Mental Load: "Selbstfürsorge ist nicht egoistisch"

Auszeiten und Pausen müssen fix eingpelant werden, sagt Pierbattisti-Spira.
Ständig läuft der Kopf auf Hochtouren: Termine koordinieren, an Geburtstage denken, den Einkauf planen, Entscheidungen treffen – und das Gefühl, für alles verantwortlich zu sein. Diese dauerhafte geistige Anspannung, der Mental Load, bleibt oft unbemerkt, erzeugt aber erheblichen inneren Druck. Besonders häufig trifft der unsichtbare Stress Frauen, sagt Sara Pierbattisti-Spira, die als „Brombeermama“ über einen realistischen Familienalltag bloggt. Wie man es schafft, Überlastung zu reduzieren, und wieder Leichtigkeit im Kopf zu spüren.
KURIER: Was unterscheidet Mental Load von Stress?
Sara Pierabattisti-Spira: Stress kann sehr positiv sein und zu Höchstleistungen antreiben. Der Unterschied zu Mental Load ist, dass eine Ruhephase folgt. Der Stress kommt, wir sind unter Strom, aber er lässt wieder nach und wir können regenerieren. Das ist beim Mental Load nicht der Fall. Mental Load ist ein Dauerstress, der uns permanent beschäftigt, wo wir diese Ruhephase nicht haben oder uns nicht nehmen. Und das kann langfristig die Gesundheit negativ beeinflussen.
Inwiefern?
Oft sind Anzeichen, dass man schlecht schläft, rastlos ist, vergesslich wird. Es kann aber auch aufs Herz-Kreislauf-System gehen, zu Verspannungen und Kopfschmerzen führen. Sehr häufig verändert man sich emotional, wird ängstlich oder aggressiv, ist unruhig, lustlos. Wenn ich merke, dass ich keine Erholung habe, dann sollte ich mehr darauf achten, ob ich mich noch wohl fühle.
Warum sind häufig Mütter betroffen?
Grundsätzlich kann Mental Load alle betreffen. Auf Frauen prasseln aber besonders viele Anforderungen ein. Es soll kein Väter-Bashing sein und heißt nicht, dass Frauen das alles besser können. Es ist ein Mythos, dass Frauen die besseren Multitaskerinnen sind. Vielmehr sind alle Menschen gleich schlecht im Multitasking. Auch der Mutterinstinkt ist ein Mythos. Intuition und Bindung entstehen durch Kontakt mit dem Kind und das Kümmern. Das können ein Vater und andere Bindungspersonen genauso erlernen. Von der Natur her war es aber wahrscheinlich nicht gedacht, dass eine Person alleine sich um die Kinder kümmert. In der Realität ist es aber so, dass meist die Frauen in Karenz gehen, später sind oft beide berufstätig. Oft fehlt ein Unterstützungsnetzwerk, Großeltern wohnen vielleicht weiter weg. Gleichzeitig sind die Anforderungen gestiegen, wie man Kinder fordern und fördern soll. Dazu kommt diese ständige Erreichbarkeit. Wir sind ständig auf Empfang für neue Informationen und Dinge, die erledigt und angepasst werden müssen.
Sie schreiben, dass die meisten zu spät Hilfe suchen.
Grundsätzlich gilt: Lieber früh als zu spät. Viele suchen zu spät Hilfe, weil sie denken, andere schaffen es doch auch, ich muss es schaffen. Davon muss man sich lösen. Hilfe holen ist eine Stärke und bedeutet nicht, ich habe es nicht geschafft. Im Gegenteil: Vieles ist für eine Person zu viel. Es ist okay, sich einzugestehen: Ich darf mir das Leben leicht machen. Es geht auch darum meinen unsichtbaren Mental-Load sichtbar zu machen, mir klarzumachen, welche Aufgaben habe ich, was schwebt mir durch den Kopf und dann schaue ich, was davon ist wirklich wichtig und möchte ich allein erledigen, was kann ich abgeben, was kann ich einfacher machen und was wird weggelassen. Wenn ich das nicht reflektiere, bin ich in einem Hamsterrad, versuche alles zu erledigen und am Ende kann es passieren, dass nichts richtiggemacht wird oder Wichtiges liegen bleibt.

