Angst vor schlimmer Diagnose: Warum so viele nicht zur Vorsorge gehen

Man sitzt nachdenklich am Bett.
Obwohl medizinische Vorsorge oft kostenlos ist, meidet rund ein Drittel der Menschen medizinische Infos. Forschende orten darin ein Signal für die Gesundheitspolitik: Ohne Vertrauen ins System bleiben Angebote ungenutzt.

Werden Krebs, Diabetes oder Herzkrankheiten früh eraknnt, sind die Heilungschancen oft deutlich besser. Trotzdem bleiben viele Menschen Check-ups, Früherkennungsprogrammen oder ärztlichen Untersuchungen fern – obwohl diese oft kassenfinanziert sind.

Forschende des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung in Berlin haben nun eine überraschende Erklärung dafür gefunden: Rund ein Drittel der Menschen möchte schlichtweg nicht wissen, ob es krank ist.

"Manche entscheiden sich bewusst für Nichtwissen. Dieses Phänomen kennen wir auch aus anderen Lebensbereichen – es kann sehr unterschiedliche Gründe haben", sagt Ralph Hertwig, Direktor am Max-Planck-Institut und Mitautor der Studie.

Weltweite Metaanlyse

Für ihre Untersuchung werteten die Forschenden Daten aus 92 internationalen Studien mit insgesamt 564.497 Teilnehmenden aus 25 Ländern aus. Ziel war es, die Verbreitung von Informationsvermeidung im medizinischen Bereich zu erfassen und die Beweggründe besser zu verstehen.

Untersucht wurden unter anderem Erkrankungen wie Alzheimer, Chorea Huntington, HIV/Aids, Krebs und Diabetes. Als Informationsvermeidung definierten die Autorinnen und Autoren jedes Verhalten, das darauf abzielt, unerwünschte medizinische Informationen zu verhindern oder hinauszuzögern – etwa Arzttermine nicht wahrzunehmen, Tests zu vermeiden oder Befunde bewusst nicht zur Kenntnis zu nehmen.

Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß

Das Ergebnis: Fast ein Drittel der Teilnehmenden neigt dazu, medizinische Informationen zu meiden. Besonders hoch ist die Quote bei unheilbaren Krankheiten: 41 Prozent bei Alzheimer, 40 Prozent bei Huntington. Bei behandelbaren Erkrankungen liegt der Anteil niedriger, aber immer noch auf bemerkenswert hohem Niveau: 32 Prozent bei HIV, 29 Prozent bei Krebs und 24 Prozent bei Diabetes.

Ebenfalls bemerkenswert sind die Gründe für das Vermeidungsverhalten, so die Forschenden. Insgesamt kristallisierten sich 16 Faktoren heraus, die dies beeinflussen. Geschlecht oder Herkunft spielten dabei keine Rolle. Entscheidender waren:

  • kognitive Überforderung: etwa durch die Komplexität einer Krebserkrankung
  • geringes Gefühl der Selbstwirksamkeit: der Eindruck, die eigene Gesundheit nicht aktiv steuern zu können
  • Angst vor Stigmatisierung: etwa nach einem positiven HIV-Test
  • mangelndes Vertrauen ins Gesundheitssystem: und damit Zweifel an einer guten Behandlung

Folgen für Gesundheitssysteme

Welche Folgen diese Informationsvermeidung langfristig auf die Gesundheit einer Gesellschaft hat, bleibt zwar unklar, die Ergebnisse legen dennoch nahe, dass Informationsvermeidung kein Randphänomen und auch nicht zwangsläufig irrational ist. Vielmehr spielt das gesellschaftliche und strukturelle Umfeld eine zentrale Rolle.

"Unsere Daten deuten darauf hin, dass ein Rückgang des Vertrauens mit einem Anstieg der Informationsvermeidung einhergeht", sagt Konstantin Offer, Erstautor der Studie und Doktorand am Max-Planck-Institut.

Mehr Vertrauen ins medizinische System könnte also die Bereitschaft erhöhen, sich mit medizinischen Informationen auseinanderzusetzen und so auch die Inanspruchnahme von Vorsorge fördern. Für die Gesundheitspolitik ergebe sich daraus eine klare Botschaft, so die Forschenden: Wer das Vertrauen der Menschen stärkt, schafft eine wichtige Voraussetzung dafür, dass Vorsorgeangebote nicht nur theoretisch existieren, sondern auch genutzt werden. 

Dafür seien jedoch weitere Studien nötig. Auch länderspezifische Unterschiede wurden in dieser Meta-Analyse nicht ausgewertet.

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