6 Narkose-Mythen: Kann man während der OP aufwachen?

Ein Patient wird im Aufwachraum überwacht.
Machen Narkosen abhängig? Nach einer Narkose tagelang benommen? Ein Faktencheck zum Weltanästhesietag am 16. Oktober.

Anästhesie bedeutet wörtlich „Empfindungslosigkeit“ und bezeichnet in der Medizin Verfahren, mit denen das Schmerzempfinden, das Bewusstsein oder bestimmte Körperfunktionen vorübergehend ausgeschaltet werden. Sie wird vor allem bei Operationen oder schmerzhaften Untersuchungen eingesetzt, um Patientinnen und Patienten vor Schmerzen zu schützen und gleichzeitig einen sicheren Ablauf des Eingriffs zu ermöglichen. Ziel der Anästhesie ist es, Schmerzfreiheit herzustellen, das Bewusstsein bei Bedarf auszuschalten, die Muskulatur zu entspannen und lebenswichtige Körperfunktionen wie Atmung und Kreislauf zu stabilisieren.

Allerdings halten sich zahlreiche Mythen rund um die Narkose, wie die Österreichische Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI) anlässlich des Weltanästhesietags am 16. Oktober erinnert. An diesem Tag im Jahr 1846 führte William T. G. Morton in Boston, USA, die erste erfolgreiche Äthernarkose durch und schuf damit den Grundstein, ohne den chirurgische Eingriffe undenkbar wären. „Die Anästhesiologie ist ein Zukunftsfach, das die Vision verfolgt, Mensch und Technik in Einklang zu bringen. Fortschrittliche Technik ist dabei nicht Selbstzweck, sondern dient immer dem Wohl und der Sicherheit der Patientinnen und Patienten«, betont Michael Zink, Präsident der ÖGARI.

6 gängige Narkose-Mythen im Check

„Man wacht während der OP auf.“

Es ist theoretisch möglich, während einer Narkose aufzuwachen, allerdings kommt das heutzutage äußerst selten vor. Dank moderner Überwachungstechnik wie Messung der Hirnaktivität mittels EEG und präziser Dosierung der Narkosemittel ist das Risiko minimal. Eine Narkose besteht aus mehreren Komponenten: der Ausschaltung des Bewusstseins, der Schmerzfreiheit und der Muskelentspannung. Wenn eine dieser Komponenten zu schwach wirkt oder ungleichmäßig verteilt ist, kann es in seltenen Fällen passieren, dass Patientinnen oder Patienten teilweise wach werden. Sie können dann die Umgebung wahrnehmen, sich aber aufgrund der verabreichten Muskelrelaxanzien nicht bewegen oder sprechen. Ursachen für solch ein teilweises Erwachen können zum Beispiel starke Kreislaufschwankungen sein, die eine Anpassung der Narkose erforderlich machen, eine bewusst niedrig gehaltene Dosierung bei kurzen oder riskanten Eingriffen, individuelle Unterschiede im Stoffwechsel oder auch technische Probleme bei der Medikamentenzufuhr.

Menschen, die während einer Narkose kurzzeitig "wach" waren, berichten manchmal, Geräusche gehört oder Druck gespürt zu haben, ohne sich bewegen zu können. Solche Erfahrungen werden als „Awareness unter Narkose“ bezeichnet. Sie sind in der modernen Anästhesie äußerst selten, da Anästhesistinnen und Anästhesisten kontinuierlich wichtige Körperfunktionen wie Puls, Blutdruck, Sauerstoffgehalt und Hirnaktivität überwachen. Auf diese Weise kann die Narkosetiefe jederzeit genau angepasst werden, um ein sicheres und schmerzfreies Verfahren zu gewährleisten.

„Ich wache vielleicht gar nicht mehr auf.“

Die Sterblichkeitsrate durch Narkose ist verschwindend gering – weit niedriger als bei alltäglichen Risiken wie Autofahren. Eine Narkose ist kein natürlicher Schlaf, sondern ein kontrollierter, medikamentös ausgelöster Bewusstseinszustand, der vom Anästhesieteam genau gesteuert und überwacht wird. Während des gesamten Eingriffs werden Atmung, Herzfrequenz, Blutdruck, Sauerstoffgehalt und viele weitere Parameter kontinuierlich überprüft. Die Anästhesistin oder der Anästhesist kann die Medikamentengabe jederzeit anpassen, sodass Körperfunktionen stabil bleiben und die Patientin oder der Patient nach der Operation sicher wieder aufwacht.

Komplikationen, bei denen jemand nach einer Narkose nicht mehr aufwacht, sind äußerst selten und treten meist nur dann auf, wenn schwere Vorerkrankungen bestehen oder unvorhersehbare medizinische Zwischenfälle eintreten – etwa Herz-Kreislauf-Versagen, schwere allergische Reaktionen auf Narkosemittel oder eine massive Infektion. In solchen Fällen ist es aber nicht die Narkose an sich, die das Aufwachen verhindert, sondern eine andere, schwerwiegende körperliche Ursache.