Sara Pierbattisti-Spira ist Business Coach und Familienbloggerin unter dem Alias "Brombeermama".

S. Pierbattisti-Spira, K. Wick: „Freier Kopf statt Mental Load“, Stiftung Warentest. 286 Seiten. 21,50 Euro
Wie kann man davon wegkommen, dass vor allem Mütter Aufgaben erledigen?
Man darf hier den Konflikt suche und muss sich vor Augen halten, dass das in den seltensten Fällen böse Absicht ist. Oft entwickelt es sich aus den Gegebenheiten. Der Mann verdient vielleicht mehr, die Mutter war eh in Karenz und dann lohnt es sich vom Einkommen eher, dass sie Teilzeit arbeitet. Es ist auch viel Sozialisation, dass Mütter denken, ich muss eine gute Mutter sein, ich gehöre zum Kind. Der Vater denkt, ich muss das Familieneinkommen reinbringen. Wenn man sich von diesen Glaubenssätzen freimacht und überlegt, ist das wirklich meine Auffassung oder übernehme ich da etwas aus der Gesellschaft, aus der Prägung, die ich erfahren habe? Man darf gemeinsam überlegen, was ist unser persönliches Modell, wie wollen wir das aufteilen. Das muss nicht zwingend 50-50 sein, aber bewusst gewählt sein und für beide Seiten gewollt. Oft starten Paare gleichberechtigt und mit dem ersten Kind rutschen sie da rein, dass die Mutter die Kümmerin ist und auf einmal den Großteil der Carearbeit hat.
Ist Mental Load ein Phänomen unserer Zeit?
Es ist sicherlich stärker, weil wir heute anders leben. Die Arbeitsmodelle haben sich verändert, die Grenzen zwischen Beruf und Privatleben verschwimmen oft. Das Smartphone erleichtert uns in vielen Punkten das Leben, sorgt aber auch dafür, dass wir immer auf Empfang sind. Durch Social Media vergleichen wir uns mit anderen und sehen, wie sie es vermeintlich schaffen. Hier kann helfen, auszumisten, einerseits Newsletter, Push-Benachrichtigungen, aber genauso die ganzen Prospekte aus dem Briefkasten. Das ist jedes Mal ein mentaler Ballast, weil ich entscheiden muss, was mache ich damit? Man müsste mehr Kompetenzen entwickeln, besser auszusortieren.
Warum fällt Selbstfürsorge vielen Müttern so schwer?
Die Mutter kommt oft als Letztes, weil sie versucht den perfekten Moment für ihre Auszeit zu finden. Nur dieser perfekte Moment wird nicht kommen. Die Pause muss auch auf die To-do-Liste oder in den Kalender und fix sein. Die Bedürfnisse der anderen Familienmitglieder zu erfüllen geht viel einfacher, wenn man ausgeglichen ist und gut für sich selbst gesorgt hat. Deswegen ist Selbstfürsorge nicht egoistisch, sondern sorgt dafür, dass der Alltag weiter gut läuft.
Sie selbst zeigen den nicht perfekten Alltag.
In meiner ersten Schwangerschaft gab es hauptsächlich Accounts, die ein rosarotes Bild von Familie gezeichnet haben. Ich wollte ein authentisches Bild dagegensetzen. In den letzten Jahren hat sich da sehr viel getan. Man braucht aber nicht Social Media – es hilft auch über eigene Herausforderungen mit anderen zu sprechen, damit die sich einem dann auch öffnen und sagen, hey, sieht bei mir ähnlich aus. Und das kann total wohltuend sein, auch wenn ich keine Lösung habe für mein Problem, dass ich aber weiß, ich bin damit nicht alleine und ich darf das jetzt einfach aushalten.
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