Ich möchte eine Familie, sie nicht. Hat unsere Beziehung eine Zukunft?

Schwangere mit Wecker in der Hand - Zeit ticket
Er möchte Kinder, sie will noch warten. Wie schafft man den Kompromiss? Psychotherapeut Christian Beer antwortet.

Leser Patrick (45) fragt:

Meine Partnerin und ich haben unterschiedliche Vorstellungen über den richtigen Zeitpunkt für Kinder. Wir sind seit zwei Jahren ein Paar. Ich bin 45 und wünsche mir bald eine Familie, weil ich noch ein „junger“ Vater sein möchte. Sie ist 35 und möchte warten, um sich auf ihre Karriere zu konzentrieren. Sie schließt Kinder zwar nicht aus, aber sie gibt mir auch kein klares Zugeständnis. Soll ich die Beziehung beenden, bevor es zu spät ist?

Antwort:

Sie stehen an einem biografischen Wendepunkt, an dem sich eine sehr nachvollziehbare Frage stellt: Wie geht man damit um, wenn zwei Menschen einander lieben, aber bei einem zentralen Lebensthema noch nicht im selben Takt gehen? Und wie gelingt es, die eigenen Wünsche ernst zu nehmen, ohne den anderen dabei unter Druck zu setzen oder sich selbst aus dem Blick zu verlieren?

Ihre Partnerin ist 35, Sie 45. Wenn Ihre Partnerin noch Kinder möchte, nimmt die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft langsam ab. Statistisch gesehen ist es – aus weiblicher Perspektive – ein gewagtes Spiel, den Kinderwunsch über einen längeren Zeitraum aufzuschieben. Laut Studien bereuen rund 80 Prozent der kinderlosen Frauen nach der Menopause, kein Kind bekommen zu haben. Für Ihre Partnerin sind Sie vielleicht die letzte reale Option für eine Familie. Und doch hören Sie von ihr keine klare Entscheidung, sondern ein „Vielleicht“. Das lässt viel Raum für Hoffnung – aber auch für Enttäuschung. Gleichzeitig ist die späte Mutterschaft heute kein Einzelfall mehr. Schon jedes vierte Kind in Deutschland wird von einer Frau über 35 geboren. Der Trend zur späteren Familiengründung wird sich laut Experten weiter fortsetzen. Mit gesunder Lebensweise, regelmäßiger Bewegung und Verzicht auf Nikotin steigen die Chancen auf eine komplikationsfreie Schwangerschaft auch jenseits der 35 deutlich. Zwar wird im Mutterpass automatisch die Bezeichnung „Risikoschwangerschaft“ angeführt, doch das heißt nicht, dass Probleme zu erwarten sind – sondern lediglich, dass Ärztinnen und Ärzte besonders sorgfältig hinschauen. Entscheidend ist die Vorsorge, und moderne Geburtshilfe kann viele Risiken gut abfangen. Wichtig bleibt jedoch: Mit zunehmendem Alter sinkt die Fruchtbarkeit, und auch mit gesunder Lebensweise kann es etwas länger dauern, bis es klappt.

Genau hinsehen

Was genau hinter ihrem Zögern steht, sollten Sie versuchen, gemeinsam herauszufinden. Ist es wirklich nur der Wunsch nach beruflicher Entfaltung? Oder verbergen sich dahinter auch Ängste – etwa vor der Verantwortung, vor einem Scheitern der Beziehung oder vor den gesellschaftlichen und finanziellen Folgen? In Wien beispielsweise werden knapp 40 Prozent aller Ehen geschieden, im Schnitt nach zehn Jahren und mit 1,2 minderjährigen Kindern. Vielleicht fürchtet Ihre Partnerin, dass ein Kind keine Sicherheit, sondern eine zusätzliche Belastung bedeuten könnte. Wenn Sie Klarheit wollen, braucht es ein offenes Gespräch – nicht über Druck oder Ultimaten, sondern über ehrliche Fragen: In welchem Zeitraum will sie eine Entscheidung treffen? Was hält sie momentan davon ab? Wäre sie bereit, das Wagnis Familie mit Ihnen einzugehen, wenn Sie sie auch bei der Verwirklichung ihrer Karriere unterstützen?

Der Kinderwunsch kann dabei auch eine wertvolle Gelegenheit sein, die gemeinsamen Werte zu sortieren und zu klären: Was ist Ihnen beiden wichtig? Was steht an erster Stelle? Welche Vorstellungen teilen Sie über Zukunft, Bindung, Verantwortung? Paare bleiben oft dann langfristig zusammen, wenn sie in zentralen Lebensfragen ähnliche oder gleiche Werte haben. Doch auch darauf allein kann sich eine Beziehung nicht verlassen: Gerade Unterschiede zwischen Partnern bringen Spannung, Lebendigkeit und nicht zuletzt auch sexuelle Anziehung mit sich.

Und ganz zentral: Wie wichtig ist das Thema Kind für jeden von Ihnen beiden wirklich? Denn wenn dieser Wunsch ein fundamentaler Teil Ihrer Lebensplanung ist, wäre es riskant, ihn weiter zu verschieben oder zu verdrängen. Aus einem leisen Zweifel kann sonst eine tiefe Entfremdung werden. Vielleicht ist es am Ende gar nicht die Frage, ob Ihre Beziehung überhaupt eine Zukunft hat. Sondern ob Sie den Mut finden, mit Ihrer Partnerin ehrlich zu klären, welche Zukunft Sie sich beide vorstellen.

Kommentare