Eine Tiktok-Userin gibt ihrer dreijährigen Tochter Rohmilch gegen Juckflechte. Ein Nutzer bewirbt den Trunk auf der Social-Media-Plattform als Superfood für straffere Haut. Die "Tradwife-Influencerin" Hannah Neeleman nennt Rohmilch "flüssiges Gold". In ihren Kurkuma-Latte spritzt sie morgens Kuhmilch direkt aus dem Euter. Knapp 10 Millionen Follower schauen zu.
In den sozialen Medien ist seit einiger Zeit die "Raw Milk Revolution" im Gange. Rohmilch, also Milch, die nach dem Melken nur gefiltert und gekühlt, aber nicht pasteurisiert wird, wird dort als aromatischer, bekömmlicher und natürlicher angepriesen. Wellness-Influencer und Gesundheitsgurus versprechen eine Stärkung des Immunsystems, ein natürliches Wundermittel gegen Asthma, Allergien, Haut- oder Verdauungsprobleme.
Milch als Kulturkampf
In den USA hat sich die Debatte längst zu einem Kulturkampf ausgeweitet - angeheizt durch den in der Vorwoche vom US-Senat bestätigten Gesundheitsminister Robert F. Kennedy Jr., der nach eigenen Angaben "ausschließlich" unbehandelte Milch trinkt und bei der US-Lebensmittel- und Arzneimittelbehörde FDA eine "aggressive Unterdrückung" ortet.
In seiner Amtszeit werde der Impfgegner und Verschwörungstheoretiker den Rohmilchkonsum massiv fördern, befürchten Experten.
Erhebliche Risiken
Denn der Verzehr von Rohmilch ist mit erheblichen Risiken verbunden. Da das Melken im Stall kein steriler Prozess ist und die Rohmilch nicht pasteurisiert wird, um Keime abzutöten, kann sie trotz vorbildlicher Melkhygiene mit Krankheitserregern wie Listerien, Salmonellen, Campylobacter oder E. coli kontaminiert sein.
Diese können zu schweren Erkrankungen führen und unter Umständen lebensbedrohliche Folgen haben, wie Gesundheitsbehörden warnen. Besonders Kleinkinder, Schwangere, ältere oder immungeschwächte Menschen haben ein erhöhtes Risiko, warnt die Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) auf KURIER-Anfrage.
"Bei STEC-Erkrankungen (Bakterien der Art Escherichia (E.) coli, Anm.) kann es besonders bei Kleinkindern zu einer charakteristischen Folgeerkrankung kommen, dem lebensbedrohlichen hämolytisch-urämischen Syndrom (HUS), das zu Nierenversagen führen kann."
Rohmilch-Verfechter verweisen auf den "Bauernhofeffekt"
Warum entscheiden sich trotz der Risiken immer mehr Menschen für Rohmilch? Ein Hauptargument der Befürworter ist, dass beim Pasteurisieren, also dem kurzzeitigen Erhitzen auf 72 Grad Celsius, wichtige Nährstoffe verloren gehen. Tatsächlich kann es laut AGES bei wärmebehandelter Milch im Vergleich zu Rohmilch zu geringen Verlusten (etwa 10 Prozent) an B-Vitaminen kommen.
Bei ESL-Milch (Extended Shelf Life) steigt dieser Wert auf bis zu 20 Prozent, bei H-Milch (haltbare Milch) auf bis zu 25 Prozent. Milchfett und Mineralstoffe werden durch das Erhitzen nicht verändert. Insgesamt sind die Verluste bei einer ausgewogenen Ernährung vernachlässigbar.
Rohmilch-Verfechter verweisen zudem häufig auf den sogenannten "Bauernhofeffekt", wonach Bauernhofkinder laut epidemiologischen Untersuchungen seltener von Allergien betroffen sind als Stadtkinder. "Man vermutet, dass der Effekt durch eine größere Vielfalt an Mikroorganismen entsteht", heißt es vonseiten der AGES. Allerdings: Ein Kausalzusammenhang zwischen dem Konsum von Rohmilch und einem verringerten Asthmarisiko sei nicht final bewiesen, sagt der Ernährungswissenschaftler Martin Smollich vom Uniklinikum Schleswig-Holstein zur Zeit.
Gesamtkeimzahl bei Proben überschritten
Hinzu kommt: Das Risiko, sich tatsächlich mit Keimen zu infizieren, ist gar nicht so gering. Bei Schwerpunktaktionen der AGES zur Überprüfung der mikrobiologischen Beschaffenheit von Rohmilch aus Milchautomaten in Österreich wurde in den vergangenen Jahren jeweils rund ein Drittel der untersuchten Rohmilchproben lebensmittelrechtlich beanstandet. Grund dafür waren überwiegend Überschreitungen des Höchstgehaltes für mesophile aerobe Keime, ein Maß für die Hygiene beim Melken, Abfüllen und der Lagerung im Rohmilchautomaten. Sie war teilweise in erheblichem Ausmaß überschritten.
Vereinzelt wurden auch Krankheitserreger wie Campylobacter, STEC und Listerien nachgewiesen. In den vergangenen Jahren wurden zudem "immer wieder lebensmittelbedingte Krankheitsausbrüche dokumentiert, die durch Rohmilch bzw. Rohmilchprodukte verursacht wurden."
Vogelgrippeviren in Rohmilch nachgewiesen
In den USA wurden aktive Vogelgrippeviren in Rohmilch nachgewiesen, was die Sorge wachsen lässt, dass sich Menschen darüber anstecken könnten. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt daher, nur Produkte aus pasteurisierter Milch und keine Rohmilch zu konsumieren.
Die gute Nachricht? Durch Pasteurisierung wird das potenziell hochgefährliche H5N1-Virus zuverlässig inaktiviert, wie die FDA in Versuchen nachweisen konnte.
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