Musiktherapie: Die heilende Kraft des Klanges

Musik verbindet und berührt uns auf einer tiefen emotionalen Ebene. Doch sie kann weit mehr: Musik kann zur Therapie werden und Menschen helfen, körperliche und seelische Herausforderungen zu bewältigen. Astrid Heine, Musiktherapeutin, hat diesen Weg bewusst gewählt. „Die Wirkungen von Musik auf Körper und Seele haben mich schon immer fasziniert“, erzählt sie. Heute begleitet sie in ihrer Praxis in Mödling Patienten jeden Alters – von Kleinkindern mit Entwicklungsverzögerungen bis hin zu Erwachsenen in schwierigen Lebenssituationen. Gleich zu Beginn stellt sie klar: „Musiktherapie hat nichts mit dem Erlernen eines Instruments zu tun.“ Stattdessen kommen vor allem Instrumente zum Einsatz, die intuitiv gespielt werden können und keine Vorkenntnisse erfordern. Musiktherapie orientiert sich an Bedürfnissen der Patienten. „Es gibt nicht die EINE Musik, die heilt“, betont Heine. „Musik ist so individuell wie der Mensch selbst.“
Wirkung auf Körper und Psyche
Musik entfaltet ihre Wirkung auf den gesamten Körper – und das Besondere: Sie spricht nahezu alle Bereiche des Gehirns an. „Musik wirkt mit ihren Rhythmen auf motorische Areale und löst damit Bewegungen automatisch aus, wie etwa ein Mitwippen, erklärt Heine. Gleichzeitig werden kognitive Fähigkeiten wie Aufmerksamkeit, Konzentration, Gedächtnis und Problemlösungsfähigkeit aktiviert. Sogar Sprache und Sprechen können durch Musiktherapie gefördert werden. „Patienten erhalten oft einen neuen Zugang zum Sprachverständnis.“ Doch das Wichtigste ist die emotionale Wirkung der Musik. „Musik wird in den emotionalen Hirnregionen verarbeitet und beeinflusst über das Nervensystem direkt Atmung und Herzschlag. Sie kann beruhigen, anregen oder entspannen.“ Aber: „Musik kann auch belastend sein, vor allem, wenn sie aufgezwungen wird.“ Als Beispiel nennt die Expertin Erfahrungen aus der Wachkomastation: „Wenn das Pflegepersonal Musik abspielt, die ihnen selbst gefällt, die Patienten aber unruhig werden, zeigt das, wie individuell Musik wahrgenommen wird.“
Aufgaben der Musiktherapie
Die Anwendungsbereiche der Musiktherapie sind vielfältig: von Neurologie, Psychiatrie und Onkologie bis hin zur Palliativmedizin und Sterbebegleitung. Auch präventive Ansätze – etwa zur Entspannungsförderung gewinnen an Bedeutung.
Dabei reichen die Einsatzgebiete von der Arbeit mit Wachkomapatienten über die Förderung der Atmung bei Frühgeborenen bis hin zur Begleitung von Menschen mit chronischen Schmerzen oder psychischen Belastungen. In der Arbeit mit Kindern stehen oft psychische Themen oder Trauma-Behandlung im Fokus. Astrid Heines Schwerpunkt liegt auf Entwicklungsverzögerungen: „Wenn Kinder nicht sprechen können, arbeiten wir mit Rhythmen, Gesang oder einfachen Lauten wie „dadada“. Das macht den Kindern Spaß, sie greifen die Laute auf und entwickeln sie weiter. Schritt für Schritt entstehen daraus Wörter.“
Musiktherapie kann eingesetzt werden bei Kindern,
- die Probleme mit der Regulation ihrer Ausdauer und ihrer Impulse haben,
- von einer Mehrfachbehinderung betroffen sind,
- traumatisierende Erlebnisse hatten,
- eine Autismus-Spektrum-Störung (ASS) aufweisen,
- Entwicklungsverzögerungen bewältigen müssen,
- Unterstützung bei der Stärkung ihres Selbstwertgefühls und ihrer Sozialkompetenz benötigen.
Bei der Arbeit mit Erwachsenen liegt ein Schwerpunkt häufig in der eigenen Selbstwahrnehmung. „Es geht darum, sich selbst zu spüren, zu erkennen, welche Klänge und Strukturen gut tun, und den eigenen Rhythmus zu finden. Musiktherapie hilft dabei, innere Bedürfnisse wahrzunehmen und Wege zu finden, sich besser zu fühlen.“ Eine zentrale Frage in der Therapie lautet: „Wie klinge ich aktuell?“ Gemeinsam wird dann erarbeitet, wie jemand gerne klingen möchte und wie dieser Wunschzustand erreicht werden kann. „Bei psychischen Themen spiegelt die musikalische Improvisation, also die selbstgespielte Musik, oft den Zustand wider: chaotisch und unrhythmisch, wie wir es kennen, wenn wir gestresst sind. Das zu erkennen und daran zu arbeiten, ist ein wichtiger Schritt.“

„Wesentlich dabei ist auch die Rolle, die das Gegenüber – also die Therapeutin oder der Therapeut – einnimmt. Es geht nicht (nur) um die Musik, die uns hilft, sagt Heine. „Als Musiktherapeutin bin ich für jeden Menschen als einzigartige Person da und erkunde mit diesen Personen ihre Themen und ihre eigenen Bedürfnisse.„ Die Musik wird dabei als Medium verwendet, weil sie ausdrücken kann, was schwer in Worte zu fassen ist, und weil sie innere Themen und psychische Prozesse hörbar macht.“ Wir nutzen Musik in dieser therapeutischen Begegnung, in der wir uns als Musiktherapeuten auf die Person und ihre Wahrnehmung einlassen und sie in einem Veränderungsprozess begleiten. „Wie diese Veränderung aussieht, ist unterschiedlich. Es kann darum gehen, sich eigener Themen bewusster zu werden, besser damit umzugehen oder Spannungen und Emotionen besser zu regulieren und dadurch mehr Ausgeglichenheit, Entspannung und Lebensfreude zu finden.“
Viele Herausforderungen
Musiktherapie hat in Österreich eine lange Tradition: Vor 65 Jahren wurde die erste Ausbildungsstätte Europas in Wien gegründet. Seit 2009 ist Musiktherapie in Österreich als Gesundheitsberuf anerkannt. Dennoch gibt es eine große Herausforderung: Die Kosten werden nicht von den Krankenkassen übernommen, weshalb Patienten sie selbst tragen müssen.
Heine: „Vor allem Familien mit psychischen Belastungen sind oft finanziell stark eingeschränkt. Es ist schade, dass eine so wirkungsvolle Therapie für viele schwer zugänglich ist.“
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