Urlaub mit Teenagern: "Loslassen aber nicht fallenlassen"

Urlaub mit Teenagern. „Loslassen aber nicht fallenlassen“
Sommer, Sonne, Streit? "Eltern wollen verbinden, Teenager sich abgrenzen", sagt Psychotherapeut Philipp Lioznov. Bei Urlauben wo unterschiedliche Generationen zusammentreffen, sind Konflikte vorprogrammiert. Eltern von Pubertierenden befinden sich dann umso mehr im Spagat zwischen Loslassen und Grenzen setzen; und stehen vor der Frage: Dürfen es im Urlaub auch mal weniger (Grenzen) sein?
Im KURIER-Interview erklärt Lioznov, welche Gesetzmäßigkeiten gelten, wie man Rückzug begegnet und warum Kommunikation auf Augenhöhe wichtig ist.
KURIER: Welche Herausforderungen bringt der Urlaub mit Teenagern typischerweise mit sich?
Philipp Lioznov: Viele Konflikte mit Teenagern sind Eltern nicht neu, aber sie werden im Urlaub eher sichtbar, weil zwei sehr unterschiedliche Bedürfnisse aufeinandertreffen: Eltern wollen oft Nähe, Verbindlichkeit, gemeinsame Zeit. Teenager hingegen befinden sich mitten in einer Phase, in der Autonomie und Abgrenzung im Vordergrund stehen. Plötzlich sind alle aus ihrem Alltag gerissen, verbringen viel Zeit auf engem Raum, und unausgesprochene Erwartungen und Bedürfnisse treffen aufeinander. Daraus entstehen unterschiedliche Bedürfnisse, die im Vorfeld oft nicht offen verhandelt wurden. Und dies ist ein perfekter Nährboden für Konflikte. Urlaub bedeutet: viel gemeinsame Zeit, wenig Rückzugsräume. Das ist emotional anspruchsvoll. Und ehrlich gesagt: völlig normal. Denn: Konflikte sind keine Fehler, sondern Zeichen von Entwicklung.
Und die Pubertät gibt den Rest?
Ja, die Pubertät ist eine Phase der Entwicklung, in der Abgrenzung und Autonomie zentral sind. Aber wie gesagt, gerade im Urlaub wollen Eltern noch mal mehr verbinden. Das kann zu Spannungen führen, ist aber auch eine Chance für Entwicklung auf beiden Seiten, um die Familienbeziehungen neu zu gestalten. Was im Urlaub dann gut funktioniert, kann sich auch auf den Alltag ausweiten. Was ich oft in der Praxis erlebe, sind auch gesellschaftliche Erwartungen: Leistung, perfekte Bilder, Harmoniezwang. Viele Eltern stehen unter immensem Druck, im Urlaub alles richtig zu machen. Jugendliche können dabei zum Symbol für gelingendes oder misslingendes Familienleben werden. Was ich dann manchmal höre, sind Aussagen, wie: “meine Teenager-Kinder wollen nicht mitmachen und sind undankbar” oder “der Urlaub sollte mich entspannen und mir Energie geben, aber ich fühle nur das Gegenteil und nur noch mehr Stress und Druck”.
Ab wann darf man Jugendliche gesetzlich für längere Zeit allein daheimlassen (für den Fall, dass sie nicht mehr mitfahren wollen).
In Österreich gibt es keine klare Altersgrenze im Gesetz. Maßgeblich ist die sogenannte Erziehungsfähigkeit und die Frage: Ist das Kind reif genug, um sicher allein zu bleiben? Ab etwa 14 Jahren können Jugendliche stundenweise, manchmal auch über Nacht, allein sein. Mehrere Tage alleine zu Hause ist eine Entscheidung, die gut abgewogen werden muss: Reife, Verantwortungsgefühl, soziales Netz und Sicherheit sind entscheidend. Für die Eltern bleibt die Aufsichtspflicht.
Wie viel Mitspracherecht sollten Teenager bei der Urlaubsplanung oder Tagesgestaltung haben?
So viel wie möglich. Wichtig hierbei ist: alters- und reifegerecht. Wer mitreden darf, fühlt sich ernst genommen. Idealerweise gibt es schon vor dem Urlaub einen Familiendialog, in dem jeder Wünsche äußern darf. Das stärkt die Beziehung und reduziert späteren Widerstand. Generell: Je älter der Teenager, desto mehr sollte er mitentscheiden dürfen.
Wie können Eltern lernen, Vertrauen zu geben, ohne die Kontrolle völlig abzugeben? Viele Eltern haben Sorge um die Sicherheit – z. B. beim nächtlichen Weggehen, Alkoholkonsum oder Mediennutzung? Wie kann man das Thema Sicherheit gemeinsam konstruktiv besprechen? Und: sollte man im Urlaub mehr Freiheiten geben als daheim?
Das ist eine zentrale Entwicklungsaufgabe in der Pubertät: Loslassen – aber nicht fallenlassen. Es hilft, wenn Eltern nicht alles kontrollieren wollen, sondern in den Dialog gehen: „Was brauchst du, damit du dich frei fühlst?“ – und gleichzeitig fragen: „Was brauchen wir, damit wir uns sicher fühlen?“ Vertrauen entsteht durch Kommunikation, nicht durch Kontrolle. Schwierig wird es in der Praxis manchmal, wenn ein Elternteil aus einer eigenen Erfahrung heraus nicht die gesunde Elternrolle einnehmen kann.