„Alle Narkosen machen abhängig.“

Anästhetika wirken nur während der Operation und verlassen rasch den Körper. Ein Suchtpotenzial besteht nicht. Die meisten Narkosemittel wirken direkt auf das zentrale Nervensystem, um Bewusstsein, Wahrnehmung und Schmerzempfinden zu dämpfen. Sie werden jedoch nur für kurze Zeit und unter ärztlicher Kontrolle verabreicht. Sobald die Zufuhr beendet ist, lässt die Wirkung nach, und die Substanzen werden über Leber und Niere wieder ausgeschieden. Da es keine wiederholte Einnahme und keinen psychischen Belohnungseffekt gibt (wie z. B. bei Alkohol, Nikotin oder Opioiden), besteht kein Suchtpotenzial bei normaler medizinischer Anwendung.

„Nach einer Narkose ist man immer tagelang benommen.“

Moderne, kurz wirksame Medikamente sorgen dafür, dass Patientinnen und Patienten schon kurz nach der OP wieder klar orientiert sind.

Nach einer Vollnarkose dauert es meist ein bis zwei Stunden, bis man wieder richtig wach und ansprechbar ist. Viele Patientinnen und Patienten dürfen nach einigen Stunden schon trinken, aufstehen oder nach Hause gehen (bei ambulanten Eingriffen).

Eine leichte Müdigkeit, Kopfschmerzen oder Konzentrationsschwierigkeiten können aber noch bis zum nächsten Tag bestehen – das ist normal. Wie schnell man sich nach einer Narkose erholt, hängt etwa von Art und Dauer des Eingriffs, vom Narkosemittel, dem Alter und dem allgemeinen Gesundheitszustand, weiteren verabreichten Medikamenten, die zum Beispiel Müdigkeit verstärken können, sowie der individuellen Reaktion auf Narkosemittel ab. 

 „Anästhesistinnen und Anästhesisten spritzen nur und sind bei der OP nicht da.“

Tatsächlich überwachen sie kontinuierlich Herz, Kreislauf und Atmung – und sichern so das Leben der Patientinnen und Patienten. Es ist eine klare 1 zu 1 Bindung Anästhesist zu Patient während der OP sichergestellt.

Mit Hilfe moderner Überwachungsgeräte können Anästhesistinnen und Anästhesisten jede Veränderung sofort erkennen und bei Bedarf umgehend reagieren – zum Beispiel, indem sie die Medikamentendosierung anpassen oder zusätzliche Mittel verabreichen. In der Regel werden sie dabei von einer speziell ausgebildeten Anästhesiepflegekraft oder einem anästhesietechnischen Assistenten unterstützt, die ebenfalls während der gesamten Operation im Raum bleiben. 

Auch nach dem Ende der Operation endet die Verantwortung der Anästhesistin oder des Anästhesisten nicht sofort. Im Aufwachraum überwacht das Team weiterhin den Kreislauf, die Atmung und das Bewusstsein, bis die Patientin oder der Patient wieder stabil und vollständig wach ist. Erst wenn alle wichtigen Körperfunktionen normal arbeiten und keine Komplikationen auftreten, wird die Betreuung beendet.

„Ältere Menschen dürfen keine Narkose bekommen, das ist zu gefährlich.“

Auch bei hochbetagten Patientinnen und Patienten ist eine Narkose in der Regel sicher möglich. Entscheidend ist die sorgfältige Voruntersuchung, eine individuelle Anpassung der Medikamente und die noch engmaschigere Überwachung. Alter allein ist kein Ausschlusskriterium. Viele Operationen, etwa am Herzen, an den Gelenken oder an den Augen, werden bei älteren Patientinnen und Patienten routinemäßig unter Voll- oder Teilnarkose durchgeführt. Allerdings erfordert die Narkose bei älteren Menschen eine besonders sorgfältige Vorbereitung und Überwachung, weil ihr Körper empfindlicher auf Medikamente reagiert und sich langsamer erholt.

Mit zunehmendem Alter verändern sich viele körperliche Prozesse: Herz, Lunge, Nieren und Leber arbeiten oft etwas weniger effizient, und der Stoffwechsel verlangsamt sich. Das bedeutet, dass Narkosemittel länger im Körper wirken können und das Risiko für Kreislauf- oder Atemprobleme leicht steigt. Auch Begleiterkrankungen wie Bluthochdruck, Diabetes oder Herzrhythmusstörungen spielen eine wichtige Rolle. Deshalb wird vor jeder Operation genau geprüft, welche Narkoseform am sichersten ist – zum Beispiel eine Vollnarkose, eine Teilnarkose (Regionalanästhesie) oder eine örtliche Betäubung.

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