten brauche es besonders viel Begleitung durch die Eltern. „Je jünger ein Kind ist, desto mehr ist es auf emotionale Unterstützung angewiesen. Die Eltern übernehmen in dieser Phase die sogenannte Ko-Regulation – sie sind wie Leuchttürme, an denen sich das Kind orientieren kann.“ Erwachsene sollten die Gefühle von klein auf benennen, etwa mit dem Satz „Ich sehe, du bist wütend, weil…“, das Kind trösten und ihm helfen, sich zu beruhigen.
Hinter einem Wutanfall können sich andere Gefühle verbergen: Angst, Überforderung, Einsamkeit. Eltern sollten sich fragen: Was steckt wirklich hinter der Wut? Und: Wie gehe ich selbst mit Frust um? Kinder lernen durch Nachahmung. Wer im Alltag erlebt, dass laut werden zum Ziel führt, wird es selbst anwenden. „Gerade in der frühen Kindheit prägen Vorbilder das spätere Verhalten stark“, sagt Psychologin Claudia Neundlinger. „Wenn etwa beim Autofahren ständig über andere geschimpft wird, lernt das Kind, dass laut werden eine normale Reaktion auf Ärger ist.“

Claudia Neundlinger ist Kinder- und Jugendpsychologin.
Bis zu welchem Alter treten Wutausbrüche auf?
Wut begleitet uns ein Leben lang – doch bis zu welchem Alter sind Wutausbrüche „normal“? Eine klare Altersgrenze gibt es nicht. „Sieben- bis Neunjährige sollten aber schon Strategien entwickelt haben, wie sie mit ihrer Wut umgehen ohne ihr Umfeld zu überfordern“, sagt Neundlinger. Ein älteres Kind könnte etwa lernen, auf einen Polster zu trommeln, seine Gefühle niederzuschreiben oder in seinem Zimmer Musik zu hören.
Es ist okay, sich über jemanden oder über sich selbst zu ärgern, aber es geht darum, wie man es ausdrückt“, so Neundlinger. Wichtig sei, dass Rückzugsorte nicht als Strafe empfunden werden. Das Ziel ist nicht Isolation, sondern Beruhigung. Auch Eltern dürfen, wenn sie sich sehr ärgern, sagen: Ich gehe jetzt kurz in einen anderen Raum, um mich zu sammeln.
Wenn Wutausbrüche häufig auftreten, besonders heftig sind und sich das Kind selbst kaum mehr beruhigen kann, ist es sinnvoll, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen – etwa in Form einer Elternberatung. „Das Kind braucht ein Umfeld, das feinfühlig reagiert und ihm hilft, einen guten Umgang mit seiner Wut zu finden.“
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