In puncto Freiheiten, hier gilt auch: ab etwa 14 Jahren ist es sinnvoll, gewissen Freiraum zu geben. Das kann etwa ein Spaziergang allein oder ein abendlicher Besuch an der Strandbar mit Rückkehrzeit sein. Regeln sollten im Vorfeld besprochen werden, aber offen für Verhandlung bleiben. Man kann sich an den ohnehin schon bestehenden Alltagsregeln orientieren und diese für den Urlaub etwas lockern. Dabei sollten keine Ausmaße entstehen, bei denen sich eine der Parteien überfordert fühlt.
Was tun, wenn sich der Teenager nicht an Absprachen hält?
Das Wichtigste ist: ruhig bleiben. Statt mit Strafen zu reagieren, hilft ein ehrliches Gespräch: „Was war los? Warum hast du dich nicht an die Abmachung gehalten?“ Oft stecken ein Bedürfnis nach Freiheit, Gruppendruck oder einfach Vergesslichkeit dahinter. Konsequenzen können sinnvoll sein, aber sie sollten gemeinsam besprochen und nachvollziehbar sein.
Wie können Eltern verhindern, dass der Urlaub in ständigen Diskussionen endet?
Diskussionen können zeigen, dass Jugendliche anfangen, Verantwortung zu übernehmen und diese sind im Urlaub auch eine Chance: Wer bereit ist hinzuschauen, kann etwas in Bewegung bringen. Aber die Dosis macht das Gift. Ständig alles zu diskutieren, ist natürlich auch nicht sinnvoll. Manchmal hilft es, klare Zeitfenster zu definieren: gemeinsame Zeiten und individuelle Freiräume. Außerdem: den Druck rausnehmen. Ein perfekter Familienurlaub ist eine Illusion. Je mehr Raum man Konflikten gibt, sie respektvoll zu lösen, desto weniger eskalieren sie.
Was empfehlen Sie, wenn Jugendliche sich komplett abkapseln oder nur am Handy hängen?
Das ist oft ein Zeichen von Überforderung oder Langeweile. Statt zu verbieten, hilft ein Gespräch: „Was brauchst du, damit der Urlaub für dich Sinn macht?“ Oder einfach auch den Dialog ohne leistungsorientierte Ziele suchen. Vielleicht braucht der Teenager einfach Rückzug, vielleicht fehlen ihm Gleichaltrige. Eltern sollten sich nicht gekränkt fühlen, sondern Interesse zeigen. Und manchmal: einfach machen lassen. Der Wunsch nach Autonomie ist kein Angriff, sondern ein Entwicklungsschritt.
Gibt es Ihrer Erfahrung nach Unterschiede im Umgang mit dem Thema Loslassen zwischen Müttern und Vätern?
Um ehrlich zu sein rede ich eher mit Müttern zu diesem Thema in der Praxis. Aber nicht ausschließlich. Tendenziell fällt es Müttern schwerer, loszulassen, während Väter mehr Freiheit geben. Das kann zu Uneinigkeit führen und die Kinder spüren das. Wichtig ist, dass die Eltern sich vorab absprechen und eine gemeinsame Linie finden. Sonst können die Jugendlichen die Eltern gegeneinander ausspielen.

Philipp Lioznov ist Psychotherapeut und Psychologe in Wien mit Schwerpunkt auf moderner Verhaltenstherapie und Traumatherapie. Er arbeitet regelmäßig mit Jugendlichen, Eltern und Familien und kennt die typischen Konflikte rund um Abgrenzung, Kontrolle und Vertrauen.
Was sind Ihre drei wichtigsten Tipps für Eltern, um den Urlaub mit Teenagern entspannter zu gestalten?
Grundsätzlich gilt: Vorher reden, statt nachher streiten, und:
- Erwartungen, Regeln und Wünsche offen besprechen.
- Weniger Kontrolle, mehr Vertrauen: Jugendliche wollen keine Aufpasser, sondern Beziehung.
- Gemeinsame und getrennte Zeit planen: Wer zwischendurch abschalten darf, ist in der Familienzeit präsenter.
Und umgekehrt: was raten Sie Teenagern, wenn sie das Gefühl haben, von ihren Eltern zu stark kontrolliert zu werden?
Redet mit euren Eltern! Nicht nur mit Vorwürfen, sondern mit dem Wunsch nach Entwicklung: „Ich will zeigen, dass ich Verantwortung übernehmen kann.“ Eltern lassen leichter los, wenn sie merken: Da ist jemand, der mitdenkt. Und manchmal lohnt es sich, kleine Freiheiten zu erkämpfen, anstatt sich in den großen Konflikt zu stürzen. Manchmal müssen eure Eltern lernen, Vertrauen zu geben, bevor ihr es euch verdient habt. Und das Vertrauen ist die Basis für eine funktionierende Beziehung.
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