Meine Partnerin will eine offene Beziehung, geht das überhaupt?

Farbige Puzzleteile mit Mannequinn-Beinen
Diese Frage ist keine Seltenheit mehr. Immer öfter stehen moderne Paare vor der Herausforderung, zwischen Verbindlichkeit und individueller Freiheit eine Balance zu finden. Psychotherapeut Christian Beer gibt Rat.

Leser Paul (38) fragt:

Meine Partnerin will eine offene Beziehung, geht das überhaupt? 

Dr. Leben antwortet:

Ihre Partnerin äußert den Wunsch nach einer offenen Beziehung – und Sie fragen sich, ob das überhaupt funktionieren kann. Diese Frage ist keine Seltenheit mehr. Immer öfter stehen moderne Paare vor der Herausforderung, zwischen Verbindlichkeit und individueller Freiheit eine Balance zu finden. Doch gerade, wenn es um Zukunftsplanung, vielleicht sogar Kinderwunsch geht, braucht dieser Wunsch nach „mehr Offenheit“ mehr als nur gute Absichten. Denn offene Beziehungen sind nicht nur eine Entscheidung für sexuelle Freiheit – sie sind ein Eingriff in das Sicherheitsgefühl zweier Menschen. Der Evolutionspsychologe David Buss betont, dass stabile, monogame Beziehungen für die elterliche Investition und das Kindeswohl historisch wie biologisch die beste Grundlage bieten. 

Längsschnittstudien zeigen: Bindungssicherheit – nicht Offenheit – fördert emotionale Stabilität, Zufriedenheit und Verlässlichkeit. Wer Familie gründen will, braucht Klarheit darüber, was langfristig trägt – nicht nur kurzfristig reizt. Elisabeth Rieder, Expertin für alternative Beziehungskonzepte und Polyamorie in der WIENER COUCH, betont: „Offenheit ist kein Lifestyle-Accessoire. Sie verlangt emotionale Reife, Kommunikationsfähigkeit und echtes gegenseitiges Commitment.“ Sie rät Paaren dazu, eine offene Beziehung – wenn überhaupt – als gemeinsam getragenes Experiment zu begreifen. Mit einem klaren Zeitrahmen, festen Kommunikationsritualen und der Möglichkeit, jederzeit zu stoppen. Das schützt beide vor Verletzungen, Ungleichgewicht und stiller Entfremdung. Und genau hier  liegt der Kern: Es geht nicht darum, ob offene Beziehungen grundsätzlich funktionieren. Es geht darum, ob Ihre Beziehung dafür bereit ist. Haben Sie die emotionale Basis, um mit Unsicherheit, Eifersucht oder neuen Dynamiken umzugehen? Haben Sie beide den Mut, ehrlich über Wünsche – aber auch über Ängste – zu sprechen?

Eifersucht ist übrigens kein Zeichen von Rückständigkeit. Sie ist ein Beziehungssignal. Und sie wird nicht dadurch gelöst, dass man sie „wegargumentiert“, sondern indem man sie versteht. Stecken dahinter bspw. Verlustangst oder unklare Werte, auf die sich die Partner bei Belastung nicht mehr beziehen können oder sogar das Gefühl, austauschbar zu sein? Gerade in westlichen Kulturen erleben Frauen häufig, dass sexuelle Autonomie zunehmend entkoppelt wird von Beziehungsintimität.
Doch wer in einer offenen Beziehung lebt, ohne sich emotional sicher zu fühlen, erlebt oft ein Gefühl innerer Entwertung. 
Der Preis der Freiheit sollte nicht emotionale Unsichtbarkeit sein. Wissenschaftlich wissen wir: Nicht die Beziehungsform  entscheidet, sondern die emotionale Balance. Studien zeigen, dass etwa hoher Neurotizismus bei Männern, also emotionale Instabilität, mit Rückzug, Autonomiebestrebungen und Bindungsproblemen einhergeht. Wer mit Offenheit überfordert ist, zieht sich zurück – oder flüchtet in Rationalisierung. Das kann eine Beziehung schleichend aushöhlen. Fazit: Eine offene Beziehung ist möglich. Aber nur, wenn beide Seiten ein gleichwertiges Maß an Sicherheit, Vertrauen und emotionaler Präsenz erleben. Und nur, wenn Offenheit nicht als Lösung für Konflikte dient – sondern als Ausdruck eines stabilen „Wir“. Denn Beziehung ist mehr als Konsens – sie ist ein Raum für echte Resonanz. Und diese braucht kein ideales Konzept, sondern zwei Menschen, die einander sehen, hören – und ernst nehmen.

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